Freitag, 29. März 2024

Archiv

Matteo Renzi
"Sein wahres Naturell ist das des Verführers"

"Der Verschrotter", so nennt Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi sich selbst und gibt damit auch seinen politischen Kurs vor: Er will das politische Establishment aufrütteln. Seit Februar ist der 39-Jährige im Amt und genießt ein hohes Ansehen bei der Bevölkerung. Und seine aktuelle Biografie ist ein Bestseller.

Von Sarah Zerback | 05.05.2014
    Matteo Renzi
    Matteo Renzi - Verschrotter und Verführer (dpa / picture-alliance / Alessandro Di Meo)
    Manchmal reicht ein einziges Wort, um die Wünsche und Hoffnungen vieler Millionen Menschen in Einklang zu bringen. Mit der rottamazione – der Verschrottung – hat Matteo Renzi ein solches Wort gefunden.
    "Wir wechseln jetzt die Spieler aus! All jene, die nur an sich selbst denken, müssen verschwinden. Das ist die Verschrottung! Wir müssen das Vertrauen in die Politik zurückgewinnen, diesem wunderbaren Land wieder Glaubwürdigkeit verleihen."
    Mit dieser brutalen, aber wirkungsvollen Parole legt er im Jahr 2010 nicht nur den Grundstein für eine politische Bewegung, die die alte Garde entsorgen will, es ist auch die Geburtsstunde des Anführers Renzi. Mit einmaliger Chuzpe rechnet er sowohl mit dem politischen Gegner ab, als auch mit der eigenen Partei, die durch ständige Nabelschau und Flügelkämpfe jeden Fortschritt verhindert. Die Journalisten Simona Poli und Massimo Vanni, beide Redakteure bei der angesehenen Tageszeitung La Repubblica, zitieren Renzis Worte, mit denen er seit Monaten gebetsmühlenartig seine Position im Zentrum des Partito Democratico untermauert.
    "Führung ist doch kein Schimpfwort. Es ist allein der Chef, der den Weg vorgibt. Schließlich zählt das Schachbrett mehr als die Spielfiguren darauf. Und wer sich dem verweigert, der fliegt aus dem Spiel."
    Dieses Spiel beherrscht Renzi schon perfekt, als er – Anfang 30 und soeben zum Bürgermeister von Florenz gewählt – dem Establishment Italiens offiziell den Kampf ansagt. Es ist ein weiter, aber stringenter Weg, den die Autoren in ihrer Biografie Renzis aufzeigen – vom katholischen Pfadfinder zum beliebtesten Bürgermeister Italiens, der es schließlich bis an die Spitze des Landes schafft. Nicht zuletzt dank seiner scharfen Zunge und seiner Fähigkeit, immer das Richtige im richtigen Moment zu sagen, ohne die verschachtelten Sätze, hinter denen sich Italiens Politiker sonst so gerne verschanzen.
    "Renzi ist schnell, skrupellos, sozialisiert in den Jahren des Berlusconismus. Er benutzt die Sprache der Massen, verwendet simple logische Konstruktionen, immer zurückführbar auf Liebe-Hass, richtig-falsch, Schwarz-Weiß. Eine Polarität, die auch jenes Publikum direkt entziffern kann, das nicht in der Politik zuhause ist."
    Silvio Berlusconi ist fasziniert von ihm
