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Maßnahmen gegen Ärztemangel
Ärztekammer-Präsident: Auswahl zum Medizinstudium nicht nur nach Noten

Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Theodor Windhorst, hat sich im Dlf für mehr Medizinstudienplätze und für eine Lockerung des Numerus clausus ausgesprochen. Die Auswahlverfahren müssten mehr nach Eignung und Leistung gehen und vorausgegangene Tätigkeiten viel stärker berücksichtigen.

Theodor Windhorst im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 29.12.2018
    Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ãrztekammer Westfalen-Lippe
    Ärzte aus dem Ausland zu holen sei Wahnsinn, sagte Theodor Windhorst im Dlf (imago / Rüdiger Wölk)
    Jürgen Zurheide: Im Gesundheitssystem gibt es viele Baustellen, das wissen wir alle, obwohl unter dem Strich das deutsche Gesundheitssystem immer noch viel besser als andere ist. Allerdings, über ein Thema ist ganz besonders in diesem Jahr diskutiert worden: der Ärztemangel auf der einen Seite. Aber noch viel deutlicher ist der Mangel an Pflegekräften. Die Politik verspricht immer wieder Verbesserungen, aber oft stehen die dann nur auf dem Papier.
    Was kann, was muss in der Praxis passieren? Einiges. Darüber wollen wir reden mit Theodor Windhorst, dem Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Windhorst!
    Theodor Windhorst: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Windhorst, beginnen wir mal mit dem "Mehr Personal in Kliniken". Ulrich Montgomery hat das jetzt gefordert, man bräuchte mehr Ärzte. Ich habe den Eindruck, wir brauchen mehr Pfleger. Was stimmt denn nun.
    Windhorst: Wir bauchen beides, da liegt die Wahrheit. Wir haben in den letzten fünf Jahren ungefähr 40.000 Plätze in der Pflege abgebaut, aus kostentechnischen Gründen, nehme ich mal an. Bei den Ärzten ist es so, da haben wir eine riesige Initiative gemacht, Ärzte aus dem Ausland zu bekommen. Wir haben in Griechenland Initiativen gemacht, in Rumänien. Wir haben in Nordrhein-Westfalen mittlerweile 8.000 Ärzte mit Migrationshintergrund, ohne die wäre unser Gesundheitssystem hier in Nordrhein-Westfalen schon allein nicht mehr aufrechtzuerhalten.
    "Es ist der pure Wahnsinn"
    Zurheide: Auf der anderen Seite kann das ja keine Lösung sein, die Menschen aus dem Ausland zu holen. Die fehlen ja dann da im Zweifel auch. Und wenn ich hier so Berichte lese, gestern habe ich noch eine Überschrift gefunden, da heißt es einfach nur, "Es regiert der Wahnsinn". Ist das wahnsinnig, was wir da machen?
    Windhorst: Es ist der pure Wahnsinn. Warum? Wir haben ein Land, das prosperiert. Wir sind in Nordrhein-Westfalen zurzeit – das kann sich natürlich ändern – auf einer guten Wirtschaftsebene, und wir haben die Möglichkeit schon für die 50.000 Wartenden auf einen Studienplatz in Medizin, die Möglichkeit, doch vielleicht einen Studienplatz zu bekommen. Wir machen es nicht und nehmen aus dem Ausland Kolleginnen und Kollegen, die dort fehlen, mit Sicherheit. Ich bin Schirmherr eines Krankenhauses in Rumänien, Rupir in Rebs, das müssen wir wahrscheinlich schließen, weil es dort keine Ärzte mehr gibt.
    Zurheide: Also kann das nicht die Lösung sein. Jetzt haben wir die Ärzte, wir brauchen mehr Ausbildung, da reden wir gleich noch über die Ausbildung. Ich will noch mal auf ein anderes Thema kommen, das bei Ihnen in Westfalen-Lippe, also in einem auch ländlich geprägten Raum natürlich besonders problematisch ist. Es fehlen Ärzte auf dem Land. Erst mal: Wie viel Ärzte werden Sie eigentlich in den nächsten Jahren verlieren?
