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Medienforschung zu Corona
Was wir wissen – und wie wir berichten

Wer weiß wie viel über das Coronavirus, und was macht man mit diesen Informationen? Die Wissenschaftlerin Cornelia Betsch und ihr Team setzen sich aktuell mit Fragen wie diesen auseinander. Ein Ergebnis: Die Nachfrage nach öffentlich-rechtlichen Medien ist gewachsen.

Von Henry Bernhard | 31.03.2020
Cornelia Betsch, Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Erfurt
Cornelia Betsch, Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin an der Universität Erfurt (picture alliance/Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa)
Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Uni Erfurt, hat ihre Mitarbeiter schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. "Zurzeit ist mein Schreibtisch im Wohnzimmer, meine sogenannte ‚Kampfbrücke‘. Ich arbeite online mit meinem Team zusammen. Wir sind rund um die Uhr im Moment vernetzt und versuchen, jede Woche jetzt diese Studie aufzusetzen."
Sie erheben im Wochentakt repräsentative Daten über die aktuelle Kommunikation zur Corona-Krise. "Wir hoffen eben, dass wir aus diesen Daten lernen können, was stärker in die Kommunikation muss, welche besonderen Personengruppen bestimmte Kommunikationsmaßnahmen brauchen oder wie gut sind die Maßnahmen akzeptiert, die ergriffen werden? Weil wir das auch zurückgeben wollen an die Politik."
Verblüffende Erkenntnisse
Denn auch Politiker müssten sich noch in die Rolle der langanhaltenden Krise finden – wie zum Beispiel auch Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, der Cornelia Betsch als Gast in seine Kabinettssitzung geladen hat, um etwas über Wissensdefizite der Bürger zu erfahren: "Wir fahren Bevölkerungsschutz derzeit auf Sicht. Und alles, was an neuen Informationen kommt, wird Tag für Tag präsentiert, damit sich jeder darauf einstellen kann."
Zum Beispiel haben Cornelia Betsch und ihre Mitarbeiter herausgefunden, dass die allgemeinen Kenntnisse über Corona und auch das Verständnis für verschiedene Schutzmaßnahmen wachsen, dass aber über eine Immunität nach überstandener Infektion nur sehr wenig Wissen besteht. Verblüffend war für sie, dass die meisten Bürger zwar wissen, dass sich wohl die meisten mit Corona infizieren werden, die persönliche Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung aber sieht nur einer von drei Befragten. "Das steigt zwar über die Zeit, aber besonders ältere Leute unterschätzen hier ihr Risiko der Erkrankung. Was natürlich besonders schwerwiegend sein kann, denn die erkranken in der Regel auch schwerer."
Berechtigte Dauerberichterstattung
Kritische Distanz gehört zu den wichtigsten Tugenden im Journalismus. Doch in der Corona-Krise versammeln sich viele Medien hinter den Appellen von Politikern und beteiligen sich an Aufrufen. In diesem konkreten Fall halte er das für angemessen, sagte der Medienethiker Christian Schicha im Dlf.
Steigende Nachfrage nach Öffentlich-Rechtlichen
Ebenso verblüffend: Frauen und Menschen mit geringerer Schulbildung sind eher bereit, sich zu schützen, als Männer und besser Gebildete. Eindeutig ist für die Forscher, welche Medien die Bürger nutzen und welchen sie vertrauen: "Insgesamt steigt die Nachfrage nach öffentlich-rechtlichen Medien. Die werden am häufigsten aufgesucht, und denen wird auch am meisten vertraut. Also, die Leute gehen auch auf Webseiten der Gesundheitsbehörden, aber die öffentlich-rechtlichen Medien haben hier eine enorm wichtige Rolle."
Wie zum Beispiel der tägliche Podcast des Norddeutschen Rundfunks mit dem Virologen Christian Drosten: "Und alles diese Dinge sind ja auch Verhaltensweisen, die eingeübt werden müssen. Und es bringt nichts, zu sagen: Ab heute muss alles komplett anders aussehen! Das ist ja gar nicht zu machen. Und jeder denkt dann, er macht was falsch. Und in dieser Wahrnehmung – ich mache alles falsch – kommt dann wirklich Angst auf."
Nach den öffentlich-rechtlichen Medien folgen in der Nutzungshäufigkeit Webseiten der Gesundheitsbehörden, und dann mit einigem Abstand Zeitungen und private Fernseh- und Radiosender. Am wenigsten vertrauen die Befragten auf soziale Netzwerke und Online-News-Seiten.
Defizite sieht Cornelia Betsch vor allem im konkreten, anwendbaren Wissen: "Was heißt das für Kinder, deren Mutter in München und deren geschiedener Vater in Hamburg sitzt, zum Beispiel? Wie kommen die hin und her? Dürfen die das noch? Oder Paare, die an unterschiedlichen Orten leben. Oder dürfen meine Kinder noch ihre Freunde sehen oder nur noch ein oder keinen mehr? Also alle solche Dinge, die werden erst mal in ganz Deutschland unterschiedlich gehandhabt, das macht die Leute unsicher. Und manchmal gibt es dazu auch gar keine Informationen. Und da würde ich mir wünschen, dass es jemanden gibt, der die Maßnahmen stärker runterbricht. Und das wäre ein Teilwunsch mit an die Medien, aber natürlich schon auch an die offiziellen Stellen."
Bitte keine Appelle!
In den Medien scheint es momentan nur ein Thema zu geben: Die Corona-Krise. Diese Fokussierung ist verständlich. Doch einige Journalistinnen und Journalisten lassen in diesen Zeiten jede kritische Distanz vermissen, meint der Medienjournalist Christoph Sterz.
Angst einflößen? Kritik an bewährten Mechanismen
Mit Sorge sieht Betsch, wie manche Medien zwar solide berichten, aber dennoch mit angsteinflößenden Überschriften Kunden fangen wollen. "Sehr effektheischend und so weiter. Und das sind natürlich die Mechanismen, wie die Medien sonst auch immer funktionieren. Aber man muss jetzt, glaube ich, sehr aufpassen, welche Geschichten man sucht und wie man den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der einer großen Zerreißprobe ausgesetzt sein wird, wie man da jetzt was Gutes tut, ohne die richtige Berichterstattung zu vernachlässigen."
Von Samstag bis Montag erarbeiten sie den Fragebogen, Dienstag/ Mittwoch werden die Daten erhoben, Donnerstag werden sie ausgewertet und interpretiert. In der Nacht zu Freitag werden die Ergebnisse nochmals von externen Gutachtern überprüft, Freitagmittag gehen die Ergebnisse an die Presse. "Und dann geht es von vorne los."