Dienstag, 26. März 2024

Archiv

Mauerfall vor 30 Jahren
Als sich Deutsche aus Ost und West in den Armen lagen

Jahrzehntelang waren die Bundesrepublik und die DDR durch eine streng bewachte Grenze geteilt. Doch Massenfluchten und Montagsdemonstrationen setzen im Herbst 1989 das SED-Regime unter Druck: Eine neue Reiseregelung sollte es richten. Eine unbedachte Äußerung sollte es anders kommen lassen.

Von Otto Langels | 09.11.2019
    Jubelnde Menschen auf der Berliner Mauer am Brandenburger Tor am 10.11.1989. Am Abend des 09.11.1989 teilte SED-Politbüro Mitglied Günter Schabowski mit, daß alle DDR-Grenzen in die Bundesrepublik und nach West-Berlin für DDR-Bürger geöffnet werden.
    Nach der Grenzöffnung strömten am Abend des 9. November 1989 tausende Ost-Berliner in den Westteil der Stadt (dpa / picture-alliance / Wolfgang Krumm)
    "Tor auf, Tor auf, wir kommen zurück, Tor auf! - Am Abend des 9. November 1989 standen Tausende von DDR-Bürgerinnen und Bürgern am Ost-Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße und forderten lautstark ihre Ausreise nach West-Berlin.
    Seit dem August 1961 trennte eine Mauer Berlin, war Deutschland geteilt. Beton, Stacheldraht und Todesstreifen machten die Grenze nahezu unüberwindlich. Hunderte von DDR-Bürgern verloren bei Fluchtversuchen ihr Leben. Während der Westen die Grenzanlagen als unmenschlich verurteilte, sprach die DDR-Propaganda von einem "antifaschistischen Schutzwall".
    "Hier, am antifaschistischen Schutzwall, wo die Macht der ewig Gestrigen ein für alle Mal zu Ende ist, erfüllen wir unsere Grenzerpflicht. Zum Schutze unseres gestern, heute und morgen, zum Schutze auch derer, für die wir die Welt von morgen bauen."
    Zugespitzte Lage im Herbst 1989
    Doch die desolate wirtschaftliche Lage der DDR und die Reformpolitik in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow setzte das SED-Regime in den 1980er Jahren zusehends unter Druck.
    Auf einer Brücke in Leipzig haben am 23.10.1989 DDR-Bürger Transparente aufgehängt und fordern Reise-, Presse-, Meinungsfreiheit sowie "Wir fordern Krenz(en)lose Freiheit". 
    Auf einer Brücke in Leipzig protestierten am 23.10.1989 DDR-Bürger für Reise-, Presse- und Meinungsfreiheit (picture alliance/dpa)
    Im Herbst 1989 spitzte sich die Situation weiter zu: Tausende flohen über Ungarn in den Westen, Hunderttausende beteiligten sich in Leipzig und anderswo an den Montagsdemonstrationen, so dass die DDR-Führung nach Möglichkeiten suchte, den wachsenden innenpolitischen Protest zu kanalisieren.
    Blick von der Universität Bochum auf die Innenstadt mit Exzenterturm, Gerichtsgebäude und Europahaus
    30 Jahre Mauerfall: "Sie träumten vom Paradies und wachten in NRW auf"
    In unserer Serie denkt unser Landeskorrespondent für Nordrhein-Westfalen darüber nach, wie weit der Westen Deutschlands vom Osten entfernt ist – mental und kulturell. In Bochum traf er Ruhrpott-Bewohner, die mehr erfahren wollen über die DDR und den östlichen Teil der Bundesrepublik.
    Oberst Gerhard Lauter, im Innenministerium verantwortlich für das Pass- und Meldewesen, bekam den Auftrag, großzügigere Bestimmungen für Privatreisen in den Westen auszuarbeiten.
    "Wir suchten eine Lösung, es schwappte über, jeder spürte, wir müssen da ausbrechen. Aber einer musste das aussprechen, einer musste die Initiative ergreifen. Und das war nun mal ich."
    Die vergessene Sperrfrist