    Windhorst: Wir werden ungefähr 1.400 Ärzte verlieren, die durch den normalen biologischen Weg, denn nicht nur die Patientinnen und Patienten werden älter, die Ärzte auch, verlieren. Und das Problem des Flächenlandes, das viele ländliche Strukturen hat, ist natürlich die Attraktivität des Berufs. Wir haben da versucht, sehr stark gegenzusteuern, und merken das auch mittlerweile, dass ein Minimum an Attraktivität wiedergekommen ist durch einen super funktionierenden Notfalldienst, der wirklich beispielhaft ist hier in Nordrhein-Westfalen. Wir haben die Residenzpflicht aufgelöst, das heißt, die Ärzte brauchen nicht dort zu wohnen, wo Sie arbeiten.
    Sie können also in den Städten all das, was das Urbane nicht gibt mitnehmen, Schule, Oper und alles Ähnliche, Arbeitsplätze für die Ehegatten oder auf für die Ehefrauen. Und das macht die Sache schon wieder etwas besser. Es gibt Finanzauflagen, die gelöst werden mittlerweile. Es wird viel bewegt, aber es lassen sich noch nicht alle Kolleginnen und Kollegen bewegen.
    Windhorst: Wir müssen mit den Kommunen in Kontakt kommen
    Zurheide: Was müsste denn passieren, damit es auf dem Land besser wird? Auch so die alte Vorstellung vom Landarzt, der da eben wie viele Stunden am Tag arbeitet, die ist ja vorbei. Sie haben gerade ein paar Aspekte angesprochen. Was könnte man denn tun, damit es noch attraktiver wird?
    Windhorst: Meine Initiative ist weiter, mit den Kommunen in Kontakt zu kommen. Wir haben festgestellt, dass es sich mittlerweile herumgesprochen hat, wenn man in den Städten nicht nur arbeitet, sondern dort auch wohnt – es gibt nicht gut preisgünstige Mietinitiativen. Wir haben die Möglichkeiten nicht, Kita und Schulen in der Weise zu nutzen, weil dort auch ein Überlauf an Kindern und Jugendlichen besteht. Dass wir die Kommunen aufmerksam darauf machen, es schmackhaft machen, dass man Wohnraum mietet, dass man auch diese Möglichkeiten der Kinderunterbringung nutzt.
    Wie gesagt, keine Residenzpflicht, Notfalldienst geregelt, ab 18 Uhr übernimmt eine Mannschaft die notwendige Versorgung, die dann auch gewährleistet ist. Das wird eine der großen Fragen sein, wie kann eine Rückbesinnung auf die ländlichere Gegend dadurch gelingen, dass die infrastrukturellen Voraussetzungen, Wohnen, Arbeiten und auch Kindergartenplätze und Schulplätze in einem nicht so stressigen Raum wie in den großen Städten zu bieten.
    "Im Moment ist der Trend klar, eine Abkehr von der Freiberuflichkeit"
    Zurheide: Wird denn insgesamt nicht auch es mehr Gemeinschaftspraxen geben müssen, wo also Ärzte sich zusammenschließen. Der Alleinkämpfer vor Ort, das ist ja das alte Bild des Arztes gewesen, der wird doch auf Dauer so nicht überleben können – oder sehen Sie das nicht so?
    Windhorst: Im Moment ist der Trend klar, eine Abkehr von der Freiberuflichkeit, sage ich etwas vorschnell. Denn die Freiberuflichkeit ist ja die, dass ich allein verantwortlich bin nicht nur für Finanzierung und auch für das Personal und für den gesamten Ablauf. Man möchte gern im Team zusammenarbeiten. Dem gehen wir auch nach. Die MVZs blühen im Moment.
    Zurheide: Das sind Medizinische Versorgungszentren.
