Freitag, 19. April 2024

Archiv

Mayotte
Unterwegs auf der "Seepferdcheninsel"

Frankreich im Indischen Ozean: Das ist die Insel Mayotte, die politisch zu Frankreich, geografisch aber zu den Komoren gehört. Zwischen Mosambik und Madagaskar gelegen, erhielt Mayotte 2011 den Status eines Überseedepartements. Vanille und Ylang-Ylang für Parfums sind Produkte, die auch exportiert werden. Ansonsten ziehen die Korallenriffe der Inseln Touristen und Naturliebhaber an.

Von Harald Brandt | 22.06.2014
    Ein Holzsteg, am Ende mit einer kleinen Hütte, führt aufs Meer
    Grand Terre, eine der Hauptinseln von Mayotte (dpa / Drolc Gerard )
    Mahajanga, Westküste von Madagaskar. Oktober.
    Auf der südlichen Erdhalbkugel hat schon das Frühjahr begonnen und jeden Tag rückt die Regenzeit näher. In ein paar Stunden wird mich ein Flieger nach Frankreich bringen. Frankreich im Indischen Ozean. Mein Ziel ist die Insel Mayotte, die politisch zu Frankreich, geographisch aber zu den Komoren gehört.
    Über 80 Jahre lang war der Archipel der Komoren, der zwischen Mozambique und Madagaskar liegt, ein französisches Protektorat. 1975 stimmten 95 Prozent der Komorer für die Unabhängigkeit, aber die Auszählung der Stimmen Insel für Insel ergab, dass die Mehrheit der Mahorais, der Einwohner Mayottes französisch bleiben wollte.
    Das war der Beginn der "Affaire Mayotte", die Paris Jahr für Jahr die Verurteilung der Vereinten Nationen wegen Missachtung des Völkerrechts einbrachte.
    Aber Frankreich ist durch seine eigene Verfassung gebunden, die vorschreibt, dass kein Territorium gegen den Willen der betroffenen Bevölkerung aus dem französischen Staatssystem entlassen werden darf.
    Mayotte müsse zu den Komoren zurückkehren, meint ein komorianischer Seemann, den ich am Vorabend meiner Abreise im Hafen von Mahajanga getroffen habe. Die Volksbefragungen seien manipuliert, glaubt er, in Wirklichkeit gäbe es auch unter den Einwohnern von Mayotte eine Mehrheit für die Unabhängigkeit.
    Ich spreche ihn auf die Separatisten an, die vor ein paar Jahren eine Wiedereingliederung der nur 70 km von Mayotte entfernten Insel Anjouan in den französischen Staat forderten. Diese Rebellion sei von französischen Söldnern angezettelt worden, sagt der Seemann, der jeden Monat auf der Route zwischen den verschiedenen Komoreninseln und Madagaskar unterwegs ist. Er ist zu stolz, um zuzugeben, dass der Aufstand wohl eher durch die katastrophale wirtschaftliche Situation auf den Komoren motiviert war, die Mayotte dagegen wie ein Paradies erscheinen lässt.
    Die Verwandlung der ehemaligen Kolonie Mayotte in ein Überseedepartement hat Frankreich viel Geld gekostet, und es gibt heute keinen Politiker mehr in Paris, der davon träumt, neue Territorien für den Staat zu erschließen. Die Zeit, als man Kanonenboote nach Madagaskar entsandte, ist endgültig vorbei.
    Eine knappe Stunde dauert der Flug von Madagaskar zur tropischen Insel Mayotte, die zwischen dem Äquator und dem Wendekreis des Steinbocks in der Straße von Mozambique liegt. 2011 erhielt Mayotte den Status eines Überseedepartements, das heißt, eine rechtliche Gleichstellung mit allen Departements im französischen Mutterland. Seit dem 1. Januar 2014 ist Mayotte als "Gebiet in äußerster Randlage" ein integraler Bestandteil der Europäischen Union.
    Beim Landeanflug setzt der Regen ein. Die Passkontrolle habe ich schnell hinter mir, für Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft ist es wie eine Reise nach Straßburg oder Paris.
    Auf jedem Flughafen in Madagaskar stürzen sich sofort die Taxifahrer auf den europäischen Reisenden und bieten ihre Dienste an, hier ist es ganz anders. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich mich endlich mit einem jungen Mann und zwei Kindern auf die Rückbank eines alten Peugeots zwängen kann. Lange dauert die Fahrt nicht. An der Anlegestelle, wo wir auf die Fähre zur Hauptinsel Grande Terre warten, kommen wir ins Gespräch.
