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Masterplan EMS 2050
Schlick raus, Fische rein!

In Papenburg im Emsland laufen regelmäßig riesige Kreuzfahrtschiffe vom Stapel. Damit sie auf ihrem Weg ins Meer nicht auf Grund laufen, wurde der Unterlauf der Ems begradigt und vertieft. Darunter leidet das Ökosystem. Der Masterplan Ems 2050 soll Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen.

Von Volker Mrasek | 26.06.2018
    Der jüngste Kreuzfahrtschiff-Neubau der Meyer-Werft in Papenburg (Niedersachsen), das Schiff "World Dream", wird am 17.09.2017 auf der schmalen Ems in die Nordsee überführt.
    Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen: Der Masterplan Ems 2050 soll es richten (picture alliance / Mohssen Assanimoghaddam / dpa)
    Meterhohe Schichten aus Schlick, mehr flüssig als fest - sie sind das große Problem im Unterlauf der Ems. Dort, wo der Fluss noch schmal ist, bevor er bei Emden in den Dollart übergeht, eine große Meeresbucht, und schließlich in die Nordsee mündet. Man spricht auch von einem Gezeiten-beeinflussten "Ästuar". Der Hydrobiologe Dirk Post vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz:
    "Die Flut bewegt sich in das Land hinein, die Ebbe führt das Wasser wieder aus dem Land heraus. Normalerweise würde sich unter diesen Verhältnissen kein Schlick in dem gesamten Fluss ansammeln. So, wie die Ems früher auch 'mal war."
    Doch seit über 20 Jahren ist die Tide aus dem Takt. Seit die Ems oberhalb von Emden auf einer Strecke von rund 40 Kilometern begradigt und ihre Fahrrinne vertieft wurde - vor allem für die riesigen Kreuzfahrtschiffe aus der Meyer-Werft in Papenburg. Dadurch fällt es der Flut heute leichter, landeinwärts vorzudringen. Ihre Strömung hat sich intensiviert und wirbelt mehr Bodensedimente auf, mit der Folge, dass die Flut mehr Schlick in die Ems hineintragen, als die Ebbe wieder hinaustragen kann, erklärt Dirk Post:
    "Über den Sommer werden die Ökosysteme im Fluss durch den Schlick zugedeckt. Die Tiere haben wenig Sauerstoff zur Verfügung, und dementsprechend gibt es weite Strecken im Fluss, wo man fast keine Organismen mehr findet."
    Wegen Verstoß gegen Umweltgesetze drohen Strafzahlungen
    Weil die EU-Kommission darin einen Verstoß gegen Wasser- und Naturschutzgesetze sieht und mit Strafzahlungen drohte, gibt es inzwischen den "Masterplan Ems 2050", angeschoben von der niedersächsischen Landesregierung. Thorsten Kuchta ist Sprecher der Initiative, bei der auch die Umweltverbände mit im Boot sitzen: "2050 ist eine realistische Einschätzung zur Zeitspanne, die man braucht, um ein solches Ästuar wieder in einen ökologisch haltbaren Zustand zu bringen."
    Eine entscheidende Rolle spielt dabei das Ems-Sperrwerk in der Nähe von Emden. Bisher staut es den Fluss immer dann auf, wenn Kreuzfahrtschiffe mit ihrem starken Tiefgang in die Nordsee überführt werden. In Zukunft soll das auch geschehen, um den Flüssigschlick wieder aus der Unterems herauszubekommen. Das Ganze nennt sich "flexible Tidesteuerung". Bei Flut schließen die Tore immer 'mal und bremsen so den Sedimenteintrag in die Ems, bei Ebbe stehen sie offen, so Thorsten Kuchta: "Wir gehen davon aus, dass wir die flexible Tidesteuerung 2022 in Gang bringen."
    Das Problem dabei: Die Ems wird jedes Jahr von rund 7.000 Schiffen befahren, und derzeit stehe das Sperrwerk praktisch immer offen, sagt Kuchta: "Es gibt zum Beispiel Szenarien, nur nachts zu sperren oder nur am Wochenende und quasi die Tagzeiten auszulassen, um sie für die Schifffahrt weiter offenzuhalten. Die Arbeitsgruppen sind dabei, das alles auszuarbeiten. Aber das Ziel, beides in Einklang zu bringen, steht fest."
    Ein Computermodell simuliert den Sedimenttransport
    Wichtigstes Hilfsmittel dabei ist ein Computermodell, mit dem sich Sperrwerksschließungen und Sediment-Transporte im Fluss simulieren lassen. Das aber gab es nicht von der Stange, wie Andreas Wurpts sagt, Leiter der Forschungsstelle Küste auf Norderney. Stattdessen arbeitet der Küstenbauingenieur jetzt mit einem erweiterten Modell, das den Transport des Flüssigschlicks unter der Gezeitenströmung berücksichtigt:
    "Ich gehe davon aus, dass mit der Einführung der Tidesteuerung es nicht lange auf sich warten lassen wird, bis auf jeden Fall diese Flüssigschlick-Problematik der Vergangenheit angehört."
    Der Schlick im Fluss ist das eine, verschwundene Lebensräume im Uferbereich das andere, wie Thorsten Kuchta betont: "Wenn man einen so vertieften Fluss hat wie die Ems, wo quasi die Fahrrinne fast so breit ist wie der Fluss selbst, dann ist es natürlich Essig mit Flachwasserzonen. Und deswegen muss man sehen, dass man die künstlich wieder anlegt."
    Neue Überschwemmungsflächen - ein Teil der Lösung
    Auch das wird jetzt konkret in Angriff genommen. Im Landkreis Leer soll ein erster sogenannter Tidepolder wieder für Ebbe und Flut geöffnet werden. Heute ist die Fläche noch eingedeicht. Sie misst 30 Hektar, so viel wie 50 Fußballfelder. Thorsten Kuchta: "Also bei Fischen, geht man davon aus, dass sie reinkommen. Aber auch zum Beispiel Röhricht-Brüter, solche Vögel, die das Röhricht brauchen, um dort versteckt brüten zu können. Das Planfeststellungsverfahren soll in diesem Sommer eingeleitet werden und wir rechnen damit, dass wir 2019 mit den Baumaßnahmen anfangen."
    Das ist nur der Anfang. Bis 2050 sollen schrittweise noch viele solche Überschwemmungsflächen an der Unteren Ems entstehen - insgesamt bis zu 500 Hektar. Alle sechs Monate müssen die Masterplan-Macher der EU-Kommission Bericht erstatten. Bisher ist Brüssel mit den Fortschritten offenbar zufrieden. Und auch Biologe Dirk Post hofft, dass der Spagat zwischen Ökologie und Ökonomie an der Ems letztlich gelingt:
    "Ich kenne die Ems noch zu Zeiten, wo sie noch ein klarer sandiger Fluss war. Und so ähnlich würde ich sie mir vorstellen. Ob wir das erreichen werden, das werden wir sehen. Aber wir arbeiten dran."