Donnerstag, 25. April 2024

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Medien und Grenzüberschreitungen
Boris Palmer und das N-Wort

Die Grünen wollen Boris Palmer aus der Partei ausschließen. Hintergrund sind Äußerungen des Tübinger Oberbürgermeisters auf Facebook. Aber was genau hat er dort eigentlich geschrieben? Der Fall zeigt auch, wie kompliziert die Berichterstattung über Grenzüberschreitungen ist.

Text Michael Borgers / Anatol Stefanowitsch im Gespräch mit Bettina Schmieding | 10.05.2021
Bilder einer Demonstration gegen das N-Wort in Hamburg
In Hamburg gingen Anfang 2020 Menschen gegen die Verwendung des N-Worts auf die Straße (IMAGO / Jannis Große)
Am Ende war also alles ein großes Missverständnis. In Wirklichkeit habe er Dennis Aogo in Schutz nehmen wollen, erklärte Boris Palmer. Bei seinem Eintrag auf Facebook habe es sich um "Satire" gehandelt. Palmer wollte eine Auseinandersetzung zwischen Aogo und Jens Lehmann, einem weiteren ehemaligen Fußballer, und ihre Folgen thematisieren.
Dass der 48-jährige Regionalpolitiker bundesweit Schlagzeilen macht, ist nicht neu. Den "Stöckchen", die er Medien hinhält und über die diese bereitwillig springen, widmete der Deutschlandfunk bereits 2018 eine Kolumne. Daran geändert hat sich seitdem wenig: Palmer sagt oder schreibt etwas, sorgt damit für mediale Aufregung und erklärt sich selbst anschließend. Im aktuellen Fall etwa damit, er wolle sich nicht der "Generation beleidigt" und der "selbstgerechten Lifestylelinken" nicht beugen.

Debatte ohne zentrale Wort-Nennung

Doch dieses Mal ist etwas anders: Das zentrale Wort, an dem sich die aktuelle Diskussion entzündet, geben die meisten Redaktionen gar nicht erst wieder. Nur wie können Leser und Zuschauerinnen dann überhaupt den Streit verstehen?
Die Welt des Boris Palmer
Boris Palmer nutzt soziale Medien für gezielte Provokationen – und hat offenbar den Bogen überspannt. Ein Ausschlussverfahren mitten im Wahlkampf könnte mit Palmer unschön werden, meint Katharina Thoms. Ein Kommentar.
Eine Frage, die auch in den Redaktionen des Deutschlandfunk diskutiert wird. Die einen finden, es muss klar benannt werden, weil es zur Information dazugehört. Andere lehnen das ab und verweisen auf die Verantwortung von Medien.

Rassismen auf dem Rückzug

Das diskutierte Wort besteht aus zwei Teilen. Der erste ist das, was inzwischen die meisten, auch Medien, "N-Wort" nennen. Das zweite beschreibt umgangssprachlich das männliche Geschlechtsteil. Wir nennen an dieser Stelle weder den einen noch den anderen Begriff. So machen es auch die meisten anderen klassischen Nachrichtenmedien, wie eine Online-Suche nach dem Begriff ergeben hat.
Anders sieht das beim N-Wort alleine aus. Viele Redaktionen nannten es im Zusammenhang mit dem Streit der Ex-Fußballer Aogo und Lehmann – und tun es auch jetzt wieder, nachdem der Streit mit Palmer in die Verlängerung geht. Ein Wort, das zwar lange wie selbstverständlich in Deutschland verwendet wurde, sich aber seit Jahrzehnten auf dem Rückzug befindet, weil es eine rassistische Bezeichnung ist.

"Sprache ist Macht"

Ob N-Wort oder auch andere Entwicklungen wie aktuell das Gendern oder Mitte der 1990er-Jahre die Reform Rechtschreibung – Medien arbeiten mit Sprache und müssen sich entscheiden, wie sie sie einsetzen. Ein Prozess, der andauert und niemals ganz abgeschlossen sein wird, wie alleine dieser kurze Blick in die Sprachgeschichte zeigt.
Kampfzone "Politische Korrektheit"
Der Begriff "Politische Korrektheit" ist nie etwas anderes gewesen als eine Kampfzone, meint Matthias Dell. Damit werde verunglimpft, was früher anständig und respektvoll war. Eine @mediasres-Kolumne von 2018.
Und eine Entwicklung, die Platz für Differenzierungen bereithält, wie der langjährige F.A.Z.-Journalist Hendrik Wieduwilt findet. Man dürfe und könne etwa das N-Wort noch immer sagen, und zwar dann, "wenn man sich mit einem Zitat auseinandersetzt", schreibt der Autor und Kommunikationsberater in seinem Blogbeitrag zur Palmer-Debatte. Und selbst dann sei das "Aussprechen des Zitats nicht alternativlos, aber doch irgendwie gerechtfertigt".
In der ganzen Debatte gehe es nicht um Freiheit, sondern Autorität, so Wieduwilt: "Sprache ist Macht und Menschen, die gern ‚N****‘ sagen, verlieren gerade täglich Macht."

"Es kommt auf den Zusammenhang an"

Für den Sprachwissenschaftler Antol Stefanowitsch, der 2018 ein Buch über die Notwendigkeit politisch korrekter Sprache veröffentlicht hat, ist die Frage, wie Medien nun über die Kontroverse um Boris Palmer berichten, auch eine Frage des Mediums. Beispielsweise würden im Radio Betroffene rassistischer Sprache direkt getroffen, wenn diese dort verwendet wird, sagte Stefanowitsch im Deutschlandfunk.
In Fällen wie diesen komme es stark auf den Zusammenhang an, "wer etwas hört und wer es einordnen kann". Wer es genau wissen wolle, könne ja auch im Internet danach suchen.
Nachrichtenmedien hätten auch sonst eine "Filterfunktion", betont der Sprachwissenschaftler: Sie würden entscheiden, was eine Nachricht ist, wer zu Wort kommt und wer in welcher Ausführlichkeit zitiert wird. Die Entscheidung gegen rassistische Sprache sei deshalb nur eine redaktionelle Entscheidung von vielen.
Mit dem Begriff "N-Wort" habe man außerdem die Möglichkeit geschaffen, etwas auszudrücken, ohne es direkt zu sagen, so Stefanowitsch.