    Said hat die Kinder seines Chefs aus Madagaskar abgeholt und bringt sie jetzt nach Hause. Er wolle mir helfen, ein Hotel zu finden, sagt er. Das sei oft schwierig, weil viele Zimmer an Angehörige der Gendarmerie vermietet werden.
    Der Regen wird immer stärker, von der Lagune ist während der Überfahrt nicht viel zu sehen. Ein Arbeitskollege wartet am Anleger von Mamoudzou auf Said und die Kinder, er ist einverstanden, dass ich mitkomme.
    Eine halbe Stunde später habe ich ein Hotel gefunden - nicht besonders gut, viel zu teuer und laut. Aber wenigstens habe ich ein Dach über dem Kopf.

    Das französische Überseedepartement Mayotte
    Das französische Überseedepartement Mayotte (picture-alliance/dpa/Drolc Gerard)
    Auf nach Grande Terre
    Am nächsten Tag bin ich wieder auf der Fähre - zwar befinden sich die meisten Verwaltungsgebäude in Mamoudzou auf Grande Terre, aber der Präfekt residiert immer noch in Dzaoudzi auf Petite Terre. Auch Teile der Fremdenlegion aus der früheren Garnisonsstadt Diego Suarez an der Nordspitze Madagaskars sind hier stationiert.
    Die Insel Petite Terre liegt am äußeren Rand des Korallenriffs, das den ganzen Archipel umgibt. Mit 1500 Quadratkilometern ist die Lagune von Mayotte eine der größten und schönsten auf der Welt. An der Ostküste von Petite Terre fällt der Vulkansockel auf dreitausend Meter Tiefe ab.
    Am Anleger nehme ich ein Taxi zum Internationalen Französischen Sender RFO - Radio France d'Outre Mer, der in allen Überseedepartements das Programmonopol hat.
    Schon in Madagaskar bin ich auf die Arbeiten der italienischen
    Anthropologin und Journalistin Tiziana Marrone gestoßen, die sich ausführlich mit den Ursprüngen der komorianischen Bevölkerung beschäftigt hat.
    Das sei ein schwieriges Thema, meint die junge Wissenschaftlerin. Archäologische Funde ließen vermuten, dass im 8. Jahrhundert nach Christus viele Einwanderer aus den arabischen Gebieten Ostafrikas auf die Insel gekommen sind. Zu den Fundstücken gehören auch chinesische Tonscherben, wahrscheinlich von Händlern, die für die arabischen Sultane tätig waren.
    Die verschiedenen Fertigungstechniken, die Tiziana Marrone bei den Tongefäßen nachweisen konnte, zeigen, wie groß die Vermischung der Kulturen hier gewesen sein muss, meint die Anthropologin. Auch die Nähe zum Inselkontinent Madagaskar hat die Geschichte von Mayotte beeinflusst.
    Madagaskar hat keine rein afrikanische Bevölkerung, obwohl es nur durch die 400 Kilometer breite Meeresstraße von Mozambique von Afrika getrennt ist. Der Großteil der Madegassen kommt aus dem indonesischen Raum, ihre Sprache ist eine indonesische Sprache und Mayotte ist die einzige Insel im Indischen Ozean, wo diese Sprache außerhalb von Madagaskar noch gesprochen wird.
    Es gäbe also verschiedene Einflüsse, sagt die Anthropologin, aber es sei nicht einfach zu sagen, wann genau die einzelnen Volksgruppen hier aufgetaucht sind.
    Die Ureinwohner der Insel waren sicherlich Bantustämme aus Afrika. Bis heute findet man in der Bevölkerung von Mayotte dieses Bantuerbe, das sich in der zentralen Stellung der Frau ausdrückt. Matrilokalität - der Mann lebt im Haus der Frau und Matrilinearität - die Erbfolge geht über die weibliche Linie der Familie, sind auch heute noch Grundzüge der Gesellschaft, selbst wenn durch den Islam die Rolle des Mannes aufgewertet wurde.
    Überall auf der Insel sieht man die Plakate " Un, deux, trois - bess ! - Eins, zwei, drei - genug ! ", womit die Einheimischen aufgefordert werden, es bei drei Kindern zu belassen. Der Bevölkerungszuwachs auf Mayotte ist rapide, dazu kommt die illegale Einwanderung von der Nachbarinsel Anjouan, die den Behörden Kopfzerbrechen bereitet. Mit über 200.000 Menschen ist die 374 Quadratkilometer große Insel schon ziemlich dicht besiedelt.
