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Master of Swing

Der amerikanische Klarinettist Artie Shaw war eine Ikone des Swing kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Das US-Magazin "Time" schrieb damals, für viele Deutsche bedeuteten die USA vor allem "Wolkenkratzer, Clark Gable und Artie Shaw".

Von Simonetta Dibbern | 23.05.2010
    Eine Bigband mit gestopften Trompeten und swingendem Bass. Und der Bandleader singt auf der Klarinette eine Melodie, die das Herz berührt.
    Begin the Beguine. Mit diesem Song wird er auf einen Schlag weltberühmt, im Sommer 1938: Artie Shaw. Klarinettist, Arrangeur und Komponist. Ein Superstar der Swing-Ära. Und einer der erfolgreichsten Musiker der Jazzgeschichte. Er hat das Swingfieber angeheizt, ohne selbst zu verbrennen. Und mit dem Showgeschäft gespielt zu einer Zeit, als noch kaum einer das Wort kannte. Ein gewitzter und intelligenter Querdenker, der sich von Ruhm und Geld nicht verführen ließ. Und dem nicht einmal sein Instrument heilig war: die Klarinette. Ein Stück Holz mit Löchern drin.

    Geboren wird er am 23. Mai 1910 als Arthur Jacob Arshawsky, ein Sohn ostjüdischer Einwanderer, im US-Bundesstaat Connecticut. Er spielt Klarinette und Altsaxophon in der örtlichen High School und geht als junger Mann nach New York. Arbeitet als einer von vielen Studiomusikern - bis zu seinem ersten legendären Auftritt 1936 unter eigenem Namen: an einem Swing-Abend im Imperial Theatre.

    An diesem Abend beginnt die Blitzkarriere von Artie Shaw: auf einmal will jeder ihn hören. Das Downbeatmagazine kürt ihn zum King of Swing, mit seinem Orchester verdient er bis zu 50.000 Dollar pro Woche. Und er bedient den Markt – allerdings ohne seinen eigenen Kopf aufzugeben: seine musikalischen Vorbilder sind Claude Debussy und Igor Strawinsky, immer wieder bringt er mit kammermusikalischen Arrangements die Swingtänzer zum Zuhören. Und er ist der erste weiße Bandleader, der gegen den Widerstand der Clubbesitzer schwarze Musiker engagiert, den Trompeter Roy Eldridge etwa. Oder die Sängerin Billie Holiday – für sie hat Artie Shaw eigens einen Song geschrieben, um sie in seiner Band willkommen zu heißen: "Any old time".

    Um Konkurrenten muss Artie Shaw sich keine Sorgen machen: der Musikmarkt ist Ende der 30er-Jahre groß genug für viele Swingorchester – und anders als sein Musikerkollege Benny Goodman ist Artie Shaw weder am Ruhm noch an einer musikalischen Karriere ernsthaft interessiert: eigentlich will er Schriftsteller werden, nebenbei studiert er Literatur an der Columbia University, liest Thomas Mann und Dostojewsky. Und der Musikgeschmack des breiten Publikums langweilt ihn zunehmend:

    "Ich weiß nicht, was das bedeutet: Jazz. Ich hasse dieses Wort. Alles, was sie hören wollen ist Begin the Beguine."

    Oder Stardust. Summertime. Frenesi – mehr als 400 Aufnahmen hat Artie Shaw gemacht, dann zieht er sich vom Musikgeschäft zurück: 1954 hat er seinen letzten öffentlichen Auftritt als Bandleader, 44 Jahre alt. Er schreibt einen halbautobiografischen Roman: "The trouble with Cinderella" und veröffentlicht zwei Bände mit Kurzgeschichten.

    Er lebt abwechselnd in Spanien und an der amerikanischen Westküste und widmet sich seinem Privatleben: acht Mal hat er geheiratet. Schüchtern ist er nicht – doch er hasst bis zuletzt jede Art von Publicity und gibt so gut wie keine Interviews. Am 30. Dezember 2004 stirbt Artie Shaw in Los Angeles, im Alter von 94 Jahren. Manche seiner Kompositionen jedoch werden immer wieder neu entdeckt – unter anderem seine persönliche Erkennungsmelodie: Nightmare.