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Medienprojekt in den USA
Eine Art Bürgerjournalismus

Trump, CNN, Fox News: Geht es um Medien in den USA, richtet sich der Blick meist Richtung Washington. Doch das Beispiel von Germantown, einem Stadtteil von Philadelphia, zeigt, wie das Thema Menschen im ganzen Land bewegt - und aktiv werden lässt.

Von Klaus Martin Höfer | 15.11.2018
    Ein Straßenpanorama von Germantown.
    Germantown ist ein Stadtteil von Philadelphia. (Klaus Martin Höfer für Deutschlandfunk)
    Mülltonnen am Rande eines Supermarktparkplatzes, ein Hotdog-Stand, an dem sich Polizisten gerade einen Imbiss holen. Ein Betrunkener torkelt in abgerissener Kleidung vorbei. Auf der anderen Straßenseite hat ein Sprayer an eine Wand gesprüht: "Who stops the killing? – Wer stoppt das Töten?" Dort hat es vor Monaten eine tödliche Schießerei gegeben, worüber prominent in den Medien berichtet wurde, auch überregional. Maleka Fruean wohnt seit elf Jahren in Germantown, und ärgert sich darüber, dass aus ihrer Stadt immer mehr negative Nachrichten verbreitet werden.

    "Wenn über Germantown berichtet wird, dann wegen der Probleme. Meistens geht es um Waffen. Es gibt einige Straßenzüge, dort gibt es eine mit einer Menge Waffengewalt. Sie ist da, man kann es nicht leugnen, es ist mit Sicherheit eines der Probleme in unserem Stadtteil. Daneben gibt es aber so viele Menschen, die in unterschiedlichen Organisationen oder auch einzeln aktiv sind, die diese Gegend in vielen Bereichen lebhaft und attraktiv machen."
    Frust über Medien
    Nicht nur die 41-jährige Maleka Fruean, Mutter von drei Kindern, ist die negative Berichterstattung über ihren Stadtteil leid. Ähnlich ergehe es auch vielen anderen Einwohnern von Germantown, sagt Andrea Wenzel. Zusammen mit drei weiteren Kommunikationswissenschaftlern hatte die Professorin zu Gesprächsrunden eingeladen, wollte wissen, wie die Bewohner die Arbeit von Journalisten beurteilen, die über Germantown berichten.
    "Da gibt es viel Frust über die örtlichen Medien, über die mit Medien allgemein. Frust darüber, dass Reporter nur vor Ort sind, wenn sie über Verbrechen berichten, über Negatives. Ein anderer Vorwurf ist der, dass die Berichterstattung keine historischen Zusammenhänge aufzeigt, über die Geschichte des Rassismus, über die Machtstrukturen in dieser Gesellschaft. Es gab also ein Bedürfnis nach einer anderen Art, die Dinge zu erzählen, nach anderen Nachrichten."
    Es geht aber nicht nur darum, wie Medien über das mehrheitlich von Afro-Amerikanern bewohnte Germantown berichten, sondern auch um Informationen und Berichterstattung für die Bewohner selbst. Um zu erfahren, welche Themen den Bewohnern wichtig sind, haben sich Andrea Wenzel, ihre Studenten und einige Anwohner auf den örtlichen Flohmarkt gestellt. "Wir hatten ein Schild, lassen Sie mich das herausholen, ein Schild mit der Aufschrift: 'Welchen Fragen zu Germantown sollte ein Reporter nachgehen?'"
    Kommunikationswissenschaftlerin Andrea Wenzel mit einem Schild, das fragt: "Welchen Fragen zu Germantown sollte ein Reporter nachgehen?"
    Kommunikationswissenschaftlerin Andrea Wenzel fragt: "Welchen Fragen zu Germantown sollte ein Reporter nachgehen?" (Klaus Martin Höfer für Deutschlandfunk)
    Die Lösung: Aktivisten machen Journalismus
    Viele Fragen wurden dann tatsächlich thematisiert, zum Beispiel: Wie können wir die Ladenbesitzer dazu bewegen, den Bereich vor ihren Geschäften sauber zu halten? Was passiert mit dem alten Rathaus und mit anderen, leerstehenden Gebäuden? Wann kommen bessere Supermärkte nach Germantown? Fragen, um die sich Lokalreporter kümmern würden, wenn es denn eine Zeitung gäbe - doch die beiden Lokalblätter haben vor einiger Zeit dichtgemacht. Die Journalistin Maleka Fruean will diese Lücke mit einem neuen journalistischen Angebot füllen.
    "Wir wollen, dass wahrheitsgemäß und über Probleme berichtet wird, und wir wollen von möglichen Lösungen erfahren. Das bedeutet nicht, dass damit die Probleme verschwinden, aber es wäre ein erster Schritt. Es ist ein eher ganzheitlicher Ansatz. Wir müssen den Journalismus nehmen und ihn den Menschen zurückgeben, über die berichtet wird, damit sie ihre eigenen Geschichten erzählen und selbst entscheiden, über was berichtet wird."
    Eine Art Bürgerjournalismus, bei dem der Berichterstatter gleichzeitig auch ein "community organizer" ist. Also jemand, der nicht nur Chronist ist, sondern in die Belange des Stadtteils involviert ist und um konkrete Problemlösungen bemüht ist. Das soll jetzt erst einmal im Internet umgesetzt werden, mit dem "Germantown Info Hub", einem Webauftritt, in dem Bewohner portraitiert und in dem Ansprechpartner vorgestellt werden, die bei Problemen und Fragen helfen.
    Doch eine Zeitung können sie so nicht ersetzen
    Clarice Thomas, die als Jugendliche in Germantown gelebt hat und vor 14 Jahren wieder zurückkam: "Dort können sich auch Menschen über Germantown informieren, die von außerhalb kommen - Reporter zum Beispiel."
    Dass der "Germantown Info-Hub" eine Zeitung nicht ersetzen kann, ist aber auch klar. Maleka Fruean: "Es gibt noch viele Menschen in Germantown, ältere und auch jüngere, die nicht bei Twitter sind und die sozialen Medien verfolgen. Es gibt ältere, die das machen, aber auch die, die das nicht tun. Die wollen etwas Gedrucktes, dass sie sich im Laden an der Ecke holen und lesen, während sie dort einkaufen. Wir brauchen das. Wir brauchen aber auch den direkten Kontakt von Mensch zu Mensch, bei den Veranstaltungen im Park. Wir brauchen soziale Medien. Wir brauchen das alles."