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Matthias Heine über "verbrannte Wörter"
Sprache im Dienst der Propaganda

"Eintopf", "alttestamentarisch" und "betreuen" sind nur scheinbar harmlose Wörter. Sie haben eine NS-Karriere hinter sich. Die Nazis hätten eine aktive Sprachpolitik betrieben, sagt Buchautor Matthias Heine. Wörter wie "gleichgeschaltet" kehren umgedeutet im Rechtspopulismus wieder.

Matthias Heine im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 16.07.2019
In der Prager Innenstadt bieten deutsche Soldaten im März 1939 Eintopf aus der Gulaschkanone an. Was als eine Geste des guten Willens gedacht war, empfanden die Prager, deren Stadt wenige Tage zuvor (15.03.1939) von der Wehrmacht besetzt worden war, weitgehend als Demütigung. Das zwischen Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler geschlossene Münchner Abkommen vom 29.09.19938 hatte Hitler-Deutschland freie Hand bei der Besetzung von Teilen der Tschechoslowakei zugesichert.
"Der Ein-Kopf-Staat hat den Eintopf hervorgebracht" - Deutscher Wehrmachtsoldat in Prag 1939 (dpa / picture-alliance)
Stefan Koldehoff: "Wendepunkte in der Kultur" – damit befassen wir uns in den Sommermonaten in dieser Sendung. Heute soll es um die Sprache gehen, und damit eigentlich um Wendepunkte: Einmal um 1933, als die Nationalsozialisten ganz bewusst die Sprache verändert haben. Und dann auch über 1945, als einiges sprachlich nicht mehr ging – aber trotzdem weiter benutzt wurde; heute zum Teil übrigens von manchen Parteien oder Gruppierungen ganz bewusst wieder verwendet wird. Matthias Heine, Redakteur bei der "Welt" in Berlin, hat dazu ein Buch mit dem Titel "Verbrannte Wörter" geschrieben. Und ihn habe ich gebeten, erstmal chronologisch anzufangen: 1933 verändert sich auch die Sprache. Und sie veränderte sich, wenn ich Ihr Buch richtig verstanden habe, nicht zufällig. Sie wird ganz bewusst verändert?
Matthias Heine: Die Nationalsozialisten haben eine aktive Sprachpolitik betrieben, sie haben versucht eigene Begrifflichkeiten durchzusetzen, neue Wörter, Veränderung alter Wörter. Das ging bis hinein in Satzzeichen, inflationärer Gebrauch des Ausrufungszeichens in der Propaganda, das ist ein Beispiel, dass es wirklich bis in die Satzzeichen hineingeht. Es ist der Beginn einer – salopp gesagt – großen Sprachvergiftung, die aktiv herbeigeführt wird. Dazu gibt es auch Aussagen von Goebbels und anderen, die sagen, wir müssen jetzt eine neue, nationalsozialistische Sprache schaffen – und sogar von Hitler selbst.
Goebbels´ Aufsätze wurden im Radio vorgelesen
Koldehoff: Wie funktionierte das praktisch? Die Schulen waren sicherlich der eine Ort, aber damit erreicht man natürlich nur die Kinder und Jugendlichen.
Heine: Vor allen Dingen natürlich über die gleichgeschaltete Presse, die gleichgeschalteten Medien, so muss man in diesem Fall sagen, den Rundfunk gab es ja auch schon. Und da war die Trennung nicht so groß. Goebbels große Aufsätze, die er dann ab Ende der 30er-Jahre immer schrieb, wurden freitags oder samstags dann auch im Radio vorgelesen und in großen Mengen von den gleichgeschalteten Zeitungen dann auch Ende der 30er-Jahre auch schon in Österreich nachgedruckt. Außerdem gab es jeden Morgen um neun Uhr, glaube ich, wenn ich mich richtig entsinne, auf jeden Fall am Vormittag, auf die Uhrzeit lege ich mich fest, es musste ja Gott sei Dank keiner von uns dabei sein, gab es eine Pressekonferenz im Propagandaministerium, wo Goebbels genaue Anweisungen gegeben hat, wie die Dinge zu behandeln waren, wie sie zu benennen waren. Man hat auch Ausdrücke wieder eingefangen, die man einmal in die Welt gesetzt hat. Zum Beispiel sollte dann irgendwann nicht mehr von arisch oder von Drittes Reich geschrieben werden, was wir vielleicht ein bisschen überraschend finden, aber arisch wurde dann, weil das immer schon umstritten war, durch deutschblütig ersetzt. Und Drittes Reich hatte dann irgendwann für den Geschmack der damals herrschenden Leute zu starke religiöse Konnotationen - man sprach dann von großdeutsches Reich – und das sollte dann durchgesetzt werden.
