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Mathe-Unterricht mit Spaßfaktor

Wie war das noch mal mit dem Satz des Pythagoras? Wie lässt sich das Quadrat einer mehrgliedrigen Summe ausrechnen? Nicht jeder hatte seine helle Freude beim Mathe-Unterricht in der Schule. Doch PISA brachte es an den Tag: Deutschlands Schülerinnen und Schüler bringen im internationalen Vergleich ganz ordentliche Noten in Mathematik nach Hause.

Von Thomas Wagner | 05.01.2008
    Auf den ersten Blick hat sich nicht viel verändert. Mit Kreide schreibt Mathelehrer Holger Foggel Zahlen, Wurzel- und sonstig für den Laien geheimnisvolle Zeichen an die Tafel.

    "Also was siehst Da hier? Ein halbes, gleichseitiges Dreieck. Und die e Seite ae wäre dann e. Wie viele Dreiecke seht ihr noch? Ich möchte Euch einfach mal Zeit lassen, dass Ihr mal versucht, cd, hier oben dieses kleine Stück, zu berechnen, probiert's mal aus."

    Stille im Klassenraum der Realschule Überlingen. Alle 32 Schülerinnen und Schüler brüten über dieser Aufgabe.

    "Also wir bereiten die Klasse hier auf die Abschlussprüfung der Realschulen in Baden-Württemberg vor, auf die Mittlere Reife. Und das ist gerade der schwierigste Teil, den wir gerade machen. Das sind so genannte Wahlaufgaben, b-Teile, die dann drüber entscheiden, ob die Schüler Richtung eins geht. Also es ist schon relativ abstrakt vom Denken her."

    Doch das Brüten hat bald ein Ende. Fünf Minuten - und die ersten Schüler präsentieren die Ergebnisse. Doch nicht nur das...

    "Also ich finde: Mathe macht auch Spaß. Ich find's jetzt nicht so schwer. Vielleicht liegt's auch am Lehrer. Wenn der das Fach gut rüberbringt, macht das eben Spaß. Und wenn er's schlecht rüberbringt, dann macht das Fach halt keinen Spaß."

    meint Zehntklässlerin Tina Frohner. Gerade im Mathe-Unterricht ist mit Büffeln und Auswendig-Lernen wenig gewonnen. Es geht um das Verstehen abstrakter Sachverhalte - und da ist der Lehrer mit pädagogischem Sachverstand gefragt. Karina Maissgaier, ebenfalls Zehntklässlerin aus Überlingen:

    "Der Lehrer ist schon wichtig. Ich hatte schon andere, und da hat es mir nicht so viel Spaß gemacht. Der nimmt sich halt auch Zeit, und er erklärt das auch nochmals. Man kann immer hinkommen, wenn man es nicht verstanden hat. Und da wird man nicht gleich angemault, wenn man das nicht verstanden hat. Und dann traut man sich auch mehr hinzugehen."

    Während die Klasse über den Aufgaben brütet, geht Mathe-Lehrer Holger Fofgel immer wieder zu einzelnen Schüler, bespricht mit ihnen in gedämpftem Tonfall Lösungswege.

    "Sicherlich ist es früher mehr Frontalunterricht gewesen, der im Mittelpunkt stand. Sicherlich war es weniger problemlösendes Lernen vielleicht. Sondern der Lehrer stand oft halt nur vorne, hat die Aufgabe vorgerechnet."

    Dem setzt Holger Vogel sein Konzept der Gruppenarbeit und der persönlichen Betreuung entgegen:

    "Ich denke, das ist zwingend notwendig. Wir haben hier 32 Schüler. Wir haben hier alle Leistungsstufen drin. Wir haben welche, die sind sehr gut, die sind ruckzuck fertig mit den Aufgaben. Wir haben andere, die brauchen halt Hilfe. Und wenn wir differenzieren wollen, geht das nur durch diese Art des Unterrichtes."

    Zwar arbeiten die Schüler immer noch mit Zirkel, Geo-Dreieck und Taschenrechner - den klassischen Hilfsmitteln des Mathe-Unterrichtes. Daneben baut Holger Vogel behutsam aufs Internet:

    "Also ich werde Euch jetzt über die Ferien auf der Homepage noch Aufgaben hoch laden, auch mit Lösungen und Übungen Also, ihr wisst ja alle wie Ich's machen müsst - guckt einfach mal drauf."

    "Meine Idee war: ich habe zusammen mit einem ehemaligen Schüler eine Homepage gemacht. Da können sich die Schüler einloggen und Materialien selber runterladen, also gerade freiwillige Übungsaufgaben, Lösungen auch dazu. Und das wird von den Schülern unglaublich gut angenommen. Sie sind stolz darauf, dass sie das machen können und arbeiten dann auch ein wenig motivierter."

    Gleichwohl: Der Mathe-Unterricht ist nach wie vor keine Spaß-Veranstaltung. Und manchmal wissen die Schüler nicht so genau, wozu sie das alles Büffeln.

    Für das, was Tina Frohner später einmal werden will, geht's wahrscheinlich auch ohne Satz des Pythagoras.

    "Also Kosmetikerin - also dazu braucht man's jetzt nicht so. Also jetzt Prozentrechnen kann man schon gut gebrauchen hinterher, aber viele Sachen kann man hinterher nicht gebrauchen, vielleicht nur für bestimmte Berufe."

    "Ja, vielleicht ein bisschen einfacher machen. Zum Beispiel das mit der Abhängigkeit von e, was wir ja gerade machen - das ist, glaube ich, nicht so wichtig. Das könnte man weglassen Mit normalen Zahlen reicht das ja schon. Ja, also so Bruchrechnen, alles übergreifen so ein bisschen."

    ergänzt Zehnklässler Markus Waibel. Der Wunsch der Schüler nach mehr Praxisbezug stößt auch bei Mathematiklehrer Holger Foggel auf offene Ohren - auch wenn er die Grundsätze von linearer Algebra und Geometrie auch in Zukunft für unverzichtbar hält. Dennoch redet er einer Entrümpelung der Lehrpläne das Wort.

    "Als Beispiel möchte ich jetzt nennen: Daten und Zufall. Es handelt sich um Wahrscheinlichkeitsrechnung und ein bisschen Statistik. Und bei der Statistik ist doch sehr begriffsorientiert. Die Schüler müssen Begriffe lernen wie Boxplot, Unteres Quartil, Oberes Quartil und so weiter. Ich weiß nicht, ob das im Sinne der Pisa-Studie ist, dass die Schüler doch eigentlich Probleme lösen lernen sollen, wenn sie jetzt hier wieder Begriffe pauken müssen, wo es doch nur die Anwendung eines reinen Formalismus ist. Also das finde ich nicht so gut. Mal sollte da mehr Wert auf Alltagsbezüge lernen, problemorientierten Stoff und weg von diesen Begriffen."

    Daneben beklagen sich gerade in der Realschule viele Mathematiklehrer über das Fehlen elementare Grundlagen. Schon in der Grundschule müsse hier mehr getan werden, findet Erhard Holler, Beratungslehrer für Mathematik an der Realschule Überlingen. Nach seiner Beobachtung tun sich viele Schüler mit Kopf- und Bruchrechnen deutlich schwerer als früher:

    "Das Zahlenverständnis sei die Grundlage für jegliche weitere Mathematik. Wenn man die Kinder mal befragt: Wie war's denn in den ersten drei, vier Klassen? Dann erlebt man manchmal, dass da erhebliche Probleme grundgelegt worden sind."