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Mediennutzung bei Jugendlichen
Süchtig nach dem Smartphone

WhatsApp, Youtube, Instagram: Das Smartphone bestimmt das Leben vieler Kinder und Jugendlicher. Fast 100 Prozent der befragten Jugendlichen haben laut einer neuen Studie ein Smartphone, fast 90 Prozent uneingeschränkten WLAN-Zugang zuhause. Für Schulen sind die digitalen Medien Fluch und Segen zugleich.

Von Anke Petermann | 25.11.2016
    Eine Frau macht einen Selfie.
    Viele Jugendliche lassen sich von sozialen Medien ablenken. (imago/Westend61)
    96 Prozent der befragten Jugendlichen haben ein Smartphone und fast 90 Prozent uneingeschränkten W-Lan-Zugang zuhause. "Always on" – ständig im Netz sind 11-17-Jährige laut der neuen Mainzer Studie. Pia, Zwölftklässlerin an der Integrierten Gesamtschule Ingelheim, lässt sich davon nicht stressen.
    "Ich nutze auch selbst digitale Medien wie Whatsapp, Instagram und Youtube, aber ich kann meine Mediennutzung so einschränken, wie ich es möchte."
    Pia schließt ihr Smartphone beim Sport in den Spind, entscheidet ganz bewusst, auch mal ohne rauszugehen. Wer autonom mit digitalen Medien umgeht, profitiert davon, sagt Leonard Reinecke, Juniorprofessor für Online-Kommunikation an der Uni Mainz. Wer das nicht schafft, lässt sich stressen, beobachtet Reinecke – auch wenn die Smartphone-Nutzung strikt unterbunden werde.
    "Ich denke, das hat Vor- und Nachteile. Ich denke, dass Jugendliche, denen man die Möglichkeit nimmt, ihr Smartphone zu checken, abgelenkt sind, weil sie was Wichtiges verpassen - online. Das kann natürlich auch als Stressor wahrgenommen werden. Aber das Kreuzfeuer von Nachrichten im Unterricht ist sicher ein Faktor, der dem Lernen eher abträglich als zuträglich ist."
    Aber nachbereiten lässt sich Unterricht in den sozialen Netzwerken schon, findet Pia:
    "Also ich nutze das auch zum Lernen. Über WhatsApp frage ich Freunde, wie das dann war. Oder in Youtube gibt’s dann auch sehr informative Videos darüber, die vermitteln das manchmal noch ein Ticken besser, als mancher Lehrer."
    Hohes Suchtpotenzial
    Mehr als zwei Prozent der Jugendlichen nutzen Soziale Netzwerke und Computerspiele suchtartig-exzessiv, nämlich rund sieben Stunden täglich, haben die Mainzer Forscher herausgefunden. 15 Prozent gelten als gefährdet. Sie vernachlässigen Hobbys, Freunde und Hausaufgaben, sagt Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Schlechte Schulleistungen seien die Folge.
    "Viele schaffen dann auch die Abschlüsse nicht, wiederholen ein Schuljahr. Das ist auch ein schlechtes Vorhersage-Merkmal für die anschließende berufliche Ausbildung oder ein Studium."
    Schulen könnten mit verschiedenen Konzepten gegensteuern, so Professor Beutel. Nämlich, "dass Schüler qualifiziert werden, andere Schüler zu beraten. Das wäre das 'Peer-to-peer-Konzept'. Es gibt Konzepte, dass das die Lehrer tun. Die müssen sich natürlich auch mit den aktuellsten Online-Anwendungen auskennen. Das ist ein erheblicher Fort- oder Weiterbildungsaufwand. Aber auf jeden Fall spielt die Schule dabei eine Rolle."
    Schüler helfen Schülern
    Maximilian ist als fortgebildeter "Medienscout" selbst einer dieser Schüler, die in ein Konzept zur Aufklärung Gleichaltriger auch über Online-Datenschutz und Lernpotentiale eingebunden sind. Suchtgefahren sieht der 15-Jährige für sich selbst nicht.
    "Ich jetzt eher weniger, meine Mutter da schon mehr, weil ich halt auch relativ viel am PC sitze. Nur, das hat dann auch mit so Sachen zu tun: Ich informiere mich über Computerteile, lese da Artikel drin, und das ist halt aktueller, als wenn man auf eine Zeitung wartet."
    Dass sich die Schule digitalisiert, finden Pia und Maximilian gut - es mache Spaß, zu erfahren, wie man sich digital weiterbringen kann.
    "Teilweise gibt es auf den I-Pads, die wir hier auf der Schule haben, Lern-Apps, mit denen man wirklich gut lernen kann, oder Schnittprogramme, um Videos zu schneiden."
    "Ja, man muss halt nicht alles per Hand schreiben, beispielsweise, oder man kann sich einen Graph auch viel genauer anzeigen lassen, als wenn man den mit der Hand zeichnet."
    Schüler besser auf das Berufsleben vorbereiten
    Dass Anwendungen wie Excel und Powerpoint bislang nur in Informatikkursen vermittelt werden, ist den beiden zu wenig. Auch eine Homepage muss man zu Beginn des Studiums oder des Arbeitslebens programmieren können, meint der 15-jährige Viktor. Mit dem sogenannten "Medienkompass", so Lena Weitz, Mathelehrerin und Medienexpertin an der IGS Ingelheim, beschreibe Rheinland-Pfalz jetzt erstmals die Kompetenzen, "über die Schüler am Ende der 10. Jahrgangsstufe verfügen sollen, und versucht, das Ganze auch so ein bisschen auf alle Fächer und Jahrgangsstufen aufzuteilen.
    Tolle Ideen, findet eine Mitarbeiterin*, die mit Weitz in der sogenannten Medien-Kompetenzgruppe der Schule zusammenarbeitet. Aber:
    "Das wird nicht umsetzbar sein, wenn wir hier nicht die technische Ausstattung haben und jemanden, der sich darum kümmert, dass das tagtäglich funktioniert."
    Ob Lehrer oder Techniker – eine digitalisierte Schule komme ohne IT-Beauftragten nicht aus, glaubt die Mitarbeiterin. Und der sei leider nicht in Sicht.
    * Der Name der Zitatgeberin ist der Redaktion bekannt. Er wurde auf ihren Wunsch anonymisiert.