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Mechelens Bürgermeister Somers
Ein Liberaler zum Anfassen

Null Toleranz und Vielfalt? Kritiker sehen in Mechelens Bürgermeister Bart Somers einen wandelnden Widerspruch. Er selbst versteht sich als Anhänger des klassischen liberalen Versprechens: Menschen helfen sich untereinander - die Politik macht Teilhabe und Aufstieg möglich.

Von Benjamin Dierks | 13.02.2019
    Mechelen mayor Bart Somers celebrates at a party meeting on the evening after the local elections, in Mechelen, Sunday 14 October 2018. Belgium votes in municipal, district and provincial elections. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY JASPERxJACOBS 05447875
    Mann des Volkes: Mechelens Bürgermeister Bart Somers kann oft nur ein paar Schritte tun, bis Bürger ihn ansprechen (imago stock&people)
    Bart Somers kann nur einige Schritte aus dem Rathaus auf den historischen Marktplatz von Mechelen tun, da wird er von einem Passanten angesprochen.
    In seiner Nachbarschaft stehe ein Haus nun schon seit Monaten leer, berichtet ein älterer Mann in Fliegerjacke und Schiebermütze. Bart Somers tippt eine Notiz in sein Handy. Er werde sich darum kümmern, verspricht er. Wer in Mechelen Häuser leer stehen lässt, muss nämlich eine Abgabe zahlen. Und alle müssen sich bei Bart Somers an die Regeln halten, auch Hausbesitzer.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Leeres Label? Liberale Parteien in Europa.
    Mechelen ist eine überschaubare Stadt im flämischen Teil Belgiens, rund 90.000 Einwohner, ungefähr auf halber Strecke zwischen Brüssel und Antwerpen. Sie würde nicht weiter auffallen, erzählte sie nicht die Geschichte davon, wie eine einst weitgehend verwahrloste Stadt zum leuchtenden Symbol für Integration und sozialen Aufstieg geworden ist.
    Ein echter Liberaler muss sozialen Aufstieg ermöglichen
    Diese Kehrtwende hat Mechelen zu einem großen Teil Bart Somers zu verdanken, seit 18 Jahren ihr Bürgermeister. Ein Liberaler, der Mechelen in einer eher untypischen Koalition mit den flämischen Grünen regiert, und zum Vorbild nicht nur für andere Bürgermeister geworden ist, sondern auch für Liberale aus ganz Europa. Somers hat eine klare Vorstellung davon, was liberale Politik leisten soll:
    "Die liberale Ideologie verspricht, dass Menschen sich und ihren Familien ein besseres Leben ermöglichen können, wenn sie hart arbeiten. Aber wenn Menschen die soziale Leiter nicht erklimmen können und am Boden bleiben, dann erzählen wir nur ein Märchen, eine Lüge."
    Bart Somers geht an den Marktständen entlang, die sich vom historischen Platz in eine Einkaufsstraße ziehen.
    "You see the change of people who come to the market."
    Selbst die Marktbesucher hätten sich gewandelt, berichtet Somers. Die Mittelschicht sei wieder da. Die Geschäfte am Rand, einst verwaist, haben hübsch hergerichtete Auslagen.
    "Der Anfang für ein neues Mechelen"
    Somers biegt auf einen kleinen Platz ein, der am Ufer der Dijle liegt, des Flusses, der die Region Brabant durchquert: der alte Fischmarkt, seit Generationen schon Kneipen- und Ausgehviertel.
    "Auch ich habe hier mein erstes Bier getrunken und meine erste Freundin getroffen. Aber auf der anderen Seite des Flusses war eine verlassene Brauerei. Da war alles kaputt und man konnte sich nicht sicher fühlen."
    Bart Somers, Bürgermeister im belgischen Mechelen
    Somers hat in 18 Jahren als Bürgermeister ehemalige Angsträume in bewohnbare Gegenden verwandelt (Deutschlandradio / Benjamin Dierks)
    Somers überquert eine Fußgängerbrücke, die heute beide Seiten verbindet. Wo einst die Brauerei verfiel und das Verbrechen gedieh, ragen heute moderne Wohnhäuser empor.