    Und so erfährt der Leser mehr über das Erfolgsrezept Renzis. Sich perfekt zu verkaufen, hat er schon früh in der Marketing-Agentur seiner Familie gelernt. Wie man Wahlkämpfe gewinnt, hat er sich bei US-Präsident Obama abgeschaut. Seine Kommunikation ist unmittelbar – direkt an den Wähler gerichtet. Das Smartphone immer in der Hand, nutzt er die Sozialen Medien wie vor ihm kein Politiker im Land. Renzi habe verstanden, dass Politiker ihre Wähler nicht mehr ignorieren können, analysiert das Autorenduo. Was ihm in der eigenen Partei viel Kritik einbringe, beschere ihm den Respekt eines Gegners, den viele für die Ursache allen Übels halten. Silvio Berlusconi, Ex-Premier, Medienmogul und neuerdings verurteilter Steuersünder, ist fasziniert von dem aufstrebenden Politstar, bei dem er viel von sich selbst wiederfindet. Simona Poli und Massimo Vanni beschreiben in klaren und doch bildreichen Worten, wie der damalige Ministerpräsident versucht, Renzi zum Seitenwechsel zu überreden. Der lehnt zwar ab, sucht aber immer wieder die politische Unterstützung des Cavaliere. Und so komme sein Spitzname "der neue Berlusconi" nicht von ungefähr, erklären die Journalisten.
    "Er gibt jedem Recht, versteht alle, verzaubert alle – oder versucht es zumindest. Sein wahres Naturell ist das des Verführers. Unter diesem Aspekt ähnelt er sehr Berlusconi – auch wenn er nur halb so alt ist."
    Ebenso wie einst Berlusconi, das erkennen Poli und Vanni fasziniert an, wisse der Verführer Renzi die Stimmung im Land für sich zu nutzen. Den Wunsch nach Wandel, der die gesamte italienische Gesellschaft durchzieht. Einen Wandel, den er auch in der eigenen Partei implementiert. Basta! Schluss mit der roten Übermacht, so der Schlachtruf gegen die kommunistischen Wurzeln der PD, gegen verstaubte, tradierte Denkmodelle und gegen die führenden Köpfe, die sie vertreten. Damit macht er sich viele Feinde, die den Aufstieg des "Jüngelchens" verhindern wollen. Doch ohne Erfolg. Denn am Ende, so das Resümee der Autoren, gelingt ihm nichts weniger als eine historische Zäsur.
    "Renzi ist ein Punkt ohne Wiederkehr für die linke Partei. Für seinen politischen Stil gibt es kein Gegengift und jeder, der versucht, zum alten Status Quo zurückzukehren, muss unweigerlich scheitern. Die italienische Linke ist nicht mehr Rot, sie ist bereits Rosa."
    Viel Wertschätzung, aber auch Kritik
    Pointiert, analytisch, niemals langweilig: Das ist der Ton des Bestsellers, der in fast allen großen italienischen Zeitungen lobend besprochen wurde. Die Biografie ist reich an Hintergrundinformationen, Anekdoten und persönlichen Details, die die Autoren zusammengetragen haben. Viel Wertschätzung schwingt da mit, für den Provinzpräsidenten, der die teuren Dienstwagen abschafft, den Florentiner Bürgermeister, der die Innenstadt im Rekordtempo in eine Fußgängerzone verwandelt und den Machtmenschen Renzi, dem es gelingt, die Massen hinter sich zu versammeln. Doch vollkommen überzeugen kann er sie nicht, zu viele Antworten bleibe er bislang schuldig.
    "Die Steuerlast senken, sagt er, aber wie, woher sollen die Mittel stammen? Mehr Kindergärten einrichten, aber womit? Will er all das erreichen, was er sich vornimmt, so braucht es mehr als leere Worthülsen."
    Daran wird sich auch Renzi, der Ministerpräsident, messen lassen müssen. Kurz nach Erscheinen dieser Biografie hat sich der 39-Jährige ins Amt geputscht – eine Wendung, die die Autoren zwar so nicht vorhersehen konnten – es dürfte sie aber auch nicht besonders überrascht haben, dass er nicht davor zurückschreckt, seine eigenen Parteikollegen zu verschrotten.
    Simona Poli, Massimo Vanni: "Il seduttore. Matteo Renzi e la sinistra rosè", Barbera Editore, November 2013, 170 Seiten, 18,88 Euro, ISBN: 978-8-878-99646-5