Dienstag, 23. April 2024

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Max Weber
Großer Intellektueller mit vielen kritischen Seiten

Max Weber gilt als einer der Begründer der Soziologie, als einer der großen liberalen Intellektuellen der Wende zum 20. Jahrhundert. Zu seinem 150. Geburtstag am 21. April sind zwei neue Biografien erschienen, die nicht nur die Widersprüche zwischen Leben und Werk aufzeigen, sondern auch den Schattenseiten seines Lebens nachgehen.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 14.05.2014
    In seinem Nachruf benennt der österreichische Politiker und bekannte Ökonom Joseph Schumpeter - so Dirk Kaesler in seiner Biografie - Max Weber 1920 als
    "Schwanenritter mit der silbernen moralischen Rüstung", als "Gestalter und Beherrscher von geistigen Strömungen". "Er war nicht konventionell. Er war nicht zugeritten. Er gehörte sich selbst. Aber das ist nicht alles. Er imponierte. Man fügte sich ihm, ob man wollte oder nicht. Kraft klang in jedem seiner Worte, strömte sozusagen aus allen Poren seines Wesens. Kraft in allen Spielarten (. . .) gleichzeitig intellektuelle und moralische."
    Ob er sich wirklich selbst gehörte, ob er sich selbst hinlänglich regierte, das darf allerdings bezweifelt werden, nicht nur weil er jahrelang an Depressionen und Nervenzusammenbrüchen litt. Auch nach seiner fragilen Genesung befürchtete er ständig Rückfälle, litt an Schlafstörungen, und konsumierte daher Unmengen von Medikamenten. Mangelnde Selbstbeherrschung in fast allen Lebensbereichen spricht aus den Worten von Jürgen Kaube:
    "Max Weber hat fast alles was er getan hat exzessiv getan. Also das betrifft die Arbeit, das betrifft den Streit, das betrifft den Konsum, er hat exzessiv gegessen und getrunken, er hat unglaubliche Mengen an Büchern vertilgt . . . er hat eine unglaubliche Menge an Sätzen, Worten, Seiten geschrieben. Es war ein Leben im Exzess."
    Max Weber füllte Hörsäle. Er hatte ein solches Renommee, dass ihn der deutsche Außenminister 1919 nach Versailles zu den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg mitnahm. Aber seine spätere eminente wissenschaftliche Bedeutung konnte er selber nicht absehen. Jürgen Kaube beschreibt ihn als:
    "Jemand, der in einer großbürgerlichen Elite groß wird mit unheimlichen Ambitionen, politischen, wissenschaftlichen Ambitionen, auch privaten Ambitionen, und der am Ende seines Lebens fast mit leeren Händen dasteht, ein riesiges Werk, alles in Fragmenten, ganz wenig davon als Buch veröffentlicht, das meiste Aufsätze, also eine ganz merkwürdige Mischung aus Erfolg und Scheitern."
    Forschen zum Geist des Kapitalismus
    Selbst seine Theorien, die ihn posthum berühmt machen, verblassten. Die Soziologie, die Weber mitbegründete, hat sich längst weiterentwickelt. Seine Wissenschaftslehre, mit der er Recht behalten wird, antizipiert zwar die avanciertesten Sprachphilosophien von Ludwig Wittgenstein, Martin Heidegger und der postmodernen Philosophie. Die spätere Wissenschaftstheorie wird ihn weitgehend missachten, nicht zuletzt, weil er ähnlich wie Nietzsche daran zweifelte, dass man die Wirklichkeit mit wissenschaftlichen Begriffen adäquat abbilden könnte. Von einer solchen Schwäche hören die Verfechter einer objektiven Vernunft nicht gerne.
    Die Theorie, mit der er zu Lebzeiten schon recht bekannt wurde, dass der Kapitalismus durch die Ethik des asketischen Protestantismus - hauptsächlich von Kalvinisten und Puritanern - entscheidend angetrieben wurde, diese Theorie wird bis heute immer wieder infrage gestellt. Dass er diesen Zusammenhang bei seinen Rom-Aufenthalten während seiner jahrelangen Krankheit vor 1904 entwickelte, hält Jürgen Kaube für ein besonderes Paradox:
    "Es ist eigentlich ein Paradox. Jemand stellt die These auf, dass für den Kapitalismus es absolut entscheidend war, dass er mentale Voraussetzung hatte, Voraussetzung der Mentalität derjenigen, die da anfingen Berufsdisziplin zu üben, zu sparen, zu reinvestieren, anstatt das Geld auszugeben, die so eine Art frommen Fleiß an den Tag legten und das findet er in der religiösen Disposition dieser Leute, dass er diese These über den Protestantismus als so eine Art mentaler Anschubfinanzierung der kapitalistischen Berufsarbeit, dass er die mitten im katholischen Rom entwickelt. Und meine These ist, dass der Zusammenhang der ist, dass er in Rom etwas Paradoxes sehen konnte, nämlich eine Weltmacht, die katholische Kirche, eine riesige Organisation, unglaublich wohlhabend, gegründet auf einer Religion, die eigentlich Weltflucht gepredigt hat, die eigentlich Rückzug, das Ende der Welt, das bald naht, nicht heiraten, sich nicht an die Welt verschenken, Rückzug ins Kloster. Dieser Zusammenhang wirkt ja erst mal paradox. Ein Paradox, dass Askese der Welt eigentlich abhold ist, Rückzug aus der Welt ist, dass Askese unglaubliche Weltmächte hervorzubringen in der Lage ist."