    "That was the start of the new Mechelen, the renaissance of our town."
    Hier habe die Wiedergeburt von Mechelen begonnen, berichtet Somers. Er biegt in eine Straße mit schmalen zwei- oder dreigeschossigen Häusern ein.
    "This quarter was historically one of the poorest."
    Seit jeher einer der ärmsten Teile der Stadt, lange wohnten nur Einwanderer hier. Sie und die angestammte Bevölkerung gingen getrennte Wege, ein Drittel der Einwohner wählte die rechtsradikale Partei Vlaams Belang. Heute ist rund jedes dritte Haus saniert. Somers hat einen Park einrichten lassen – mit denselben hochwertigen Bänken und Laternen wie anderswo, und sogar noch bevor er die bürgerlichen Teile der Stadt sanierte. Die Anwohner hier sollten merken, dass sie etwas zählen.
    Die Familien aus der Mittelschicht, die nun hierher zögen, seien so etwas wie unbezahlte Sozialarbeiter, weil sie die ärmeren Anwohner mit sich zögen.
    "Und beim gemeinsamen Grillen sprechen Ali und Jan miteinander. Und wenn dann später mal die Kinder von Ali etwas anstellen, ruft Jan nicht die Polizei, sondern klingelt bei Ali. Und der sieht in ihm nicht den weißen Rassisten, der sich schon wieder über die Ausländerkinder beschwert, sondern er vertraut Jan."
    "Leute einbinden, nicht ausschließen, das ist wirklich liberal"
    Eine Antwort auf die Vielfalt in der Gesellschaft zu finden, hält Bart Somers für die wichtigste Aufgabe liberaler Politik. Und das will er seinen europäischen Kollegen mitgeben, wenn sie ihn in Mechelen besuchen oder auf ihre Kongresse einladen.
    "Wir müssen viel offensiver und positiver mit Vielfalt umgehen. Wir sind keine naiven Linken, die die Schwierigkeiten übersehen. Aber wir haben auch nicht dauernd Angst wie die Konservativen. Wir wissen, dass wir Regeln durchsetzen und für Prinzipien kämpfen müssen. Aber das geht auch mit Respekt, indem wir Leute einbinden und nicht ausschließen. Das ist wirklich liberal."
    Somers wurde als Law-and-Order-Besessener beschimpft wie auch als Multi-Kulti-Träumer. Er hat bereits Ordnungswidrigkeiten und kleine Straftaten hart ahnden lassen. In der ganzen Stadt wurden Überwachungskameras aufgehängt. Auf der anderen Seite hat er dort geholfen, wo Menschen Hilfe bei der Integration brauchten. Als Belgien staatliche Bildungsausgaben kürzte, hielt er das für Irrsinn und glich die Lücke durch öffentliche Zuschüsse der Stadt aus.
    "Ein liberaler Politiker muss in erster Linie für die da sein, die gerade nicht so erfolgreich sind. Wer erfolgreich ist, kann sich meistens ganz gut selbst helfen."
    "Das Drama ist, wir sind vom Gruppendenken besessen"
    Das Letzte, was er will, ist Menschen über einen Kamm zu scheren – für ihn der schwerste Fehler in der Integrationspolitik.
    "Wir haben den Reflex, Menschen auf eine Identität zu reduzieren. Dadurch machen wir eine Karikatur aus ihnen. Wir kleben ihnen ein Etikett auf und beeinflussen dadurch auch ihr Verhalten. Für Rechte sind Einwanderer Störenfriede, die das Sozialsystem ausnutzen. Für Linke sind sie chancenlose Diskriminierungsopfer."
    Liberale müssten dagegen ihr Versprechen einhalten, dass sie jeden einzelnen Menschen sehen.