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Medien in Ostdeutschland
Einseitiger Blick?

Viele Medien blicken derzeit verstärkt auf die ostdeutschen Bundesländer und fragen nach Klischee und Wirklichkeit. Die Perspektive ist vor allem eine westlicher Verlage und Unternehmen. Im Osten zeige sich vor allem Verunsicherung in der Branche, meint Journalist Sergej Lochthofen.

Sergej Lochthofen im Gespräch mit Christoph Sterz | 26.08.2019
Ein Passant geht an einem Wandbild mit der deutschen Nationalflagge und dem Schriftzug "Ossi oder Wessi?" vorbei.
Wie unterschiedlich ticken Ost und West? (dpa/ Rainer Jensen)
30 Jahre nach dem Mauerfall rückt die Frage, was uns in Deutschland verbindet und was uns trennt, in den Fokus des Medieninteresses – mal wieder: Wie unterscheidet sich die Lebenswelt im Osten von der im Westen?
Etliche Medien beschäftigen sich im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachen und in Brandenburg außerdem intensiv mit dem Wahlverhalten in ostdeutschen Bundesländern. So titelt das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" derzeit mit einem klischeebehafteten Spruch: "So isser, der Ossi." Unter dieser Überschrift gehen die Autoren der Frage nach, wie der Osten tickt und warum er anders wählt.
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Für Sergej Lochthofen liefert die Titelseite keinen Grund zur Aufregung: "Ein ganz normaler Titel", sagte er im Deutschlandfunk. Lochthofen war von 1990 bis 2009 Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen und zählt zu den profiliertesten Journalisten aus Ostdeutschland.
Kritik am Spiegel-Titel
Kritiker beklagten aufgrund des Spiegel-Titels allerdings mangelnden Respekt. So äußerte sich unter anderem der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, per Twitter: "Ob eine Aussage pauschal herabsetzend, chauvinistisch oder diskriminierend ist, erkennt man, wenn man das Wort 'Ossi' durch ein anderes ersetzt und sich dann immer noch witzig findet."
Lochthofen hält entgegen, dass sich der Osten den "Spiegel"-Titel "hart erarbeitet" habe: "Es ist ja auffällig, dass mit Blick auf die Wahlen die Demokratie im Osten auf dem Rückzug ist."
Es zeigen sich sowohl bei der Mediennutzung als auch beim Vertrauen, das die Bevölkerung in die Medien setzt, deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Laut einer Untersuchung der Uni Würzburg ist das Medienvertrauen in Ostdeutschland seit Jahren deutlich geringer als im Westen – mit Folgen für die Arbeit von Journalisten, sagt Lochthofen: "Insgesamt ist die Verunsicherung in der Branche sehr groß." Das liege vor allem an rückläufigen Leserzahlen und sinkenden Umsätzen. Er beklagt, viele Redaktionen würden kaputtgespart, so dass nicht mehr richtig recherchiert werden könne.
Westdeutscher Blick
Eine mögliche Erklärung für das vergleichsweise geringe Medienvertrauen sehen Experten darin, dass der mediale Blick noch immer stark von Unternehmen und Verlagen aus Westdeutschland geprägt sei. In vielen Redaktionen sehe man den Osten noch mit der Brille eines Auslandskorrespondenten, meint auch Lochthofen.
Der Mitteldeutsche Rundfunk hat in einer quantitativen Analyse die wichtigsten Themen in der Berichterstattung in Ost und West gegenübergestellt.
Von der Idee, es müsse sich eine überregionale Zeitung aus dem Osten etablieren, hält Lochthofen allerdings nichts; dafür gebe es keinen Markt. Er könne sich noch an Gespräche mit dem FAZ-Geschäftsführer erinnern, der zu Beginn der 1990er-Jahre starke Verkaufszahlen im Osten erwartet habe: "Er ging von 100.000 Exemplaren, die er im Osten verkauft, aus. Das ist natürlich nie eingetreten."
Wirtschaftlich haben die Verlage allerdings lange Zeit von den Regionalzeitungen im Osten profitiert: "Die Thüringer Allgemeine hat 20 Jahre Aufbau West gemacht. Das heißt, wir haben jedes Jahr viele, viele Millionen Gewinn überführt, womit man zum Teil im Westen defizitäre Zeitungen gepäppelt hat."