    Die asketische Ehe eines Lebemannes
    Ähnlich wie Nietzsche, der ständig kränkelnd die Theorie der Stärke, des Willens zur Macht entwirft, bewundert Weber die protestantische Askese, der er im eigenen Leben gar nicht genügen kann. Jürgen Kaube:
    "Man stellt sich unter Helden immer so Abenteurer vor, Leute, die sensationelle Dinge machen. Und er sah den eigentlichen Helden der modernen Welt in Leuten, die sich selbst im Griff haben, die selbst so tief davon überzeugt sind, dass fromme Lebensführung das ist, worauf es ankommt, dass sie das auch gegen ihre eigenen Impulse, gegen ihre eigene Natur durchsetzen. Es gibt diese herrliche Szene, wo sich die Professoren in Heidelberg gegenseitig Vorträge halten und als dann Weber dran ist, lautet die Einladungskarte: Max Weber trägt vor: Protestantische Ethik. Dazu gibt es Schinken in Burgunder."
    Nur in seiner Ehe mit seiner Frau Marianne pflegt er in Sachen Erotik eine gehörige Portion Askese. Ja, er propagiert die Askese als Prinzip der Ehe. Indes darf man bezweifeln, dass ihm das in anderen ehelichen Lebensbereichen gelungen ist. Jürgen Kaube:
    "Weber hat eine sehr eigentümliche Ehe geführt. Es ist ja seine Großkusine, die er heiratet. Sie ist in ihn verliebt. Er in sie, da kann man Zweifel haben. Im Grunde heiratet er, weil es an der Zeit ist und warum nicht. Und den Brautbrief, den er an sie schreibt, den kann man eigentlich zusammenfassen in den Worten: Mach Dich auf was gefasst, nämlich indem er sagt, Ehe das ist kein Vergnügen, die Leidenschaften müssen diszipliniert werden und wenn die Gefühle noch so hoch gehen, wir müssen uns am Riemen reißen, nicht ganz der typische Liebesbrief, wenn man das so sagen darf. Es ist aber eine Ehe, die in gewisser Weise dann gelingt. Erotisch ist nicht viel los, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Aber es gibt eine ungeheure Freundschaft der beiden, die sie durch sehr große Turbulenzen, seinen Nervenzusammenbruch, seine ständigen Gereiztheiten, letztlich auch der Abbruch seiner Karriere, der eine Zeit lang das Leben bestimmt."
    Auch in Sachen Erotik hält er den Asketismus in seinem Leben nicht durch. Mit Zustimmung von Marianne Weber pflegte er in den letzten Jahrzehnten Beziehungen zu zwei anderen Frauen. Er nahm 1919 einen Ruf an die Universität München an, und zog ohne seine Frau in die Nähe von Else Jaffé.
    Ein Nationalist und Vordenker des Deutschen Reiches
    Dort geriet er in die politischen Wirren in Bayern, was allerdings nur dazu führte, dass er sich in seinen politischen Theorien umso mehr verschanzte, die heute zwar immer noch fleißig gelesen werden. Doch geschätzt werden sie höchstens von jenen, die eine sogenannte Realpolitik fordern und von einem autoritären Machtstaat träumen. Demokratie schätzte Weber nur als eine effiziente Form der Führerauslese. Nicht nur entwickelte er dementsprechend den Begriff des charismatischen Führers. Als Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung in Weimar plädierte er für die Direktwahl eines mit Machtfülle ausgestatteten Präsidenten, der später in der Person von Hindenburg Hitler den Weg bereiten sollte.
    Bereits 1895 forderte er in seiner berühmt gewordenen Freiburger Antrittsrede aus liberaler Perspektive einen deutschen Imperialismus, was Jürgen Kaube folgendermaßen erläutert:
    "Weber vertrat einen Liberalismus, wie wir ihn heute eigentlich gar nicht mehr kennen. Er sagte, die Träger der wirtschaftlichen Expansion, die am meisten profitieren würden von einem deutschen Imperialismus, sind die Bürger, die Wirtschaftsbürger, die Industriellen, und in dem Maße, in dem sie davon profitieren würden, würden sie auch innenpolitisch an Macht gewinnen, das hieße Machtverluste des Adels, der Junker, des Hofes, der preußischen Dynastie."
