Freitag, 19. April 2024

Archiv


Medienrechtler: Anruf dürfte veröffentlicht werden

Die "Bild"-Zeitung könnte die Mailboxnachricht von Christian Wulff ohne dessen Zustimmung veröffentlichen, sagt der Berliner Medienanwalt Butz Peters. Der Straftatbestand des § 201, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, sei nicht erfüllt. Er geht davon aus, dass der Text demnächst anderswo im Internet zu lesen sei.

Butz Peters im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.01.2012
    Tobias Armbrüster: Der Bundespräsident hat sich möglicherweise bei seinem Fernsehinterview am Mittwoch in einen weiteren Widerspruch verwickelt. Die BW Bank hat heute Morgen der Darstellung von Bundespräsident Christian Wulff hinsichtlich des Zustandekommens einer Kreditvereinbarung zur Finanzierung seines Privathauses teilweise widersprochen.
    Und ein weiteres wichtiges Detail beschäftigt uns in diesen Tagen in der Causa Wulff: Was genau war Mitte Dezember zu hören auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann? Diese Frage steht zurzeit im Mittelpunkt der Diskussion um Christian Wulff. Kolportiert wird, dass Wulff mit sehr lauter Stimme dem "Bild"-Chefredakteur gedroht haben soll, und er soll so versucht haben, einen Bericht über seinen umstrittenen Privatkredit zu verhindern. Aber wir wissen es nicht genau, denn die "Bild"-Zeitung hat nach einem Briefwechsel gestern mit Christian Wulff entschieden, die Nachricht des Bundespräsidenten auf der Mailbox wird nicht veröffentlicht. Entschieden wurde das, nachdem "Bild" bei Wulff nachgefragt hatte und nachdem der dann gesagt hatte, nein, ich stimme der Veröffentlichung nicht zu. – Am Telefon ist jetzt der Berliner Medienrechtler Butz Peters. Er hat sich in vielen Gerichtsverfahren mit der "Bild"-Zeitung beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Peters.

    Butz Peters: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Peters, musste die "Bild"-Zeitung gestern bei Wulff um Erlaubnis nachfragen?

    Peters: Das lässt sich juristisch ad hoc gar nicht so abschließend beantworten, denn einen derartigen Fall, Mailboxanruf mit wohl unfreundlichen Worten auf dem Anrufbeantworter des Chefredakteurs der "Bild"-Zeitung", dies hat es noch nicht gegeben. Aber schauen wir uns an: Das Strafgesetzbuch hat die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes als Straftatbestand. Da geht es darum, dass heimlich nicht mitgeschnitten werden darf, wenn telefoniert wird, und eine solche Aufnahme auch nicht gebraucht werden darf. Und danach wird bestraft, wer unbefugt das nicht öffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Da sind die Juristen – wie gesagt, es gibt keine höchstrichterliche Rechtsprechung – ganz überwiegend der Auffassung, dass wenn man auf eine Mailbox spricht, man weiß, es kann später verwendet werden, benutzt werden, dass dieser Straftatbestand dann nicht erfüllt wird.
    Die zweite Variante ist: ebenfalls wird bestraft, wer eine so hergestellte Aufnahme gebraucht, oder einem Dritten zugänglich macht. "So hergestellt" heißt, man muss sie heimlich aufgenommen haben; das ist nach dem eben gesagten nicht der Fall.
    Zudem gibt es noch eine Regelung, danach ist die Tat nicht strafbar, nämlich nicht rechtswidrig, wenn die öffentliche Mitteilung zur Wahrnehmung überwiegender öffentlicher Interessen gemacht wird. – Also ich will hier keine Kaffeesatzleserei betreiben, wie eines Tages ein Richter diesen Fall entscheiden wird. Das kann ja über verschiedene Instanzen bis hoch zum Bundesverfassungsgericht gehen. Aber es spricht sehr, sehr viel dafür, wenn dieser Mailboxanruf veröffentlicht würde, egal ob im Wortlaut oder auch im Mitschnitt, dass dies nicht den Straftatbestand des § 201, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, erfüllt.

