Freitag, 29. März 2024

Archiv

Maxim-Gorki-Theater
Gestammel in der "Übergangsgesellschaft"

In seinem provokanten Theaterstück „Die Übergangsgesellschaft" zeichnete Volker Braun 1982 ein Bild der morbiden DDR. Thomas Langhoff inszenierte es Ende der 80er am Berliner Maxim Gorki-Theater, wo es jetzt auch sein Sohn Lukas Langhoff auf die Bühne bringt. Doch die Inszenierung scheitert vor allem, weil sie an die Stelle von Brauns Text ein eigenes assoziatives Anspielungs-Gestammel setzt.

Von Hartmut Krug | 15.12.2013
    Die Schauspieler Falilou Seck (links) und Till Wonka sitzen in einer Kinositzreihe mit roten Stühlen nebeneinander, geben sich die Hand und werfen beim Lachen den Kopf in den Nacken.
    Szene aus "Die Übergangsgesellschaft" am Maxim-Gorki-Theater in Berlin mit Falilou Seck (links) und Till Wonka. (picture alliance / dpa/ Claudia Esch-Kenkel)
    Ein DJ beschallt das Publikum aus dem Rang und referiert über den Entwicklungsgang des Techno-DJ Overground. Doch jede neue Beispielmusik klingt wie die vorhergehende. So wird dem Braunschen Stück dessen intellektuelles Fragepotenzial weitgehend genommen, denn auf Entwicklung zu Neuem und eine Übergangsgesellschaft ist in Lukas Langhoffs Inszenierung nicht mehr zu hoffen.
    Weshalb Langhoff und sein Dramaturg Holger Kuhla auch nicht Volker Brauns Stück spielen, sondern eine eigene "Spielfassung". Die lässt nur die Grundsituationen zwischen den Figuren, aber kaum Braunschen Text übrig. Und Langhoff erfindet unendlich viele Schauspielereien und Gags hinzu.
    In dieser neuen Fassung sind die Figuren weniger auf der Suche, als dass sie sich gelegentlich in Erinnerungen spiegeln. Dabei palavern sie hin und her und bewegen sich durch ihren verzweifelten Pragmatismus in rüdem, ungeschliffenem Ton:
    "Heutzutage schwimmt ja alles. Ich kann ja weder behaupten, dass sich hinter der Oberfläche nichts befindet, noch, dass sich etwas dahinter befindet. Zum Beispiel der Kapitalismus. Das wäre meiner Meinung nach gar nicht so deprimierend, wenn wir wirklich wüssten, dass sich hinter allem das Kapital versteckt. Der Verdacht, dass es nicht das Kapital ist, nicht der Kapitalismus, nicht das Begehren, nicht die Libido, die hinter allem steckt, das macht mich doch depressiv, da fange ich an, mich im Kreis zu drehen."
    Hinter einem groben Anführer, der ein Schild "Gorki Tour '91" trägt, marschieren die Schauspieler in den Saal und bauen sich vor dem Publikum auf, das auf der Bühne sitzt. Das Stilleben mit den Zuschauern sei ja nicht nur tot, sondern schon post tot, brüllt ein als Sachsen-Anhaltiner Veralberter, der bei Braun ein spitzelnder Fahrer war. Dann begeben sich alle in den Zuschauerraum, ziehen die Schutzbezüge von den Sitzen und verdrängen die dort verteilten verpuppten Mumien.
    Die Schauspieler spielen auch die Zuschauer
    Und nun geht alles durcheinander: die Zeiten, die Anspielungen und die Figurenkonflikte. Fast jede individuelle Deutlichkeit und Bedeutung der Figuren verschwimmt hinter einem heftigen Hin- und Hergezappel. Wobei die Frage, was das Theater und die Theaterleute leisten können, auch politisch, in skeptisch anklagenden und kabarettistischen Szenen durchgespielt wird. Die Schauspieler spielen auch uns Zuschauer, ob nach Klingelzeichen beim Platzwechsel oder beim Hustenanfall, der durch ein gereichtes Bonbon nicht gestoppt werden kann, denn die Hustende ist Diabetikerin.
    So albert sich die Inszenierung unter heftigem Originalitätsdruck mit viel Geschrei und von Wiederholungszwang geprägten Castorfiaden durch einen Text, der weder von Braun noch von heute ist und sich dabei oft in seinen Bedeutungen nicht erschließt. Wenig Genaues erfahren wir von den Problemen der Figuren, aber viel von ihrem inneren Druck.
    Der lässt zum Beispiel den alten anarchistischen Spanienkämpfer zum Techno eine Show des Fäuste-Ballens aufführen. Oder er bringt Mascha dazu, ihrem Gatten das Knie in den Unterleib und dessen Kopf in die Wandverkleidung zu rammen. So unterhält die Inszenierung immer dann, wenn sie aktionistische szenische Einfälle vorzeigt. Da tobt sich einer schlitzend an mehreren Sitzen aus, und Mascha zerschmettert mit einem Beil und der Hoffnung auf einen Song der "Einstürzenden Neubauten" die Saaltür. Trotzdem kommt sie nicht heraus, wo doch selbst die Sehnsucht nach Moskau von der "schwierigen politischen Lage" gedämpft wird. Und die einstige Hoffnung auf den "Neuen Menschen" ebenso lau ironisiert wird wie die Frage, wer damals "dabei" war:
    "Ich war´s nicht. Ich war nicht dabei. Aber wisst ihr, wer dabei war? Der Wolfgang Stumph war dabei. Mit Trabi. Und wisst ihr, wer noch dabei war? Der Wolfgang Lippert war dabei. Mit der Zange."
    Lukas Langhoffs Inszenierung, die sich deutlich allen Erwartungen verweigert, scheitert vor allem, weil sie an die Stelle von Brauns Text ein eigenes assoziatives Anspielungs-Gestammel setzt. Und: Weil sie eigentlich gute Darsteller zu leer übersteigertem Getobe verführt. Dass am Schluss ein Cowboy ganz in Weiß eine Parabel ohne Pointe erzählt, rettet die Inszenierung auch nicht mehr.