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Maßloses Poem

Terence Malick dreht nur wenige, dafür aufsehenerregende Filme. In "The Tree of Life" mit Brad Pitt und Sean Penn, Gewinner der Goldenen Palme beim Filmfestival von Cannes, webt er eine kleine Familiengeschichte in den großen Strahl des Lebens.

Von Christoph Schmitz | 12.06.2011
    "Wo ist Dad? Auf Geschäftsreisen."

    So kann das Leben nur schön werden. Kaum ist der Vater fort, wird alles leicht. Die Last einer strengen Erziehung fällt ab, die Aura der unbeschwerten Mutter befreit die drei Kinder von allem Druck, mit dem der Vater seine Familie auf Leistung und Erfolg trimmen will. Die Kindheit in den 50er-Jahren irgendwo im mittleren Westen der USA kann sehr beschwerlich sein. Die Frau steht für andere Werte. Feenhaft und entschieden zugleich gespielt von Jessica Chastain.

    "Helft einander. Liebt einander. Jeden. Alles. Jedes Blatt. Jeden Lichtstrahl."

    Dieser sanft gesprochene Appell vermag den ehrgeizigen Vater O'Brien in seinem Drill kaum zu beschwichtigen. Die Söhne sollen auf das Leben gut vorbereitet werden. Brad Pitt gießt die Freundlichkeit seines jungenhaften Gesichts in die Härte von Kieselsteinen.

    "Komm! Schlag zu! Schlag! Schlag mir ins Gesicht!"

    Regisseur Terrence Malick inszeniert die protestantische Leistungsethik der amerikanischen Mittelschicht in zahlreichen präzise choreografierten Szenen. Kurze Schlaglichter auf eine Kultur der Härte, im Glauben, dass, wer kämpft, mit Glück gesegnet wird. Dabei wollte dieser strenge Vater eigentlich einmal Musiker werden. Immer wieder legt er Schallplatten auf und füllt das Haus mit klassischer Musik. Er spürt ihre Schönheit, vertraut ihr aber nicht. Sein Leben setzt er auf Wille und Macht.

    "Toscanini hat mal ein Stück 65 mal aufgenommen. Weißt du, was er gesagt hat, als er fertig war? Hätte man besser machen können. Überleg mal. 27 Patente hat dein Vater. Das bedeutet Eigentum. Geistiges Eigentum. Das muss man sich sichern. Das muss man bei den Eiern packen. Da kann man reich werden. Jeder ist seines Glückes Schmied. Jeder hat sein Schicksal in der Hand."

    Der Tod beweist das Gegenteil. Einer der Söhne der O'Briens stirbt plötzlich. Und mit dem Tod und dem Schmerz brechen die großen Fragen in die Geschichte: Warum trifft es dieses unschuldige Kind? Wo ist das geliebte Wesen nun? Wohin gehen wir, woher kommen wir, wer sind wir?

    Und in diesem Moment reißt Terrence Malick den Filmhimmel der amerikanischen 50er-Jahre-Provinz förmlich auf und schleudert sie in eine kosmische Totale. Rätselhafte Lichtnebelsequenzen waren bereits zuvor schon aufgetaucht. Jetzt verdichten sie sich zu kosmischem Staub, aus dem Sterne entstehen, der Weltraum, die Erde, wo Feuersäulen aufsteigen, Ozeane aufschäumen und Leben entsteht. Atemberaubende Bildkaskaden der Evolution über 20 Minuten.

    Darin: Ein erster Akt der Güte, wenn ein Raubsaurier einen darniederliegenden Artgenossen verschont. So wie Terrence Malick die kleine Familiengeschichte in den großen Strahl des Lebens webt, zeigt er sich einmal mehr als überragender Kinokünstler. Auch die Gegenwart hat er im Blick: Jack, der Sohn der O'Briens, erinnert als erfolgreicher Manager im Labyrinth gläserner Unternehmenskathedralen Szenen seiner Kindheit und seiner Existenz, intensiv gespielt von Sean Penn.

    "Führe uns bis ans Ende der Zeit. Wer nicht liebt, dessen Leben fliegt an ihm vorbei."

    "The Tree of Life" ist ein maßloses Poem, ein visueller Hymnus auf das Leben. Der Film umkreist nichts Geringeres als die wundersame Existenz des Menschen im Universum. Und er ist zugleich ein Klage über den Tod in einer von Vitalität geradezu überbordenden Welt. Manche Szenen dieser Bildsymphonie mögen zu perfekt, zu hochglanzartig ausgeleuchtet, manche Sätze zu raunend aus dem Off gesprochen sein - aber wenn ein Künstler so viel wagt, kann er auch überzeugen, wenn nicht alles glückt.