    Windhorst: Das hat nur einen Haken. Wir haben einen Trend im Moment, den wir wirklich beobachten müssen. Die MVZs werden umgewidmet durch Verwaltungsgenossenschaften in eine Genossenschaft, die sich abkehrt von der Freiberuflichkeit und die der Renditegewinnung sich widmet. Und da müssen wir sehen, dass wir das unterbinden. Es gibt MVZ Der Arzt, Verwaltungsgenossenschaft eG., die sehr stark hausärztliche Praxen aufkauft im Moment, um der Kommerzialisierung der Medizin weiter Vorschub bieten zu können. Das müssen wir definitiv unterbinden.
    Zurheide: Wie können Sie das unterbinden?
    Windhorst: Man wird sehen, ob die Zulassungsverantwortlichen in den KVen –
    Zurheide: Kassenärztliche Vereinigungen sind das.
    Windhorst: Kassenärztliche Vereinigungen – dass die mehr Zugriff haben, auch MVZs wieder zurück zu regulieren. Es muss ja immer ein Versorgungsauftrag hinter einem MVZ stehen und hinter einem Praxisplatz, der dort ist. Im Moment können die Praxisplätze nicht zurückgebracht werden in den Bereich der KVen, sondern nur aufgekauft werden. Aber das wird man sicherlich mal ändern müssen, dass dort auch der Beginn in dem Terminservicegesetz, das ist ein Omnibus-Gesetz-Schwanz hintendran gesetzt worden. Dort wird schon gesagt, dass das Land etwas mehr Zugriff hat für diese Vergabe. Und die Rücknahme und das Schließen auch von Medizinischen Versorgungszentren.
    "Auswahlverfahren nach Eignung und Leistung"
    Zurheide: Was ist denn bei den Studienplätzen? Sie haben das vorhin mal angesprochen. Wir brauchen mehr Ärztinnen, Ärzte, das heißt, die Menschen müssen erst mal hier studieren können. Jetzt fangen wir damit an. Wie werden die Studienplätze vergeben. Wir alle wissen, nach der Abiturnote – ich weiß nicht, was Sie damals für eine Abiturnote hatten, um Medizin studieren zu können, ob Sie uns das heute Morgen verraten. Aber dass das nicht unbedingt das richtige Auswahlkriterium ist, das ist wahrscheinlich richtig, oder?
    Windhorst: Für mich ist es ein Auswahlkriterium, das dafür spricht, ein akademisches Studium zu beginnen, aber alles andere nicht. Und deswegen wäre ich auch froh, wenn solche Initiativen, die die Kultusministerkonferenz jetzt gerade verschriftlicht hat, absolut in den Orkus geschickt wird, dass man nämlich noch stärker auf eine Numerus-clausus-Situation fußt.
    Es sollen 20 Prozent der Plätze, die jetzt für den Numerus clausus bereitgestellt werden, auf 30 erhöht werden. Begründung: Man hat einen sehr teuren Studienplatz, der dann aber auch konsequent genutzt wird. Aber gleichzeitig werden die Kultusminister nicht untätig, zehn Prozent von Überhaupt-nicht-Abiturienten dort zuzulassen, die wahrscheinlich dann auch mit dem Studium ihre Probleme haben und den teuren Arbeitsplatz und Studienplatz dann belegen. Also da muss noch mehr passieren, dass die Auswahlverfahren nach Eignung und Leistung sind, nach vorausgegangenen Tätigkeiten viel stärker noch betont wird. Da sind auch gute Überlegungen mittlerweile. Der Numerus clausus ist der Zugang zu einem akademischen Studium. Punkt. Mehr nicht.
    Zurheide: Das war ein klares Plädoyer von Theodor Windhorst, dem Präsidenten der Ärztekammer in Westfalen-Lippe für mehr Ausbildung und vor allen Dingen nicht nur nach Noten. Ich bedanke mich herzlich dafür heute Morgen, Danke schön und tschüs!
    Windhorst: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.