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Medienkolumne
Nicht aufwecken, es ist die Realität

Vom Winde verweht in Pyeongchang und von windigen Reportern. Jürgen Roth nimmt den medialen Zirkus rund um die Olympischen Winterspiele 2018 auseinander.

Von Jürgen Roth | 25.02.2018
    Ein Helfer auf Ski wird auf der Abfahrtstrecke von einer aufgewirbelten Schneewolke umweht.
    Steife Brise im Alpin-Zentrum in Pyeongchang (Michael Probst/AP/dpa)
    Wilde Windchen wehten wüst, bänglich bibberten Biathleten – und die deutsche Damenstaffel demontierte sich auf eine Weise, die uns Zuschauer erschaudern ließ. Zwar hatte der begnadet unfähige, brotige Haspelkönig Peter Großmann am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin gemutmaßt: "Im Biathlon könnte es bei den Frauen schnackeln."
    Allein, ein paar Stunden später mußte der ZDF-Crack Herbert Fritzenwenger registrieren: "Es ist etwas mehr Bewegung in der Luft." Und so nahm die Geschichte ihren antikisch tragischen Lauf, und alsbald seufzte Fritzenwenger in einer Mischung aus Mimesis und Mitleid: "Da können die nichts dafür, wenn die stehend verblasen werden."
    Laura Dahlmeier bei ihrem vierten Biathlon-Rennen in Pyeongchang.
    Laura Dahlmeier bei ihrem vierten Biathlon-Rennen in Pyeongchang. (dpa / Michael Kappeler)
    Allzulang wollte die Natur nicht mitspielen bei diesen wahrlich windigen Winterspielen, obwohl man ihr zuvor die Instrumente gezeigt und für die alpinen Skipisten sechzigtausend, teilweise bis zu fünfhundert Jahre alte Bäume niedergestreckt hatte.
    Dem ehrenwerten, gänzlich aus der Zeit der allseitigen Marktschreierei gefallenen Biathleten Arnd Peiffer waren das einige gepfefferte Anmerkungen zur Heuchelei in Sachen Nachhaltigkeit wert, aber ein ZDF-Reporter befand zur Langlaufanlage: "Das alles paßt sich ganz gut an an die Natur." Na dann. Und in fünfhundert Jahren, wenn sich die Menschheit vom Acker gemacht haben wird, sind die dämlichen Holzkrüppel ja wieder nachgewachsen.
    Knirsch. Knack. Autsch!
    Ganz gut fanden wir Norbert Galeske vom ZDF. Galeske? Ach was, womöglich der Beste. "Das ist zum Schlitten-in-die-Ecke-Werfen", urteilte der brillante Schnellredner beim Frauenrodeln. Seherische Kräfte bewies er während der Eishockeypartie zwischen Schweden und Deutschland: "Jetzt wird man den Schweden erst mal ein oder zwei Zähne gezogen haben."
    Knirsch. Knack. Autsch! Und im Finale heute morgen – es war ein Spiel voller gegenseitigem Respekt, das demonstrierte, was Sport zu sein vermag – schlug er einen beinahe andächtigen Ton an.
    "Was für ein Müll!!!"
    Lachen wie einst bei den exquisiten Boxreportagen von Werner Schneyder mußten wir, als Tom "Scheibenglück" Scheunemann (ARD) gegen Ende des herrlichen Geknüppels contra Kanada all jene Kommentatoren in den Boden rammte, die das olympische Eishockeyturnier als Farce bezeichnet hatten.
    "Was für ein Blödsinn wurde da geschwätzt! Was für ein Müll", brüllte er, vorbildlich alle glitschigen Usancen des Sportjournalismus zum Teufel jagend. Und einmal in Fahrt, gelangen ihm Formulierungen, die fast des Jarhundertkabarettisten Heino Jaeger würdig waren: "Und wenn das ein Traum ist, dann bitte nicht aufwecken! Das ist Realität!!!"

    Die deutsche Eishockey-Mannschaft bei Olympia in Pyeongchang.
    Die deutsche Eishockey-Mannschaft bei Olympia in Pyeongchang. (imago sportfotodienst)
    Oder: "Diese Mannschaft kann man sich echt übers Bett nageln! Unglaublich, welche Bilder da hängenbleiben!" Beziehungsweise: "Abrißstimmung in jeder Kneipe in Deutschland!" Krach. Schepper. Rumms!
    Abreißen und einstampfen möge man hingegen den selbsternannten Heimatsender der Olympischen Spiele, Eurosport, sofern er weiterhin einen so rammdösigen Röhrrhetor wie den ehemaligen Eishockeytorwart Patrick Ehelechner engagiert, der laut unserer Gewährszeitung im Match gegen die humorlosen Schweden nacheinander "Jaaaaaaaaaaaaaaa!", "Ist das ein Gott!", "Wie geil!" und "Wir sind die Geilsten!" keifte, um anschließend "eine halbe Minute lang einen ‚Deutschland’-Gesang" anzustimmen.
    Realer Dauertraum
    Praktisch läßlich erschien uns da, daß unsere eifrigen Öffentlich-Rechtlichen die Medaillenaushändigungs- und Maskottchenüberreichungszeremonien mit sogenannter deutscher Beteiligung maßstabsetzend pathetisierend durchschnittlich achtundzwanzig Mal wiederholten – bis wir endlich vor dem Fernseher auf die Knie fielen.
    Doch, doch, das war er, der reale Dauertraum der vergangenen zwei Wochen. Und falls der Planet dann noch stehen sollte, wird der salbungsvolle Quackler Gerhard Delling recht behalten: "In vier Jahren spätestens schauen wir dann ja wieder auf Olympia."
    Einstweilen indes, mit dem Nordischen Kombinierer Eric Frenzel aufzuatmen, "sind alle Segel gestrichen", und die wilden Windchen sind verstrichen. Ruhig ist’s, schön ruhig. Bitte nicht aufwecken aus dieser Realität.