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Matthias Dell
Fernsehen - "der Ego-Shooter fürs angstfreudige Bürgertum"

Mit rechtspopulistischen Talkshowthemen verspielt das Fernsehen gerade seinen hart erarbeiteten Ruf als seriöses Medium, findet unser Kolumnist Matthias Dell. Momentan gleiche es teilweise eher einem "Ego-Shooter für ein angstfreudiges Bürgertum".

von Matthias Dell | 14.06.2018
    Matthias Dell
    Matthias Dell (Daniel Seiffert)
    Für die Medienkritik ist es manchmal hilfreich, sich die Mediengeschichte vor Augen zu führen. Die kann man sich einerseits als dauernde Abfolge von technologischen Entwicklungen denken - das lässt sich bei den wechselnden Speichermedien für Musik besonders gut verfolgen: Auf die Platte folgte die Kassette, auf die Kassette die CD und auf die CD die Datei, die heute als mp3 nicht mal mehr gespeichert werden muss, weil abonnierte Streamingdienste den Musikkonsum quasi immateriell ermöglichen.
    Andererseits funktioniert Mediengeschichte nicht als reine Ersetzungsgeschichte - Medien werden zwar obsolet, was ihren massenhaften Gebrauch betrifft, aber sie verschwinden nicht. Noch immer gibt es Sammler alter Schellack-Platten, auch wenn die Schellack-Platte lange nicht mehr die zeitgemäße Form ist, um Musik zu hören. Geändert hat sich die Bedeutung: Wer heute noch Schellack-Platten auflegt, tut das aus einem anderen Bedürfnis, als nur Musik hören zu wollen. Es geht dann um Distinktion, Geschichtsbewusstsein, um einen Lebensstil, den die Schellack-Platten-Sammlerin ausstellt.
    Jedes neue Medium wird erstmal kritisch gesehen
    Zur Mediengeschichte gehört auch, dass jedes neue Medium erst einmal kritisch beäugt wird. Die Autorin Kathrin Passig hat in der Diskussion um Digitalisierung vor Jahren den Aufsatz "Standardsituationen der Technologiekritik" veröffentlicht. Aus dem konnte man lernen, dass die Argumente der Abwehr gleich bleiben und sich nur das jeweilige Medium ändert, auf das sie niederprasseln.
    Das Fernsehen zum Beispiel scheint uns heute vertrauter und seriöser als Videospiele. Dabei hatte es das Fernsehen bei seiner Einführung genauso schwer wie die Videospiele bei ihrer. Es musste sich gegen den Eindruck zur Wehr setzen, ein Medium der Verflachung und des Niedergangs zu sein. Auch deshalb hat das Fernsehen zu Beginn versucht, auf Liebkind zu machen und sich kulturvoll an einem seiner Vorgängermedien zu orientieren, dem Theater. Eine der ersten Live-Übertragungen in der Geschichte des bundesdeutschen Fernsehens galt dem Stück "Der Etappenhase" aus dem Kölner Millowitsch-Theater.
    Medien finden erst nach und nach ihre Bestimmung
    Das Millowitsch-Theater ist seit kurzem Geschichte, was auch damit zu tun hat, dass das Fernsehen seine Stücke nicht mehr übertragen wollte. Daran kann man sehen, wie ein Medium im Laufe der Zeit zu seiner Bestimmung findet: Das Live-Fernsehen wird für die Ausstrahlung von Globalsportereignissen und politischen Breaking News gebraucht. Und nicht zum Abfilmen von Theaterstücken.
    Nun hat das Fernsehen neulich aber wieder Theater abgefilmt, ein bisschen zumindest: In dem ARD-Film "Unterwerfung" nach dem Roman von Michel Houellebecq kamen auch Szenen vor, die den Hauptdarsteller Edgar Selge auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses zeigten. Dort spielte Selge die Figur, die er auch in dem Film darstellt: den Protagonisten aus Houellebecqs Buch.
    Man kann nicht sagen, dass diese Verbindung von Theater und Film künstlerisch notwendig, gelungen oder sinnvoll war. Aber sie erinnerte daran, dass sich Theater und Fernsehen einmal fremder waren als in der kumpelhaften Verlötung, die der Film inszenierte.
    Fernsehen: der Ego-Shooter fürs angstfreudige Bürgertum
    Und dass es deshalb berechtigt sein könnte, das Fernsehen wieder so zu betrachten, wie zu seinen Anfängen. Wenn es ein Buch durch Theaterinszenierung und Verfilmung missversteht, weil es den Autor als prophetische Weisheitsfigur nimmt, die Houellebecq gar nicht ist; wenn es den selbstproduzierten Film nur zum Anlass nimmt, um in der "Maischberger"-Sendung danach erregt über die sogenannte Islamisierung zu plappern - eine von Rechtsextremen geprägten Denkfigur, die jeder Wirklichkeit entbehrt und trotzdem ernsthaft besprochen wird, als wäre das ein reales Problem unserer Zeit, dann muss man aufs Fernsehen schauen, wie heute auf Videospiele geschaut wird.
    Dieses Fernsehen ist kein vertrauenswürdiges Medium, sondern der Ego-Shooter für ein angstfreudiges Bürgertum. Es hat, wie Innenminister Thomas de Maiziere 2016 befand: "eine schädliche Wirkung gerade auf die Entwicklung auch junger Menschen."