    Akustisches Panorama an der Straße zwischen Dapam und Mbouini - Vögel, Wind und Blätterrauschen im Vordergrund, Menschen und Tiere auf den Feldern, weit unten
    Ich stehe auf einer Passstraße, oberhalb des Tals von Mbouini. Es ist heiß und feucht, wie jeden Tag, aber hier auf dem Land ist die Hitze besser zu ertragen als in der Hauptstadt.
    Mbouini liegt ganz im Süden, im "Schwanz des Seepferdchens" - l'île hippocampe" wird Mayotte auch genannt, die Seepferdcheninsel. Auf Satellitenfotos kann man die eigenwillige Form deutlich erkennen, die vulkanische Aktivität und Erosion dem Archipel gegeben haben.
    Im Nordwesten, nur etwa 70 km entfernt, liegt die Nachbarinsel Anjouan, die mit den Inseln Mohéli und Grande Comore den Archipel der Komoren bildet.
    In den 1990er-Jahren gab es eine Rebellion auf Anjouan gegen die Zentralregierung in Moroni auf Grande Comore. Die Bevölkerung von Anjouan wollte wieder ein französisches Territorium werden, aber dieses Ansinnen stieß in Paris nur auf pikiertes Schweigen.
    Die Zeit der Kolonien ist vorbei, und kein Politiker hat Lust darauf, das schwierige Verhältnis zu den Komoren noch mehr zu belasten.
    2008 wurde die Rebellion durch eine Einsatztruppe der Afrikanischen Union beendet.
    Dass sich die Bevölkerung Mayottes bei allen Volksbefragungen immer für den Verbleib bei Frankreich entschied, hat neben wirtschaftlichen auch geschichtliche und kulturelle Gründe. Im 19. Jahrhundert war der Einfluss der afrikanisch geprägten Königreiche an der madegassischen Westküste sehr stark auf Mayotte.
    Heute gibt es noch 13 Dörfer auf der Insel, wo ein madegassischer Dialekt, das shibushi gesprochen wird. Die Mahorais hatten immer Angst davor, in einem wiedervereinigten komorianischen Staatsgefüge ihre kulturelle und linguistische Identität zu verlieren. Deshalb ist das ferne Frankreich nach wie vor der Garant nicht nur für relativen Wohlstand, sondern auch für die Bewahrung der eigenen Kultur.
    Mayotter-Frau mit typischer Maske aus Sandelholz
    Mayotter-Frau mit typischer Maske aus Sandelholz (Burkhard Birke)
    45 Prozent der Menschen sind Analphabeten
    Auch Madagaskar war bis 1960 eine französische Kolonie. In den ersten beiden Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit blieb die Großinsel das Land mit der höchstentwickelten Infrastruktur im Indischen Ozean. Davon ist nur noch wenig übrig geblieben, La Réunion und Mauritius sind heute die wirtschaftlichen Lokomotiven und vielleicht bald auch Mayotte.
    Am Abend nach meinem Ausflug in den Süden der Insel treffe ich den Schriftsteller David Jaomanoro, der Madagaskar vor ein paar Jahren verlassen hat, weil er die Armut und die Korruption nicht mehr ertragen konnte.
    Auf Mayotte entwickelt er in einem staatlichen Sprachinstitut
    Alphabetisierungsprogramme für die einheimische Bevölkerung. Obwohl sie zu Frankreich gehören, spricht nur ein Drittel der Mahorais Französisch. 45 Prozent der Menschen sind Analphabeten.
    "Vielleicht können wir hier Instrumente der sozialen Veränderung entwickeln, die später auch auf Madagaskar zur Anwendung kommen ", hofft David Jaomanoro.
    Die Herausforderung liegt darin, einer Bevölkerung das Alphabet beizubringen, die keine eigene Schriftsprache hat. Man könnte einwenden, dass die Mahorais die arabischen Schriftzeichen benutzen, um ihre beiden Sprachen, also das shimaoré und das shibushi zu schreiben, aber dafür ist nie eine einheitliche Regelung gefunden worden, jeder schreibt so, wie er will. Sobald man Laute hat, für die es kein Äquivalent im arabischen Alphabet gibt, ist jeder auf seine Erfindungsgabe angewiesen.