    Aber nicht nur dass dieser deutsche Imperialismus den Weg in den Ersten Weltkrieg ebnete. Weber war Nationalist, war einige Jahre Mitglied im radikalen Alldeutschen Verband, kämpfte für die Reinheit des Deutschtums und forderte deutsche Werte für die Wissenschaft, was besonders paradox ist, da er ja andererseits für die Werturteilsfreiheit in den Wissenschaften plädierte. Dirk Kaesler hat diese dunkle Seite Max Webers in seiner umfänglichen Biografie besonders hervorgehoben. Kaesler schreibt:
    "Die Parolen von der Gefährdung des 'Deutschtums' durch die unkontrollierten Einwanderungswellen der Wanderarbeiter vornehmlich aus Russisch-Polen und Galizien, in ihrer heute nur schwer erträglichen Kombination von xenophoben und antisemitischen Tönen mit Großmacht-Phantasien, erinnern fatal an spätere und gegenwärtige Agitationen gegen die 'Überfremdung' Deutschlands."
    Am Ende mehr Patriot als Soziologe
    Noch unerfreulicher erscheint Webers Kriegsbegeisterung nicht nur am Beginn des Ersten Weltkriegs. Dirk Kaesler zitiert aus einem Brief Webers vom 15. Oktober 1914:
    "Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar, es lohnt sich ihn zu erleben - noch mehr würde es sich lohnen, dabei zu sein, aber leider kann man mich im Feld nicht brauchen, wie es gewesen wäre, wenn er rechtzeitig - vor 25 Jahren - geführt worden wäre."
    Offenbar war Max Weber schon Jahrzehnte lang nicht für den Frieden, sondern für den Krieg. Im September 1917 preist er den Kauf von Kriegsanleihen als gute Geldanlage und als nationale Pflicht. Nicht nur er selbst verlor damit einen großen Teil von den Resten seines ererbten Vermögens. Er ruinierte auch seine Mutter, die er zum Kauf motivierte.
    Als er im letzten Kriegssommer 1918 einen Lehrstuhl in Wien vertrat, war das Hauptgebäude der Universität, in dem er Lehrveranstaltungen abhielt, teilweise ein Lazarett für Verwundete. Dirk Kaesler schreibt dazu:
    "Es ist unmöglich, dass Max Weber diesen finsteren Anblick auf dem Weg in seine Vorlesung im Hauptgebäude vermeiden konnte, in dem es gewiss nach Tod und Verwesung gestunken hat und durch das die Schreie und das Stöhnen der verletzten Soldaten zu hören gewesen sein müssen. Dennoch findet sich keine Erwähnung davon in der uns erhaltenen Korrespondenz."
    Auch Jürgen Kaube kritisiert Weber, dass er seinen kühlen soziologischen Blick aufgibt, wenn es um seine eigenen letzten und höchsten Werte geht:
    "Für Weber hatte ihr Tod im Feld einen großen Sinn und das meine ich, wenn ich sage, da liest man nicht den Soziologen, wenn er darüber schreibt, dann eigentlich nur noch einen Patrioten."
    Weber hätte es besser wissen müssen
    Kaubes Biografie, die halb so viel Umfang besitzt wie diejenige Kaeslers, ist spannend geschrieben und gut lesbar, macht sie ein Professorenleben lebendig. Kaeslers Biografie wirkt demgegenüber manchmal schwerfällig, nicht zuletzt, da sie ungeheuer viel zitiert. Doch diese Zitate belegen zumeist nicht nur seine Thesen, sondern erhellen dieses Professorenleben nachhaltig, unter anderem mit einem Tagebucheintrag des Historikers Karl Hampe über einen Vortrag Max Webers nach dem Friedensvertrag von Versailles, in dem Weber feststellte:
    "Das A und O jeder Politik müsse die Abänderung des Friedensvertrages sein, jede Handlung müsse sich nach diesem Ziel richten. Die Zeit dazu sei noch nicht gekommen."
    Max Weber hat also auch gedanklich Hitler den Weg bereitet. Ein Vergleich zu Martin Heidegger drängt sich auf: Philosophen, die avancierte Theorien entwickeln, sind politisch wie persönlich nicht unbedingt liebenswerte Gestalten. Das ist umso schlimmer bei Weber, weil er eine explizite politische Theorie entwickelt, Heidegger nicht. Weber hätte es besser wissen müssen.
    Dirk Kaesler, Max Weber – Preuße, Denker, Muttersohn. Eine Biografie, C.H. Beck, München 2014, gebunden, mit 77 Abbildungen, 1007 Seiten, € 38.
    Jürgen Kaube, Max Weber – Ein Leben zwischen den Epochen, Rowohlt, Berlin 2014, gebunden, mit 27 Abbildungen, 495 Seiten, € 26,95