"Alttestamentlich" als Empfehlung
Koldehoff Nun haben Sie einige Begriffe schon angesprochen, das sind Begriffe, bei denen wir heute noch zusammenzucken und sofort merken, da sollte etwas mit bewirkt werden. Blut und Boden, Gleichschaltung, Reichskristallnacht, Bombenwetter, Rassenhygiene, da kann man den Bezug herstellen. Ich war, als ich Ihr Buch gelesen habe, über andere Worte erstaunt, über Worte wie alttestamentarisch oder Eintopf. Auch das sind sozusagen infizierte oder, wie Sie es nennen, verbrannte Wörter.
Heine: Ja. "Alttestamentarisch", um es mal so zu nennen, ist ein bisschen vergleichbar gewesen mit dem Gebrauch, den es heute im rechtsradikalen, rechtspopulistischen Sprachgebrauch von "die Ostküste" gibt. Es ist ein Begriff, mit dem man andeutet, dass es sich um Juden handelt, die da vorgehen, aber man möchte es vielleicht so nicht sagen oder man hat nach einem Synonym gesucht. Und das lässt sich ganz deutlich nachweisen in Reden von Hitler, in Reden von Goebbels, dass die Nazis von diesem Wort einen ganz spezifischen Gebrauch gemacht haben, sie sprachen dann immer vom alttestamentarischen Hass, mit dem die Alliierten Deutschland verfolgen würden, und wollten damit natürlich andeuten, dass dahinter irgendwelche jüdischen Verschwörungen und Mächte stecken. Deswegen wird von der deutschen Bibelgesellschaft schon lange – und auch von Theologen und Leuten, die sich mit dem alten Testament oder mit der jüdischen Bibel, wie man heute korrekterweise sagt, beschäftigen – empfohlen, von "alttestamentlich" zu sprechen.
"Der Ein-Kopf-Staat hat den Eintopf hervorgebracht"
Koldehoff: Und der gute alte Eintopf, der auch heute noch auf vielen Speisekarten steht?
Heine: Der ist natürlich nicht vergiftet, also hoffentlich nicht im Wortsinn – und auch nicht im übertragenen Sinne. Das ist einfach nur interessant, dass dieses Wort aufkam in den 30er-Jahren im Zusammenhang mit den sogenannten Eintopf-Sonntagen, die Anfang der 30er-Jahre dem deutschen Volk verordnet wurden, da sollte man einmal im Monat immer nur sonntags statt des Sonntagsbratens einen Eintopf kochen und das gesparte Geld dem Winterhilfswerk, dieser Hilfsorganisation, spenden. Vorher ist das Wort Eintopf nur vereinzelt nachweisbar, meistens auch in der Langform Eintopfgericht. Also, auch in der Notküche des Ersten Weltkriegs gab es das schon gelegentlich, aber richtig verbreitet hat es sich erst in diesem Zusammenhang. Und es wird auch von den Zeitgenossen als neues Wort beschrieben, in der Weltbühne im Exil in Prag gibt es dann das Wortspiel: Der Ein-Kopf-Staat hat den Eintopf hervorgebracht.
"Kulturschaffende" bei den Nazis und in der DDR
Koldehoff: Auch in dieser Sendung, letztes Einzelbeispiel, auf das ich eingehen möchte, sprechen wir oft von den "Kulturschaffenden". Und auch da habe ich bei Ihnen gelernt, das ist nicht so ganz ohne.
Heine: Ja. Das ist ein Wort, das nun wirklich ganz eindeutig im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus aufgekommen ist und sich vorher überhaupt nicht nachweisen lässt. Als die Reichskulturkammer geschaffen wurde, stand das zwar nicht in den offiziellen Dokumenten, aber es gab dann einen Aufruf der sogenannten Kulturschaffenden, die sich als solche bezeichneten, die das begrüßten und dazu aufforderten, da mitzumachen. Und in diesem Zusammenhang kommt das Wort zum ersten Mal auf, und das ist natürlich eine hübsche Pointe, dass es dann nach einem Nachleben in der DDR auch eher im linken Sprachgebrauch heute verwendet wird. Es gab ja vor zwei Jahren diesen Aufruf der Kulturschaffenden gegen Seehofer. Und es war immer, wenn nicht von diesen Leuten selbst, doch zumindest in der Presse von Kulturschaffenden die Rede. Das ist genau wie Eintopf – es ist eher interessant, zu wissen, dass das im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus aufgekommen ist. Es ist jetzt kein vergiftetes Wort in dem Sinne, wie Untermensch und Rassenhygiene vergiftete Worte sind. Sie werden nicht zum Nazi, wenn Sie Kulturschaffender hundertmal sagen oder Eintopf hundertmal sagen, aber ich finde das erst mal einfach interessant.
