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Mata Hari in der "Novaja Gazeta"

Redaktionen in Russland haben in letzter Zeit eine ganz besondere Art von Problemen: Offensichtlich gibt es Versuche, systematisch ihre Glaubwürdigkeit zu beschädigen.

Von Thomas Franke | 20.07.2013
    Sie haben sie Mascha Chari genannt, nach der berühmten Spionin Mata Hari. Doch diese Spionin war nur ein kleiner Spitzel, eingeschleust als Praktikantin bei der unabhängigen russischen Zeitung Novaja Gazeta. Sie sei recht bald aufgeflogen, sagt Redakteur Valerij Schirjajew.

    "Sie ist 28 Jahre. Das war keine Praktikantin. Sie hat zwei abgeschlossene Ausbildungen, als Schauspielerin und als Journalistin. Sie war einverstanden, kostenlos zu arbeiten, die ersten zwei bis drei Monate. Weil ihr die 'Novaja Gazeta' so sehr gefällt. So sehr, dass sie extra aus St. Petersburg nach Moskau gezogen ist."

    Mascha Chari kopierte Daten, offensichtlich im großen Stil. Ihr Ziel waren Beweise, dass Artikel in der "Nowaja Gazeta" käuflich seien. Das gab sie später zu. Sechs Monate habe die Redaktion sich das angeschaut, sagt Schirjajew. Sie hätten die spionierende Praktikantin mit unwichtigen Daten gefüttert, mehrere Terrabite.

    "Das war ein Spiel. Wie in Agentenfilmen. Wir haben sie dann als Doppelagentin geworben. Das hab ich gemacht, hier in diesem Büro. Sie hat uns später erzählt, wie sie hier herkam, dass Prigoschin sie persönlich begleitet hat, ihr die Hand gedrückt und ihr Erfolg gewünscht hat."

    Prigoschin ist die Schlüsselfigur in diesem Skandal. Jewgenij Prigoschin ist Koch im Kreml und betreibt das Catering Unternehmen Concorde. Und er gilt als Putinfreund.

    Er hat sich schon oft über Journalisten geärgert. Es gibt diverse Artikel, in denen er nicht gut wegkommt. So wies ihm zum Beispiel die "Novaja Gazeta" nach, an einem Propagandafilm des kremlnahen Senders NTW gegen die Protestbewegung mitgewirkt zu haben. Der Film sollte belegen, dass die Proteste mit mehr als 100.000 Teilnehmern von den USA bezahlt und organisiert waren.

    Das Wirtschaftsblatt "Forbes" schrieb über einen Auftrag in Höhe von umgerechnet zwei Milliarden Euro, den der Kremlkoch bekommen hat, um die Armee und Schulen mit Fertiggerichten zu beliefern.

    Was dann passierte, wirkt wie Rache:

    Ein Mann wandte sich an "Forbes" und kaufte Platz im Heft. Der Artikel war als Werbung gekennzeichnet, insofern war journalistisch offensichtlich alles sauber. Aber der Mann filmte die Verkaufsgespräche über die Reklame mit versteckter Kamera. Bei NTW lief dann ein Film mit dem mutmaßlichen Beweis, dass Artikel bei "Forbes" käuflich seien. Im Fernsehbeitrag trat dann ein Mann auf und erläuterte:

    "Die Idee entstand einfach. Ich saß im Herbst mit Freunden zusammen, und wir haben darüber geredet, dass viele Zeitungen käuflich sind. Einige sagten, Nein, wir schreiben die Wahrheit, andere nicht. So entstand ein Streit. Und ich hab gesagt: Wir werden ja sehen, ich prüfe das nach."

    Der Sender NTW gehört zum Staatskonzern Gazprom und ist in Russland dafür bekannt, dass er die Wahrheit verbiegt.

    "Forbes" ist in Russland Ärger gewohnt. Immer wieder kommt es zu Prozessen. Es gab auch schon Hackerangriffe. Der Axel Springer Verlag, der "Forbes" in Russland in Lizenz herausgibt, ist trotz mehrfacher Nachfrage in den letzten zwei Wochen zu keinerlei Stellungnahme bereit. Warum auch immer.

    Ähnliches wie bei "Forbes" und der "Novaja Gazeta" geschah auch in den Massenblättern "Komsomolskaja Prawda" und "Moskowskij Komsomolez". Schirjajew von der "Novaja Gazetta" vermutet, dass solche Fälle genutzt werden sollen, um das Vertrauen in den Journalismus insgesamt zu zerstören und das Mediengesetz zu verschärfen. Der russische Journalistenverband veröffentlichte eine Stellungnahme:

    "Die Mehrheit unserer Kollegen erfüllt ehrlich ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft. Wir fordern, die Provokationen der Medien zu beenden, die Auftraggeber zu benennen und sie gesetzlich zur Verantwortung zu ziehen."

    Rechtliche Schritte unternimmt die "Novaja Gazeta" bisher nicht.