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"Maß für Maß"

Shakespears "Maß für Maß", in einer Inszenierung von Thomas Ostermeier, in einer Koproduktion mit der Berliner Schaubühne, hatte gestern Abend Premiere im Salzburger Landestheater.

Von Hartmut Krug | 18.08.2011
    Eingeschmutzt ist die goldglänzende Metallhaut des engen Bühnenkastens, in dem zu Beginn auf offener Bühne alle Schauspieler auf ihren Auftritt warten. Einige sitzen auf der schmalen Rückbank, andere stehen um den mächtigen Kristalllüster, der am Boden liegt, und alle wirken im Bühnenbild von Jan Pappelbaum und der Inszenierung von Thomas Ostermeier wie Zitate aus einer Jürgen-Gosch-Inszenierung.
    Dann treten sie in einer Reihe an die Rampe: Sieben Schauspieler, die das mächtig reduzierte shakespearesche Personal verkörpern, sowie eine dreiköpfige Musikgruppe aus Sängerin, Trompeter und Gitarrist. Sie singen gemeinsam eines der vielen Madrigale, von denen die Inszenierung durchzogen wird.

    Die Schönheit der Musik wird gesetzt gegen das hässliche Geschehen. Denn Shakespeares "Maß für Maß" ist ein böses Spiel über Moral und Macht, über Verführbarkeit und Gewalt. Herzog Vincentio hat im fiktiven Wien die Gesetzesflügel schleifen lassen, will sie aber nicht selber wieder anziehen, weil er um seine Reputation fürchtet. Deshalb übergibt er die Macht für einige Zeit einem Stellvertreter, dem Moralisten Angelo. Die Übergabe wird in Thomas Ostermeiers Inszenierung zu einem eher beiläufigen Vorgang. Gert Voss, ein eitel selbstsicherer Herzog im weißen Anzug mit modischem Schal, gibt Angelo, den Lars Eidinger, die Hände in den Hosentaschen seines Angestelltenanzugs über gestreifter Krawatte, als ausdruckslosen Spießer gibt, mit einem "nimm also" die Krone. Dann imitiert das Ensemble lautmalerisch und pantomimisch einen Hubschrauber, und weg ist der Herzog.

    Angelo aber sorgt gleich für Sauberkeit, indem er Plastikhandschuhe überstreift, den Leuchter an die Decke zieht, mit einem Wasserschlauch energisch den Raum reinigt und dabei auch die Menschen nicht verschont. Besonders zielt er auf Claudio, der, nur mit Unterhose bekleidet, an der Wand kauert, und der, weil er seine Freundin vor der Hochzeit geschwängert und damit gegen das Gesetz verstoßen hat, geköpft werden soll.

    Doch da gibt es ja noch seine Schwester Isabella, die gerade ins Kloster eintreten will. Ganz in Weiß, unter der Haube einen wachen Geist und ein hübsches Gesicht, bittet sie bei Angelo um Gnade für den Bruder. Der ist nicht nur intellektuell, sondern auch sinnlich von ihr verwirrt und bekennt in Marius von Mayenburgs wunderbar klarer, neuer Übertragung: "Was sie sagen, hat so viel Sinn, dass meine Sinne davon schwanger werden."

    Doch die Forderung Angelos und ihres Bruders, sie solle Angelo ihre Unschuld opfern, um den Bruder zu retten, weist Isabella mit moralischem Furor empört zurück.

    Die argumentativen Dialogpassagen des Stückes wirken stark, doch einige inszenatorische Einfälle von Ostermeier überzeugen weniger. Dass der hinter Gesichtsmaske und Körperschleier verborgene Claudio auch Angelos einstige Ehekandidatin Mariana spielt, ist doch recht verschwurbelt gedacht. Wie auch der Einfall, eine Schweinehälfte an den Kronleuchter zu hängen, vor dem der Herzog dem Todeskandidaten Claudio ein philosophisches Traktat über Tod und Leben verabreicht. Später hängt sich der philosophierende Angelo kopfüber an die Stelle der Schweinehälfte, später bedrängt er Isabella auf dem zu Boden gefallenen Schweinefleisch, und schließlich wird der Schweinekopf, drapiert mit einem Wischmopp, in einer Plastiktüte dem Angelo als Kopf des getöteten Claudios gereicht.

    Doch der als Mönch durchs Geschehen streifende Herzog entlarvt Angelo öffentlich in einer komplizierten Lug-und-Trug-Täuschungs-Anordnung.

    Die Härte des Geschehens verschwindet in Ostermeiers Inszenierung etwas unter der Buntheit seiner szenischen Einfälle. Und dass hier neben Angelo auch der Herzog und selbst Isabella in sinnliche Verwirrung kommen, und sei es nur für Momente, wird nicht sonderlich begründet oder deutlicher ausgeführt. In dieser Inszenierung steht die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Macht zurück hinter der Spiellust eines Herrschers und eines Schauspielers. Gert Voss dominiert in der zweiten Hälfte der zweieinhalbstündigen, pausenlosen Inszenierung mit seiner schauspielerischen Souveränität und einer ironisch-eitlen, wunderbar komischen Darstellung, mit dem er sich und seine Figur sowohl ausstellt als auch umspielt. Da steht Lars Eidinger nur noch verdruckst und bedröppelt lächelnd herum, ist nicht mehr Gegner noch Partner von Voss, sondern nur noch im doppelten Sinne sein Opfer.

    Dass am Schluss drei Paare zusammengeführt werden, darunter auch die junge Isabella, wunderbar als sinnliche Denkerin gespielt von der 25jährigen Jenny König, mit dem Herzog, gespielt vom knapp 70jährigen Gert Voss, sorgte nicht nur wegen eines Nahtrisses im Anzughosenboden von Voss für gedämpfte Heiterkeit. Und die Hand der auf seinen Antrag nicht reagierenden Isabella muss sich der Herzog selbst greifen. Die Ordnung ist wieder hergestellt, doch Glück sieht anders aus.