    Eine klassische Alphabetisierungskampagne besteht darin, den Menschen Schreiben, Lesen und auch das Rechnen beizubringen - das sind die drei Säulen. In Mayotte kommt nun dazu, dass die Bevölkerung Lesen und Schreiben in einer Sprache lernt, die nicht ihre Muttersprache ist, nämlich auf Französisch. Das bedeutet, dass die Menschen neben dem Alphabet auch die Grundlagen der französischen Sprache lernen müssen, sagt David Jaomanoro. Und das macht die Sache sehr komplex.
    Trotz der arabischen Einflüsse in der Vergangenheit und der Koranschulen, wo die Mahorais über die Religion auch die Grundbegriffe der arabischen Sprache lernen, ist Mayotte keine arabophone Gesellschaft. Ähnlich wie das Christentum auf Madagaskar ist auch der Islam auf Mayotte stark von animistischen Elementen durchsetzt, die den afrikanischen Einfluss verraten.
    In einer solchen Mischkultur ist die Versuchung immer groß, sich aus dem jeweiligen Rechtssystem und der jeweiligen Religion das herauszupicken, was die meisten Vorteile bringt.
    In der Poliklinik von Mtsapéré bin ich mit der Frauenbeauftragten von Mayotte verabredet. Nafisata Mouhoudhoir empfängt mich in ihrem Büro über den Behandlungszimmern. Der Blick geht auf einen kahlen Hang, der von Fußpfaden durchschnitten wird; oben auf dem Hügel stehen ein paar ärmliche Wellblechhütten.
    Sie bemerkt meinen Blick nach draußen und sagt : "Das ist Mayotte ! Die moderne Klinik, die aber schon zu klein ist - sie haben ja gesehen, wie viel Menschen draußen warten - , und direkt gegenüber, die miesen Hütten ohne Wasser und Sanitäranlagen. "
    Sie werden lachen, sagt die energische Ärztin, aber wenn auf Mayotte ein authentischer Islam ausgeübt würde, dann hätten wir viel weniger Probleme mit sitzengelassenen oder geschlagenen Frauen - überhaupt wäre die ganze Familiensituation viel besser. Es gäbe wohl keine andere Religion, meint sie, wo die Frau so geschützt ist wie im Islam. Zumindest auf dem Papier ...
    Wenn man Kinder in die Welt setzt, dann fordert die Religion, dass man sich auch um sie kümmert und sie so erzieht, dass sie nicht auf die schiefe Bahn kommen. Das bedeutet, dass ich mein Kind ernähre, erziehe, kurz, dass ich präsent bin. Aber genau das passiert nicht auf Mayotte, meint Nafisata Mouhoudhoir. Die Instabilität der Ehen wird immer größer, und die monoparentalen Familien nehmen zu. Eine Frau mit Kindern ohne den Mann, das ist das klassische Situation.
    Nafisata Mouhoudhoir sieht sich nicht als Islamexpertin. Ich bin nicht arabophon, sagt sie, aber wenn man sich ein bisschen informiert und dokumentiert, dann man merkt man schnell, dass hier alles mögliche getan wird, nur nicht das, was vom Islam vorgeschrieben ist. In der muslimischen Religion heißt es zum Beispiel, dass man sich nicht einfach so scheiden lassen kann, sondern erst 40 Tage nachdenken sollte, um herausfinden, ob man sich wirklich von seiner Frau trennen will.
    Die Schwierigkeiten auf Mayotte beruhen zum großen Teil auf der Verwechslung von islamischer Religion und lokalen Gebräuchen und Sitten. Die Menschen hätten die Tendenz, sagt die Frauenbeauftragte, Kultur und Religion miteinander zu vermischen, und es sei dann sehr schwierig, festzustellen, was wirklich zum Islam gehört und was allein aus der örtlichen Kultur kommt.
    Als ich am Morgen nach dem Interview mit David Jaomanoro am Frühstückstisch sitze, sagt mir der Kellner, dass mein Wagen, der vor dem Hoteleingang steht, Benzin verliert. Ich gehe nach unten und sehe, dass sich schon eine große Lache gebildet hat. Der Besitzer der Autovermietung, den ich erst nach einigen vergeblichen Versuchen erreiche, will selbst vorbeikommen, um zu sehen, was los ist. "Das übliche," meint er, als wir uns eine halbe Stunde später treffen "schauen sie, der Schlauch ist locker, jemand hat versucht Benzin zu klauen und ist dabei wahrscheinlich gestört worden, sonst wäre der Tank jetzt leer. " Wir fahren zusammen zu seiner Firma, im Industrieviertel nördlich von Mamoudzou, um die Sache zu reparieren.