Renaissance eines bestimmten Nazivokabulars
Koldehoff: 1945 dann der zweite Wendepunkt, viele dieser Worte gehen plötzlich nicht mehr, werden trotzdem weiterverwendet, auch das beschreiben Sie sehr schön. Wenn man Sprache als Ausdruck des Gedachten denkt, dann muss man davon ausgehen, dass zwar das sogenannte Dritte Reich aufgehört hatte, aber viele der Gedanken, die damit zusammenhingen, in der Sprache weiterhin ihren Niederschlag fanden.
Heine: Na ja, da muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Begriffen, die dann aktiv noch gebraucht werden und ganz bewusst und jetzt auch wieder. Es gibt ja gerade eine große Renaissance eines bestimmten Nazivokabulars im Rechtspopulismus oder ganz rechts, da spricht man von Systempresse …
"Man sprach von betreuen und meinte töten"
Koldehoff: … von Umvolkung, Überfremdung …
Heine: … Volksverräter, genau. Alles solche Begriffe, die plötzlich ein Revival ganz bewusst erleben, teilweise umgedeutet werden. Man spricht von der gleichgeschalteten Presse und fühlt sich als deren Opfer, weil angeblich nicht genug über Flüchtlingskriminalität berichtet wird oder weil feindselig über Rechte berichtet wird, während für die Nazis ja gleichgeschaltet zu sein eher etwas Positives war. Da gibt es eine Renaissance, es gab natürlich ein Nachleben nach 1945, da hat es ja auch noch ganz klar nur vage getarnte nationalsozialistische Parteien gegeben, Sozialistische Reichspartei und so etwas. Und es gibt ein Nachleben von bestimmten Begriffen, die halt nicht ganz so mit Ideologie gefüllt sind. Betreuen ist für mich immer ein Paradebeispiel. Das finden Sie sowohl in den beiden großen Werken, die sich gleich nach 1945 mit der NS-Sprache beschäftigen, einerseits Victor Klemperers "LTI" im Osten und im Westen "Aus dem Wörterbuch des Unmenschen" von Süskind und anderen. Da steht betreuen eindeutig als ein Wort, das in der NS-Zeit aufgekommen ist zur Vernebelung bestimmter Vorgänge, sowohl bürokratischer Vorgänge, parteilicher Vorgänge bis hin zur Vernebelung von Tötung: Man sprach auch von betreuen und meinte töten. Trotzdem hat das Wort eine unfassbare Karriere nach 1945 im bürokratischen und juristischen Sprachgebrauch gemacht, und es ist natürlich eine bittere Pointe, dass zum Beispiel die Betreuung, also der Umgang mit Behinderten, früher hätte man gesagt Entmündigten, mit dem Wort betreuen juristisch geregelt wurde – und diese Leute wurden mit dem gleichen Wort zur Nazizeit getötet, umgebracht.
"Immer genau überlegen, was man sagen möchte"
Koldehoff: Kurz zum Schluss noch, Herr Heine: Sprachpolizist wollen Sie damit nicht sein, sondern Bewusstsein schaffen?
Heine: Bewusstsein schaffen, man muss sich immer genau selber überlegen, was man sagen möchte. Wie gesagt, ich finde auch betreuen jetzt … Auch davon ist … Nur weil wir betreuen gesagt haben, ist die AfD nicht groß geworden und wir werden keinen neuen Faschismus kriegen, man sollte sich aber überlegen, an welcher Stelle man es gebraucht. Dafür möchte ich Bewusstsein schaffen, vor allen Dingen bei Professionellen und bei Leuten, die sich wirklich intensiv für Sprache interessieren, Journalisten wie wir, Politiker – und wie gesagt, ich finde es, ganz unabhängig davon, was man mit diesen Informationen anfängt, erst mal unglaublich interessant und spannend. Auch, wie beispielsweise technische, harmlose Begriffe wie Gleichschaltung plötzlich zu politischen Begriffen wurden. Das ist ja alles erst mal ungeheuer interessant und, wenn man sich für Geschichte interessiert, lesenswert – hoffe ich jedenfalls, ich rede ja natürlich als Autor.
Matthias Heine, Autor und Journalist
Der Autor Matthias Heine will für einen bewussten Umgang mit der deutschen Sprache sensibilisieren (Deutschlandradio / Manfred Hilling)
Matthias Heine ist Journalist, Historiker und Linguist. Er hat für diverse Tageszeitungen, Zeitschriften und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gearbeitet. Seit 2010 ist er Redakteur der Zeitung "Die Welt". Heine hat an der Neubearbeitung des "Deutschen Wörterbuchs" von Hermann Paul mitgewirkt, im März ist sein Buch "Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht" im Duden Verlag erschienen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.