Mittwoch, 24. April 2024

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Matthias Dell
Das Magazin "Flow" - Pausenmusik im Fahrstuhl der Pflichten

Wie achtsam und in Einklang mit sich selbst leben? Das Magazin „Flow“ will zeigen, wie es geht. Unser Kolumnist Matthias Dell liest dort allerdings nur ein permanentes Hochhalten der Weltschlechtigkeit, um dahinter die kleinen Fluchten und Freuden entdecken zu können.

von Matthias Dell | 09.08.2018
    Volkswagen Busse vom Typ T2 stehen am 10.07.2014 im Heide Park Soltau (Niedersachsen) auf dem Areal des ersten von VW lizenzierten Bulli Camp in dem übernachtet werden kann.
    Das "Flow"-Magazin - Glücksformeln, die das Mieten oder Kaufen eines Kleinbusses zum Abenteuer der Jetztzeit hochjazzen (dpa / Philipp Schulze)
    Seit fünf Jahren erfreut sich das Magazin "Flow" in Deutschland einiger Beliebtheit. Gegründet von einem kleinen niederländischen Verlag, wird es hierzulande lizensiert von einem Joint Venture aus Gruner und Jahr und dem Landwirtschaftsverlag Münster. Dessen größter Hit ist die "Zurück zur Natur"-Zeitschrift "Landlust". Und in dieser Abwendung von den Anstrengungen des modernen Lebens hin ins Kleine und Schöne der eigenen Gartenlaube funktioniert auch "Flow".
    Das "kleine Glück"
    "Eine Zeitschrift ohne Eile, über kleines Glück und das einfache Leben" - so lautet der Untertitel von "Flow". Der, einerseits, durch seine schiere Länge dem Vorwurf begegnen will, es ginge hier nur um Oberflächlichkeiten und nicht ums Grundsätzliche. Und der, andererseits, vorsichtig bis defensiv daherkommt, "ohne Eile" eben: es geht um das "kleine Glück" und nicht um die große Utopie.
    "Flow" begreift sich offensichtlich als Supplement zu den Herausforderungen der Gegenwart, als Pausenmusik im Fahrstuhl der Pflichten, als "guilty pleasure" für die Zeit, wenn die Kinder im Bett sind und der Partner vorm Computer sitzt.
    Natürlich ist es leicht, sich über "Flow" lustig zu machen: über das Kindliche, Puppenstubenhafte, Niedliche. Über Bilderleisten und andere Bastelanleitungen. Über Vogelkärtchen und gutaussehende Essenstipps für New York. Über Geschichten von Vorbildern, die kreativ sind und trotzdem mit sich im Reinen. Über Zeitdiagnosen, die sich, wie in der aktuellen Ausgabe, an einem Begriff wie "Selbstmitgefühl" aufhängen. Oder über die Schlichtheit der Glücksformeln, die das Mieten oder Kaufen eines Kleinbusses zum Abenteuer der Jetztzeit hochjazzen. Wenn eigentlich selbstverständliche Handlungen als neuerfundene Alltagstechnologien angepriesen werden: "Spontan sein & mehr leben".
    Probleme mit Konsum bekämpfen
    Und natürlich ist es absurd zu sehen, wie "Flow" Stress und Weltschlechtigkeit als Bedrohungen permanent hochhält, damit dahinter die kleinen Fluchten und Freuden entdeckt werden können. Und wie die diagnostizierten Probleme mit Konsum bekämpft werden. Im aktuellen Heft wird etwa das eintägige Symposium mit einer Achtsamkeitsforscherin beworben. Das kostet 300 Euro, obwohl die Achtsamkeitsforscherin vermutlich auch nur live remixt, was in jeder "Flow"-Ausgabe wieder und wieder durchbuchstabiert wird.
    In seinem Grundsound ist das Magazin also darauf angewiesen, dass alles so bleibt, wie es ist, damit die mehr als 100.000 Leserinnen nicht auf die Idee kommen, sie wüssten jetzt, wie das geht mit der Zufriedenheit und dem "guten Leben" und die Zeitschrift abbestellten.
    Kosmetik am Individuellen – gesellschaftlich wirksam?
    Wenn man nun versucht, "Flow" ernst zu nehmen, dann stellen sich zwei Fragen. Erstens: Zeigt sich im Erfolg des Heftes ein neues Phänomen aktueller Entfremdung, wenn gut ausgebildete Frauen ihre Erste-Welt-Probleme durch das Aufstellen des beiliegenden Mini-Posters zu lösen versuchen, auf dem steht: "Create a nice moment for yourself. At least once a day" (also übersetzt: "Kreiere einen schönen Moment für dich. Wenigstens einmal am Tag")? Oder ist "Flow" nur das zeitgemäße Ticket zur Weltflucht, die frühere Generationen in Dale Carnegies Ratgeber-Klassiker "Sorge Dich nicht, lebe" oder bei Hedwig Courths-Mahler suchten?
    Matthias Dell
    Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Und zweitens: Wie kann die Übertragung des "Flow"-Erfolgs auf breitere Leserschichten gelingen? Wie könnte also die Kosmetik am Individuellen, mit dem das Heft das Desinteresse am Gesellschaftlichen rechtfertigt, selbst gesellschaftlich wirksam werden? Denn all die Tipps, die "Flow" ausgibt, sind für sich genommen ja nicht falsch: Atme mal durch, finde Sinn, denke an dein Umfeld und mache ihm das Leben schöner.
    Wenn Reichelt "Flow" lesen würde
    Am Transfer seines Konzepts hin zu einem männlichen Publikum ist "Flow" bislang gescheitert; die Versuche, die erst "Wolf" und dann "Cord" hießen, wurden kürzlich eingestellt. Dabei wäre das doch verdienstvoll, ein wahrhaft utopischer Gedanke: Wenn, nur als Beispiel, ein Mann im Schützengraben seiner eigenen Unversöhntheit wie "Bild"-Chef Julian Reichelt versonnen "Flow" lesen würde, statt gegen Mesut Özil und Migranten zu hetzen. Wenn er vorsichtig das Mini-Poster aus der aktuellen Ausgabe trennen würde, um es zwischen den Cola-Flaschen und Zigarettenschachteln auf dem Schreibtisch seiner Getriebenheit zu platzieren. Und durch Jahre der "Flow"-Lektüre wüsste, dass Hass auf andere kein schöner Moment ist für ihn selbst. Wenigstens einmal am Tag.