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Medien in Russland
Wahlkampf verlagert sich ins Netz

Der mediale Wahlkampf in Russland ist zäh: Wladimir Putin nimmt an keiner Fernsehdebatte teil, die Staatsmedien berichten unkritisch über den russischen Präsidenten und die Opposition findet dort nur minimal statt. Putins Gegenkandidaten suchen ihr Heil deshalb immer mehr im Netz.

von Thielko Grieß | 15.03.2018
    Wladimir Putin im Wahlkampf auf dem Nakhimova-Platz in Sewastopol auf der Krim
    Wladimir Putin in Sewastopol - einer seiner seltenen Wahlkampfauftritte. (imago/Alexei Nikolsky)
    An etlichen Tagen laufen Fernsehdebatten im russischen Fernsehen. Der Erste Kanal beginnt mit der Ausstrahlung früh morgens um acht Uhr Moskauer Zeit, andere Kanäle folgen tagsüber und abends. Den Debatten wird viel Sendezeit zugestanden.
    Die Fragen der Moderatoren sind selten bohrend, doch gelegentlich kommt so etwas wie die Atmosphäre politischer Auseinandersetzung auf. Die Antwortlänge misst eine Uhr. Schlagzeilen produzieren diese Sendungen nur selten. Meist deshalb, weil nicht mehr debattiert, sondern inhaltslos gestritten wird. Wladimir Schirinowskij, Langzeitpolitiker und Nationalist, der für seine schrillen Töne landesweit bekannt ist, greift häufig seine Konkurrentin Ksenija Sobtschak persönlich an. Mit scharfen Beleidigungen, von denen "Zicke" noch die höflichste ist.
    Einmal greift die Sobtschak zum vor ihr stehenden Wasser und schüttet es Schirinowskij über den Anzug. Ein anderes Mal kommen ihr die Tränen, und sie verlässt das Studio. Nicht immer kommen die Kandidaten selbst zu diesen Debatten, sondern lassen sich vertreten. Nur einer nimmt überhaupt nicht teil: Wladimir Putin.
    Wahlkampf-Großveranstaltungen besucht Putin kaum
    "Sie haben gezeigt, was eine echte Demokratie ist", so Putin Mitte der Woche in Sewastopol, größte Stadt auf der Krim vor tausenden Anhängern. Der Vollzug der Annexion jährt sich am Sonntag zum vierten Mal, der Wahltermin ist bewusst auf diesen Tag gelegt worden. Solche Wahlkampf-Großveranstaltungen besucht Putin selten. Die Staatsmedien zeigen ihn sonst beständig als Präsidenten, der im ganzen Land sogenannte Arbeitsbesuche absolviert. Es ist wie sonst auch: Putin reist an, spricht und mahnt rasche Problemlösung an.
    Erstaunlich ist dies: Seine Wahlkampagne im Netz fällt minimal aus. Das Team des Präsidenten hat eine Seite aufgesetzt, die mit einigen Videos und Argumenten die Wähler von weiteren sechs Jahren Amtszeit überzeugen soll. Offizielle Auftritte bei VKontakte, Facebook, Twitter gibt es nicht. Lediglich die regionalen Wahlkampfzentren haben eigene Seiten erstellt, mit denen sie unter anderem ihre Arbeit zwischen Kaliningrad und den Sachalin-Inseln organisieren. Die Werbung für den Präsidenten kommt in ganz anderer Gestalt.
    Mehrere Filme sind in den vergangenen Wochen erschienen, die als Dokumentationen angepriesen werden. Sie stehen im Netz. Journalismus sind sie nicht.
    "Sind Sie Optimist oder Pessimist?"
    "Ich habe es Ihnen schon gesagt: Ich bin Optimist, wie alle in unserem Land."
    Opposition verlagert Wahlkampf ins Netz
    Das ist die Abschlussfrage an Putin in einem der Filme, die weniger aus Recherche bestehen als aus einem Zusammenschnitt langer Gespräche mit dem Präsidenten und solchen, die seine Politik ausschließlich positiv beschreiben. Produziert von einem bekannten Moderator des Staatsfernsehens. Bislang ist der Film "Weltordnung 2018" auf Youtube mehr als 2,4 Millionen Mal aufgerufen worden.
    "Das Hauptproblem in Russland ist die Armut."
    Der Kandidat der Kommunistischen Partei und linker Kräfte, Pawel Grudinin, wirbt in der Stadt Pawlowskij Possad östlich von Moskau für sein Programm, sein Team streamt den Auftritt ins Netz. Zwar müssen die Staatsmedien seine Wahlkampftermine auch im Programm berücksichtigen, aber die Redaktionen erfüllen nur die Mindestanforderungen. Also weichen die Konkurrenten ins Internet aus: Dreh- und Angelpunkt der Kampagne der Kommunisten ist die Seite im sozialen Netzwerk VKontakte. Live-Übertragungen, kurze Statements, Videos zum Teilen, auch Kurioses, darunter Kommentare und mitunter mehrere tausend Zugriffe auf Inhalte – die Möglichkeiten der Seite werden genutzt. Auf Twitter allerdings setzt Grudinin nicht. Zu lesen sind lediglich knapp 60 Tweets seit Januar. Ganz ähnlich agiert das Team der einzigen Kandidatin dieser Wahl: Ksenija Sobtschak. Nur: Sie twittert mit größerer Ausdauer.
    Die vielleicht kuriosesten Aufrufe zur Wahl sind vor einigen Wochen im Netz aufgetaucht. Hier ein Beispiel: Ein Familienvater legt sich neben seine Frau ins Bett, er will schlafen. Sie aber stellt am Vorabend der Wahl den Wecker, womit er lieber nichts zu tun haben will. Eingeschlafen, schütteln ihn Albträume: An seiner Tür klingeln schwarze Soldaten, um ihn einzuziehen, sein Sohn pumpt ihn an, um Wachmänner in dessen Schule zu bezahlen, und in der Küche sitzt ein Schwuler, der sich die Fingernägel feilt.
    Wäre er doch wählen gegangen, um solche Zustände in Russland zu verhindern.