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Massaker von Srebrenica
"Eine Lehre für die internationale Gemeinschaft"

Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck hat Serbien dazu aufgerufen, sich zum Massaker im ostbosnischen Srebrenica vor 20 Jahren zu bekennen. Es wäre an der Zeit, dass Regierungschef Vucic erkläre, sich mit dem Völkermord auseinandersetzen zu wollen, sagte sie im Deutschlandfunk. Zugleich kritisierte sie die damalige Rolle der Vereinten Nationen.

Marieluise Beck im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.07.2015
    Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck in der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Beck sagte, eine Anerkennung der damaligen Verbrechen sei vonseiten Serbiens bis heute ausgeblieben. Dies würde den Opfern jedoch helfen, sagte sie. Es wäre an der Zeit, dass der serbische Regierungschef Vucic nicht nur an den heutigen Gedenkfeiern teilnehme, sondern sage, dass der Völkermord Serbien belaste und man bereit sei, sich damit auseinanderzusetzen. "Es ist eine Frage des politischen Mutes", sagte Beck. Die nationalistischen Kräfte in Serbien seien weiterhin stark vertreten.
    In der bosnischen Stadt Srebrenica wird heute an das Massaker vor 20 Jahren erinnert. Kurz vor Ende des Bosnienkriegs waren bosnisch-serbische Einheiten in die damalige UNO-Schutzzone einmarschiert und hatten rund 8.000 muslimische Jungen und Männer getötet. In Srebrenica waren damals UNO-Blauhelmsoldaten, die wegen ihres eingeschränkten Mandats nicht eingreifen konnten.
    Im Deutschlandfunk-Interview kritisierte Beck auch das damalige Agieren der Vereinten Nationen. Die UNO habe mit einem friedenserhaltenden Einsatz reagiert, obwohl dort bereits Krieg war. Die UNO dürfe sich nicht vorbeimogeln.
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    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Das Symbol des Versagens der internationalen Gemeinschaft – Karla Engelhardt war das. Darüber wollen wir reden mit Marieluise Beck von den Grünen, die ich zunächst herzlich begrüße. Guten Morgen, Frau Beck!
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Frau Beck, an solchen Feiertagen erinnert man sich dann, und dann fallen so Sätze, wie ich Ihnen gerade gesagt habe: das Versagen der internationalen Gemeinschaft. Auch 20 Jahre danach ist es immer noch schwer zu ertragen, oder?
    Beck: Ja, es werden ja immer noch Menschen vermisst, es werden immer noch Gräber gefunden, und der Prozess, dass diese vielen tausend Männer und männlichen Kinder, die dort ermordet worden sind, immer noch identifiziert werden, hält ja an. Das heißt, jedes Jahr am 11. Juli gibt es Familien, die noch mal Gebeine zu Grabe tragen von denen, die identifiziert werden konnten im vergangenen Jahr.
    Zurheide: Und ich habe jetzt gelesen, dass es immer noch Opferfamilien gibt, die bis heute auf irgendwelche Hilfen warten, und das, ich wiederhole mich, 20 Jahre danach. Das macht fassungslos, oder?
    Beck: Die Hilfe ist das eine. Ich glaube, das Entscheidendere ist, dass bis zum heutigen Tage ausgeblieben ist, dass die politische Verantwortung und militärische Verantwortung, die ja doch bei den Tschetniks und auch beim regulären Militär Serbiens gelegen hat – General Mladić war serbischer General –, dass eine Anerkennung, was dort an Monströsem sich abgespielt hat, ausgeblieben ist bis zum heutigen Tage. Das würde den Opfern helfen. Das Tribunal in Den Haag versucht, Recht zu sprechen. Das kann es eigentlich nur für eine kleinere Zahl von Tätern, von den herausragenden. Es wäre an der Zeit, dass nicht nur Präsident Vučić den halben Weg geht und heute sich einfindet in Srebrenica, sondern dass er wirklich sagt: Dieser Völkermord, der belastet uns und wir sind bereit, uns mit unserer Nation damit auseinanderzusetzen.
    "Es ist eine Frage des politischen Mutes"
    Zurheide: Was kann man tun, damit er es tut?
    Beck: Es ist eine Frage des politischen Mutes. Eben ist in Bezug auf Griechenland von politischem Mut gesprochen worden, es würde ihn auch hier brauchen. Die nationalistischen Kräfte in Serbien sind nach wie vor sehr stark und der Unwille, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinanderzusetzen, wobei wir das natürlich aus Deutschland kennen. Wir sollten nicht auf dem hohen Ross sitzen: Bis in Deutschland selber die eigenen Prozesse, der Auschwitz-Prozess geführt wurde, hatte es auch fast 20 Jahre gedauert. Also insofern wissen wir aus eigener Erfahrung, dass so ein Prozess so unendlich schmerzhaft ist, sich mit dem auseinanderzusetzen, was zivilisierte Nationen eigentlich gar nicht fassen können, dass das aus ihnen heraus, so eine Unmenschlichkeit, so viel Monströses zum Vorschein gekommen ist.
