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Mazedonien nach der Wahl
Abstimmung mit den Füßen

Die Abwanderung gut Ausgebildeter ist in Mazedonien ein riesen Problem: Etwa eine halbe Million Menschen haben das Balkanland bereits verlassen. Mit der Parlamentswahl am Sonntag waren daher viele Hoffnungen auf Besserung verknüpft. Doch die Abstimmung führte zu einer Pattsituation. Ein Ende des politischen Stillstands scheint weiterhin nicht in Sicht.

Von Stephan Ozsváth | 13.12.2016
    Eine ältere Frau mit Kopftuch kommt aus einer Wahlkabine heraus, den Stimmzettel in der Hand.
    Am vergangenen Sonntag wurde in Mazedonien ein neues Parlament gewählt. (AFP/Tomislav GEORGIEV)
    Struga, im Westen Mazedoniens. Das kleine Städtchen liegt malerisch am Ohrid-See, kleine Brücken führen über den Zufluss, den Schwarzen Drin, der türkisfarben durch den Ort fließt. In den Kaffees sitzen junge Leute, ein CD-Verkäufer versucht in der Fußgängerzone, Balkan-Pop an den Mann zu bringen. Ein junger Mann röstet Kastanien im Freien, die er verkauft. "Das gehört nicht mir", sagt er, "ich arbeite hier nur". Insgesamt machen wir im Monat vielleicht 1.000 Euro Umsatz, erzählt der junge Mann, der eigentlich ein Burek-Bäcker ist. Er selbst verdiene gerade mal 200 Euro, das reiche zum Leben gerade mal so.
    Amtsmissbrauch und Korruption
    Insgesamt gehört ein Viertel der Bevölkerung von Mazedonien der ethnischen Minderheit der Albaner an. Auch in Struga leben viele Albaner. Sali Aslan ist 32, arbeitet als Arzt in Wien, erzählt er. Nur um seine Stimme abzugeben, ist er in seine Heimat-Stadt zurückgekommen. "Die Leute haben nichts zu Essen. Es gibt Familien, die haben nichts zu essen, andere Familien haben drei, vier Leute in der Verwaltung. Was ist das für eine Demokratie? Gruevski muss auch weg, genug von den Kriminellen."
    Die Regierung von Langzeit-Premier Gruevski hat den Staat gleichsam gekapert: Die Justiz, die Medien, die Politik, die Wirtschaft - tausende Mazedonier wurden in seiner zehnjährigen Amtszeit abgehört. Die Abhörprotokolle zeigen einen Abgrund von Amtsmissbrauch und Korruption. Und er hat einen Wasserkopf in der Verwaltung geschaffen, bis zu 180.000 Menschen arbeiten für den Staat. Mit Jobs wird Loyalität belohnt.
    Für die jungen Mazedonier bleibt da nichts übrig, schimpft diese junge Frau, eine Sportlehrerin, hochgewachsen, modisch gekleidet. Sie sei arbeitslos, sagt sie, liege ihren Eltern auf der Tasche. Sie wünscht sich Jobs. Und dass sich mal jemand um ihre Generation kümmert. Die Senioren könnten kostenlos Skifahren, aber sie fänden keine Jobs. Wenn sie könnten, wären sie schon längst weg aus Mazedonien, sagt sie, und ihre Freundin pflichtet ihr bei.
    Brain Drain oder Abstimmung mit den Füßen
    Brain Drain - die Abwanderung gut Ausgebildeter - ist ein Riesen-Problem, etwa eine halbe Million Menschen hat das kleine Balkanland verlassen, bestätigt Abdylmenaf Bexheti. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Südosteuropa-Universität von Tetovo. "Leider gehen alle, die eine Möglichkeit sehen, ins Ausland. Wer keine Alternative sieht, bleibt hier. Heute ist es für die Zufriedenheit der Leute wichtig zu sehen, dass ein Staat und seine Institutionen funktionieren. Aber wenn ich beispielsweise vor Gericht nicht Recht bekommen kann, dann fühle ich mich nicht sicher und dann gehe ich."
    Seine beiden Kinder studieren im Ausland, erzählt der Professor - obwohl er wohlhabend ist. Es müsste dringend Reformen geben, politische wie wirtschaftliche, sagt der Wirtschaftsexperte. Aber nach der Wahl gibt es erst einmal ein Patt. Weder nationalkonservative Regierungspartei noch oppositionelle Sozialdemokraten haben eine Mehrheit. Zünglein an der Waage sind jetzt die Albaner-Parteien. Doch so manch einer spricht schon von Neuwahlen.