    Am 9. November erhält der Sprecher des Politbüros Günter Schabowski ein Papier mit den vorgesehenen Änderungen des Reisegesetzes. Ohne sich vorher über den genauen Inhalt zu informieren, betritt er um 18 Uhr das überfüllte internationale Presszentrum und verliest von einem Zettel die legendär gewordenen Sätze:
    "Also Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse, beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt."
    Auf Nachfragen von Journalisten, ab wann die neue Reiseregelung gelte, antwortet Schabowski zögerlich: "Das tritt, nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich."
    Günter Schabowski während der historischen Pressekonferenz am 9. November 1989.
    Pressekonferenz vor 30 Jahren: Der ungeplante Mauerfall
    Kaum eine andere Pressekonferenz wird den Deutschen so in Erinnerung sein, wie jene des 9. November 1989 in Ost-Berlin. Der SED-Funktionär Günter Schabowski gab die neuen Regelungen für Westreisen bekannt – und damit indirekt auch die Öffnung der Mauer. Dabei war eigentlich alles anders geplant.
    Ursprünglich soll das neue Reisegesetz am nächsten Morgen in Kraft treten. Doch nach Schabowskis unbedachter Äußerung verbreiten Journalisten die Nachricht, eine Ausreise über alle DDR-Grenzübergänge sei unverzüglich möglich.
    Grenzer sind ratlos und warten ab
    Daraufhin versammeln sich in den Abendstunden die ersten Menschen in Berlin an den innerstädtischen Übergängen. Diese bleiben aber zunächst geschlossen, die ostdeutschen Grenzer sind ratlos und warten ab. Sie bekommen keine Informationen von ihren Vorgesetzten und fühlen sich im Stich gelassen.
    Um 22.45 Uhr verkündet der Moderator Hanns Joachim Friedrichs in den ARD-Tagesthemen: "Die DDR hat mitgeteilt, dass ihre Grenzen ab sofort für jedermann geöffnet sind. Die Tore in der Mauer stehen weit offen."
    Tatsächlich sind zu dem Zeitpunkt die Tore noch geschlossen, aber immer mehr Menschen strömen zur Mauer. Tausende drängen sich vor den Übergängen, insbesondere an der Bornholmer Straße im Bezirk Prenzlauer Berg.
    Dossier: 30 Jahre Mauerfall
    Tore und Schlagbäume werden geöffnet
    Ein Grenzer fordert über Megafon: "Ich bitte Sie, im Interesse der Wahrung der Sicherheit, den Platz der Grenzübergangsstelle zu verlassen."
    Doch die Menge weicht nicht zurück, und so gibt der diensthabende Stasi-Offizier schließlich eigenmächtig den Befehl, die Tore und Schlagbäume zu öffnen: "Mein Gott, gibt's das noch mal, das kann nicht wahr sein."
    Fall der Berliner Mauer: In der Nacht des 9. November 1989 hat sich auf der Ostseite des Brandenburger Tores eine Menschenmenge versammelt, Berlin, Deutschland, Europa 
    In der Nacht des 9. November 1989 versammelte sich auf der Ostseite des Brandenburger Tores eine Menschenmenge (dpa / imageBROKER / Norbert Michalke)
    "Es ist einfach eine Wahnsinnsstimmung, es ist eben der Wahnsinn." - Weitere Grenzübergänge öffnen sich, Freudentränen fließen, Sektkorken knallen, die Ost-Berliner erobern den Kurfürstendamm, Deutsche aus Ost und West liegen sich in den Armen.
    Am nächsten Tag erklärt der frühere Bundeskanzler und Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, vor dem Schöneberger Rathaus: "Meine Überzeugung war es immer, dass die Teilung durch Stacheldraht und Todesstreifen gegen den Strom der Geschichte standen. Es ist ein schöner Tag nach einem langen Weg, aber wir befinden uns erst an einer Zwischenstation, es liegt noch eine ganze Menge vor uns."