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Maxim-Gorki-Theater Berlin
Performance zum Thema Flucht

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsdebatte hat das Berliner Maxim-Gorki-Theater ein kleines Festival organisiert. Der "Herbstsalon" bietet Theaterproduktion, Performance und bildende Kunst - und beleuchtet das Thema Flucht und Flüchtlinge sehr eindringlich aus der Perspektive der Betroffenen.

Von Oliver Kranz | 16.11.2015
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Das Maxim Gorki Theater in Berlin (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Mehmet Atesci und Mareike Beykirch von der Gruppe Bankleer schieben einen Lautsprecherwagen über den Boulevard Unter den Linden. Sie halten ein Mikrofon in die Luft, um Stimmen hörbar zu machen. Plötzlich dröhnen Beats aus den Boxen ...
    "Ihr tut so, als kämen wir von einer anderen Welt. Geld und Finanzen sind aber überall gleich. Der Euro und der Dollar sind überall gleich. Für lebende Körper gibt es aber keine solche Einheit. Dafür gibt es Zonen, Mauern, Kontrolle, Verzweiflung, Hass, Tod und staubige Leere ..."
    Ein Ziel des Herbstsalons ist es, die Kunst auf die Straße zu bringen. Auf dem Platz vor dem Gorki-Theater hat der Künstler Daniel Knorr Panzersperren aufgestellt. Die sogenannten Tschechenigel standen früher an der Berliner Mauer und sollten Fluchtversuche mit Kraftfahrzeugen verhindern. Flucht und Migration sind die großen Themen des Herbstsalons:
    "Der Herbstsalon ist für uns eine wichtige Unternehmung, weil er es schafft, mannigfaltige Perspektiven auf ein und dasselbe Thema zu werfen."
    Sagt Shermin Langhoff, die Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters. Sie leitet das Haus seit zwei Jahren und hat unter dem Schlagwort "postmigrantisches Theater" ein Themenfeld besetzt, um das andere Bühnen lange einen Bogen machten.
    Anspruch, sich mit Politik auseinanderzusetzen
    Im Gorki geht es um die Vielfalt der Gesellschaft und um Konflikte, die dadurch entstehen können. Dass sich Theater mit Politik auseinandersetzen muss, ist für Shermin Langhoff gar keine Frage:
    "Pol-Art ist in Pop-Art ist out. Ich glaube, es geht gar nicht anders, als politisch zu sein."
    Für den Herbstsalon hat Shermin Langhoff das Palais am Festungsgraben gemietet, das sich gleich neben dem Gorki-Theater befindet. Dort ist bei freiem Eintritt eine Ausstellung zum Thema Flüchtlinge zu sehen.
    Nevin Aladag ist für ihre Videoinstallation "Borderline" mit dem Motorboot die griechisch-türkische Seegrenze abgefahren. Sie zeigt Inseln und Buchten, denen man nicht ansieht, dass sie zu verschiedenen Kontinenten gehören. Dann richtet sie die Kamera auf das sprudelnde Wasser hinter dem Boot. Und man ahnt, dass dort schon viele Menschen ertrunken sind. Warum werden Flüchtlinge heute als Gefahr wahrgenommen, fragt Shermin Langhoff:
    Tatsächlich gibt es nicht nur zivilgesellschaftliche Solidarität, sondern es gibt eben auch eine Hysterie und Angst. Und es ist wieder eine Situation, in der mit Angst Politik gemacht wird."
    "In unserem Namen" als Herzstück des Festivals
    Darauf soll der Herbstsalon hinweisen. Das Herzstück des kleinen Festivals ist die Theaterproduktion "In unserem Namen", in der der Regisseur Sebastian Nübling Texte von Aischylos und Elfriede Jelinek mit Zitaten aus einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestags zusammenbringt. Die Bestuhlung ist dafür aus dem Theatersaal entfernt worden. Schauspieler und Zuschauer kauern gemeinsam auf dem Boden oder sitzen auf einer Treppe, die zur Bühne führt.
    "Wir leben, wir leben, Hauptsache wir leben - und viel mehr als leben ist es auch nicht nach dem Verlassen der Heimat."
    Sebastian Nübling lässt die Schauspieler des Gorki-Theaters in ihrer jeweiligen Muttersprache sprechen. Viele von ihnen stammen aus Familien, die nach Deutschland eingewandert sind. Dadurch und durch die große Nähe zwischen Akteuren und Zuschauern, bekommt das Spiel eine große Direktheit:
    "Der erste Teil basiert auf den Texten von Aischylos und Jelinek, erzählt aber nicht die Geschichte der Schutzflehenden, sondern wie man sich fühlt, wenn man irgendwo ankommt und gleich an den Rand geschoben wird. Und einen zweiten Teil, in dem wir uns damit beschäftigen, unsere Rechtsprechung, mit welchen Begriffen da gearbeitet wird."
    Ein Chor von Anzugträgern zitiert Abschnitte aus Gesetzestexten und polemisiert gegen einzelne Formulierungen. Für Laien ist das juristische Kauderwelsch schwer verständlich. Nur eines wird klar: Es geht um eine Verschärfung der deutschen Abschiebepraxis. Obwohl die Sachverständigen in der zitierten Bundestagssitzung den Gesetzentwurf zum Teil sehr heftig kritisierten, wurde er am Ende beschlossen, erklärt Sebastian Nüblin:
    "Es ist in unserer Struktur der Text, der formulieren soll, was für alle gilt, mit dem wir letztendlich alle einverstanden sein müssen und der natürlich in der Exekutive für die sogenannten Rechtsanwendern Handlungsanweisungen gibt."
    Gesetze können kalt und hart sein
    Gesetze können kalt und hart sein. Ist es das, was die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will? Der Staat handelt "In unserem Namen" – darauf weist der Titel der Produktion hin. Am Ende sprechen die Schauspieler das Publikum direkt an:
    "Ihr werdet euren Nachbarn, den Newcomern, Brot und Salz bringen. Ihr werdet eure Angst vor ihnen ablegen und anfangen, auf sie zuzugehen. Denn das, was ihr damals falsch gemacht habt, bei uns und unseren Eltern mit eurer komischen Haltung, mit der ihr signalisiert "Ick hab keene Lust auf euch" werdet ihr nicht noch mal tun."
    Fordert der türkischstämmige Schauspieler Hasan Taşgın. Und tatsächlich beginnt eine Diskussion. Die Zuschauer umringen einzelne Darsteller und bleiben lange nach Vorstellungsende im Saal, um über Flüchtlinge und die deutsche Willkommenskultur zu sprechen. Stärker kann ein Theaterstück kaum wirken. Der Auftakt des Herbstsalons im Berliner Maxim-Gorki-Theater ist gelungen.
    Infos:
    "Herbstsalon" im Gorki-Theater Berlin, noch bis zum 29. November