    Monsieur Jivan ist Inder, früher hat er auf der Insel La Réunion gearbeitet, jetzt hat ihn die Perspektive einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung nach Mayotte gelockt. "Es gibt hier viel zu tun," sagt er mir, "wirtschaftlich wird sich die Insel sehr rausmachen, aber einfach ist es nicht. Das haben sie ja selbst gerade gesehen .... ! "
    Ein 160 Kilometer langes Korallenriff ist der größte Reichtum der Insel
    Von den Zuckerrohrplantagen der Kolonialzeit ist nicht viel übrig geblieben, nur die Bananenstauden sind noch überall auf der Insel zu finden. Bananen und Maniok gehören zu den Hauptnahrungsmitteln der einheimischen Bevölkerung.
    Es gibt nur kleine Felder, oft müssen die Bauern weite Wege zurücklegen, um ihre in verschiedenen Waldgebieten liegenden Parzellen zu bestellen.
    Auf meiner Fahrt über die Insel nehme ich immer wieder Menschen mit, die mit ihren Arbeitsinstrumenten auf dem Rücken schon etliche Kilometer zurückgelegt haben, und die sich über den Lift freuen. Viele sprechen nur gebrochen Französisch.
    Landwirtschaft und Fischfang dienen auf Mayotte der Eigenversorgung, nur Vanille und Ylang-Ylang sind Produkte, die auch exportiert werden.
    In den Bergen bei Combani hat der Pariser Parfümeur Guerlain eigene Plantagen, wo die Ylang-Ylang Bäume angebaut werden, deren Blütenessenz ein Grundstoff fast aller Parfüms ist.
    In ein paar Stunden kann man die Insel umfahren. Im Vergleich zu Madagaskar sind die Straßen hervorragend. Aber der größte Reichtum Mayottes ist nicht im Inneren zu finden, sondern in der Lagune, die durch ein 160 Kilometer langes Korallenriff gebildet wird, das die ganze Insel umgibt.
    Ein Tummelplatz nicht nur für die Buckelwale, die im Südwinter, von Juli bis Oktober die flachen Wasser als Kinderstube für ihre Neugeborenen nutzen. Wissenschaftler aus der ganzen Welt studieren hier die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Korallenriffe und die Artenvielfalt.
    Seit mehreren Jahren ist die Jagd auf Meeresschildkröten verboten, und die Strände, wo die Tiere zum Eierablegen an Land kommen, werden streng überwacht.
    Mit einer Taucherbrille kann man die Schildkröten beim Abgrasen der unterseeischen Poseidoniswiesen beobachten. Sie wissen, dass sie hier vom Menschen nichts zu befürchten haben. Selbst wenn man ihren Rückenpanzer berührt, lassen sie sich bei ihrer Tätigkeit nicht stören.
    Wirtschaftlich war Mayotte nie sehr bedeutend für Frankreich. Aber der durch die Lagune gebildete riesige Naturhafen spielte im 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle für den Seehandel mit Indien und China.
    Dass schon 1846, fünf Jahre nach der Einrichtung des Protektorats, die Sklaverei abgeschafft wurde, ist für den Abgeordneten Henry-Jean-Baptiste eine der Erklärungen, warum sein Volk immer bei Frankreich bleiben wollte.
    Wirtschaftliche Vorteile und die Sorge, die eigene Kultur im regionalen Kontext ohne die Hilfe aus dem fernen Europa nicht aufrechterhalten zu können, sind sicherlich das stärkere Argument. Trotz aller Kosten und politischer Probleme, die ihm die ehemaligen Kolonien bereiten, ist Frankreich letztlich doch Gewinner. Die Überseeterritorien sind nicht nur ein Tummelplatz für hohe Staatsfunktionäre, Ingenieure und Geschäftsleute.
    Der aus Mauritius stammende Schriftsteller Jean-Marie Le Clézio spricht von gesellschaftlichen Laboratorien, wo Modelle des Zusammenlebens entwickelt werden, die nur unter den besonderen Bedingungen kleiner Inselstaaten entstehen können. Sie hätten aber durchaus eine Wirkung, nicht nur auf das Mutterland, sondern auch auf andere, größere Länder der Region.
    Jeder, der in Frankreich gelebt hat, wird das bestätigen können: Neu-Kaledonien, La Réunion, Saint-Pierre-et-Miquelon, Martinique und Guadeloupe, die Kuergeleninseln, Französisch Polynesien und ... Mayotte sind zwar exotisch, aber auch fester Bestandteil der modernen französischen Kultur. Sie beeinflussen das Denken und die Träume der Menschen.