    Zurheide: Wie wichtig ist die Bezeichnung als Völkermord? Bundespräsident Gauck hat das Wort in den Mund genommen, viele andere auch. Müsste es sozusagen die offizielle Bezeichnung Völkermord geben, würde das helfen?
    Beck: Also es gibt sie ja international, durch internationale Gerichte festgehalten. Man kann natürlich sagen, es ist ein Kampf um Begriffe, aber es bedeutet schon, dass anerkannt wird, dass ganz gezielt eine Gruppe von Menschen, die als ethnische bezeichnet wird, herausgegriffen wird, um sie wirklich zu vernichten. Und das ist noch mal eine andere Qualität, als zu sagen: Es hat Verbrechen an Menschen gegeben. Es hat schon im Bereich der Aufarbeitung eine bedeutende Rolle. Wir haben erlebt, wie schwer die Türkei sich tut, den Völkermord an den Armeniern zu akzeptieren, und es ist schon etwas, was noch mal bedeutet, noch mal stärker in die Untiefen der eigenen politischen Vergangenheit und auch der Verantwortlichkeit hineinzuschauen.
    Zurheide: Gerade wo wir vorhin über Griechenland geredet haben – überwiegend über die ökonomischen Dinge, aber es stehen ja auch viele politische Dinge auf dem Spiel –, könnte man auch angesichts dieser Situation fragen: Welche Lehren können wir heute oder müssen wir heute in Europa ziehen aus dem, was vor nur 20 Jahren dort passiert ist?
    Beck: Es ist eine Lehre für die internationale Gemeinschaft und besonders für die UN, dass sie nicht Soldaten und Missionen in Regionen schicken kann, wo im Grunde genommen schon etwas ganz anderes passiert. Es war bei Srebrenica ein friedenserhaltender Einsatz, es war aber Krieg im Land. Also in Bosnien gab es Krieg, und die UNO-Soldaten werden in einen friedenserhaltenden Einsatz geschickt, ...
    Zurheide: Also es war eine Mission Impossible?
    "Die Mandate müssen zu dem passen, was sich in den Ländern abspielt"
    Beck: So ist es. Man darf nicht das Falsche benennen und auch dann nur von der Missionsbeschreibung das Falsche schicken. Die armen Holländer, die 600 Soldaten, die dann mit der Schuld belastet gewesen sind, dass aus ihren Händen die Männer entführt und ermordet worden sind, waren eben nur zum Teil schuldig. Schuldig sind auch die UN-Staaten gewesen, die diesen Soldaten die Luftunterstützung, die ja angefordert war, verwehrt haben. Wir wissen heute, dass die Flugzeuge in Sizilien aufgestiegen sind der NATO, dass sie aber abgedreht haben – weshalb, ist bis zum heutigen Tag nicht ganz geklärt. Also wenn man in so einen Einsatz geht international, dann muss er auch stimmen für das, was wirklich passiert, und man darf sich nicht vorbeimogeln und etwas schöner reden, was eigentlich schon viel dramatischer ist.
    Zurheide: Das heißt, im Zweifel auch mit Waffengewalt – und das sagt die Grüne Marieluise Beck. Hallo?
    Beck: Ja, ich bin noch da. Sie haben mir das in den Mund gelegt. Ich würde sagen, die UNO muss sich dann einigen darauf: Was ist nötig, um dieses Morden entweder von vornherein zu verhindern, oder eben tatsächlich zu beenden? Wir denken ja kaum an 1994, ein Jahr vor Srebrenica, wo in Ruanda ebenfalls ein dramatischer Völkermord stattgefunden hat und dort belgische UN-Soldaten zugeschaut haben oder zuschauen mussten, weil das Mandat, das der UN-Sicherheitsrat ausgesprochen hatte, nicht ausreichend und nicht tauglich war für diese Brutalitäten und für dieses Morden, was dann stattgefunden hat. Also die Mandate müssen zu dem passen, was in den Ländern wirklich sich abspielt. Das ist die Lehre.
    Zurheide: Frau Beck, ich bedanke mich ganz herzlich heute Morgen für das Gespräch zum Völkermord in Srebrenica. Danke schön, auf Wiederhören!
    Beck: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.