Dienstag, 19. März 2024

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Maxim Biller: "Der falsche Gruß"
Kokettes Spiegelkabinett

Ein bisschen Hass, viel Eifersucht und ein deplatzierter Hitlergruß: Maxim Biller besichtigt sein eigenes Leben und die fetten Jahre der Berliner Republik. Geschichte nicht als Tragödie, sondern als Farce.

Von Tobias Lehmkuhl | 03.09.2021
Ein Portrait des Schriftstellers Maxim Biller das Cover seines Romans "Der falsche Gruß"
Miaxim Biller und sein Roman "Der falsche Gruß" (Cober Kiepenheuer & Witsch Verlag / Autorenportrait (c) Arne Dedert/dpa)
Hans Ulrich Barsilay heißt der Gegenspieler des Erzählers in Maxim Billers "Der falsche Gruß". Dieser Hans Ulrich Barsilay, schreibt der Erzähler mehrfach, habe dunkle, halblange, lockige Leonard-Bernstein-Haare. Eine etwas irritierende Beschreibung, denn den großen amerikanischen Dirigenten Bernstein dürfte doch jeder weißhaarig vor Augen haben. Auch die Adjektive "halblang" und "lockig" sind zumindest diskutabel. Es steht also zu vermuten, dass Maxim Biller, der im wirklichen Leben ohne jegliche Haarpracht auskommen muss, seinen Spaß daran hat, diesen Hans Ulrich Barsilay derart zu frisieren, denn Barsilay ist niemand anders als eine etwas aufgepimpte Version von Biller selbst, eine schillernde schriftstellernde bundesrepublikanische Medienfigur:
"Er gestikulierte natürlich wild mit den Armen und Händen, dazwischen fuhr er sich ständig durch seine halblangen Leonard-Bernstein-Haare und erzählte dabei der Moderatorin, einer riesigen, unsicher lächelnden und sehr wagnerhaften Mittfünfzigerin, die ich vorher noch nie beim Sender gesehen hatte, dass viele Leute seinen nächsten Roman bestimmt pornografisch und auf die falsche Art edgy finden würden, vor allem die Frau, um die es darin ging."

Biller-Sound

Aber auch der Erzähler selbst, Erck Dessauer sein nicht minder abwegiger Name, auch der Erzähler, der sich an eben diesem Hans Ulrich Barsilay abarbeitet, trägt Züge Billers; vor allem schreibt er so wie Barsilay spricht und wie man es eben auch von Biller gewohnt ist: flott, pointiert, emotional, immer ein wenig kokett am Rand des Nervenzusammenbruchs entlang tänzelnd. Und so wie Barsilay davon spricht, das Publikum würde seinen Sex-Roman, bei dem man natürlich an Billers verbotenes Buch "Esra" denkt, "edgy" finden, so streut auch Dessauer modische englische Wörter der Sorte "of all places" oder "I swear" in seine Rede ein.
Wir haben es bei "Der falsche Gruß" also mit einer Art Spiegelkabinett zu tun, in dem Barsilay und Dessauer wie ein aufgesplittertes Abbild des Autors erscheinen. Der Anlass für diesen flotten Dreier ist der rechte Arm Erck Dessauers. Zum falschen, also zum Hitlerguß erhebt er ihn in einer Szene-Bar in Berlin Mitte, er, der Enkel eines Wehrmachtsangehörigen und Sohn eines SED-Mitglieds. Treffen will er damit Barsilay, den Nachkommen von Auschwitz-Überlebenden. Allerdings versetzt die Geste Dessauer selbst in existentielle Panik: Wird ihn der Gruß die Karriere kosten? Wird Barsilay ihn anzeigen, und hat Dessauer damit sein vorzeitiges Ende als Journalist und Autor selbst besiegelt?
"Ich soll ein Ketzer wider Auschwitz sein? Wirklich? Ich, der jede Zeile von Primo Levi, Imre Kertész und Tadeusz Borowski gelesen hatte? Ich, der immer so vorsichtig über Berlins Bürgersteige ging wie über rohe Eier, aus Angst, zufällig auf einen der vielen herrlich glänzenden, sogenannten Stolpersteine zu treten, die mich schon deshalb an ,dort‘ erinnerten, weil sie von Weitem wie die goldenen Zähne aussahen, die man den armen Menschen vor ihrer Ermordung rausgerissen hatte?"

Der große Holocaustkult

Barsilay stellt ihn nicht an den Pranger, stattdessen nutzt Dessauer Jahre später die Gelegenheit, Barsilay als Hochstapler zu entlarven. Eine seltsame Wendung der Ereignisse, und wenn man ohnehin schwer davon absehen kann, dass in beiden Männern ein Stück Biller steckt, überdies eine Form von Autoaggression. Aber das gehört zum Spiel, denn in Billers Spiegelkabinett ist alles dreimal dialektisch gewendet. Was man gegen Barsilay sagen kann - dass er, egal, worüber er spricht, nur von sich redet -, kann man auch von Biller behaupten, der es nur eben auf seine Art schon selbst gesagt und damit jeder Kritik präventiv den Wind aus den Segeln genommen hat:
"Warum, fragte ich mich nach all den Jahren – und ich frage mich das bis heute –, hatte Barsilay eigentlich nie versucht, mich zur Rede zu stellen? Warum hat er mir nicht irgendwann am Teutoburger Platz aufgelauert und mich ein paarmal kräftig geohrfeigt? Warum hat er nicht wenigstens nach meiner cleveren Zeit-Attacke versucht, mir zu schaden, und allen davon erzählt, wie ich selbst, sein größter Kritiker, mitten in einem bekannten Berliner Prominenten-Restaurant wie ein abgedrehter Nazi-Exhibitionist öffentlich gegen die Gesetze des großen Holocaustkults verstoßen hatte?"
Die Antwort könnte lauten: Weil sich jenes Doppelwesen Dessauer-Barsilay, in dem die deutsch-jüdische Kriegs- und Nachkriegsgeschichte in all ihren Klischees verbacken ist, schwerlich selbst anzeigen kann. Aber geht es in "Der falsche Gruß" wirklich um Deutsche und Juden und um die Mediengesellschaft der Schirrmacher-Jahre? Geht es um Identitätsfragen? Geht es überhaupt um irgendetwas? Oder ist "Der falsche Gruß" nicht vielmehr der nostalgische Rückblick auf eine Zeit, in der es noch eine Rolle spielte, für welche Zeitung man schrieb und wer die eleganteste Locke auf der nächstbesten Glatze drehen konnte? Wir nehmen es mal an. Freilich können auch nostalgische Doppel- und Tripelgängerfantasien wie diese leidlich unterhaltsam sein. Ein Muss sind sie deswegen nicht. I swear.
Maxim Biller: "Der falsche Gruß"
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln
128 Seiten, 20 Euro.