    Armbrüster: Das heißt, wenn wir das mal kurz in einen Satz zusammenfassen: Die "Bild"-Zeitung könnte, ohne sich größere Sorgen zu machen, diese Nachricht auch ohne das Okay von Christian Wulff öffentlich machen?

    Peters: Ja, sie könnte. Sie müssen allerdings berücksichtigen, dass bei Journalisten ja nicht nur der Gesetzestext als solcher oder gesetzliche Regelungen als solche gelten, sondern es daneben auch noch eine, man spricht auch von Medienethik, dass es dieses gibt. Also Journalisten lassen sich auch von anderen Grundsätzen leiten. Nicht alles, was rechtlich zulässig ist – dafür steht beispielsweise der Pressekodex des Deutschen Presserates -, darf von Journalisten auch gemacht werden. Es ist ein eigenes Berufsverständnis. Und damit scheint – so stellt sich das jedenfalls dar, wenn man die Berichte und auch das betrachtet, was von "Bild" zu hören ist -, das ein ganz zentraler Punkt jetzt für die "Bild"-Chefredaktion zu sein, also nicht zu sagen, wir machen das, was das Gesetz zulässt, sondern wir denken nach, wir reflektieren nach. Und ich will noch eines sagen: Warten wir doch mal ab, heute im Internetzeitalter, ob nicht alsbald der Text ganz woanders zu lesen ist.

    Armbrüster: Könnte hier bei der "Bild"-Zeitung auch der Gedanke an den Schutz von Informanten eine Rolle spielen, dass man sich nicht so darstellen will als jemand, der so ohne Weiteres vertrauliche Informationen öffentlich preisgibt?

    Peters: Natürlich! Ich kenne die Motive von Herrn Diekmann und seinen Kollegen in der "Bild"-Chefredaktion nicht, aber auch dies könnte eine Rolle spielen. Ich habe auch als Journalist häufig in Redaktionen derartige Überlegungen miterlebt, wenn ein Informant auch mal über die Strenge schlägt in der Formulierung, wie geht man damit um. Das sind sehr intensive Gespräche innerhalb einer Redaktion, und genau das, was Sie eben gesagt haben, kann auch gut eine wichtige Rolle spielen, nämlich dass der Bundespräsident möglicherweise bei dem Telefonat ziemlich aus der Haut gefahren ist, Journalisten bedroht hat, ihnen mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht hat für den Fall, dass die Wahrheit berichtet wird - wie gesagt, es könnte so gewesen sein -, und dass man dann sagt, na ja, wenn einer mal richtig schlecht drauf ist, einfach neben sich steht, dann wollen wir dieses so nicht ausschlachten, nicht auswerten, nicht veröffentlichen, wir wollen nicht daran Schuld sein, dass durch eine Veröffentlichung von uns der Bundespräsident möglicherweise in noch größere Schwierigkeiten kommt, als er im Augenblick ist.

    Armbrüster: Sie beschäftigen sich, Herr Peters, seit Jahren als Jurist mit der "Bild"-Zeitung. Sie haben auch mehrere Klienten bei Streitfragen mit "Bild" vor Gericht vertreten. Aus Ihrer Erfahrung und aus Ihren Beobachtungen, ist die Art und Weise, wie die Zeitung jetzt in den vergangenen Tagen und Wochen mit Christian Wulff umgeht, ist das im Rahmen des üblichen bei der Berichterstattung über Prominente und auch über prominente Politiker, oder hat das auch für die "Bild"-Zeitung eine neue Qualität?

    Peters: Sehr fraglos eine neue Qualität, weil wir haben, wenn wir uns die gesamte Geschichte dieser Republik anschauen, noch nie die Situation gehabt, dass Aussage gegen Aussage stand in einem Fall, in dem auf der einen Seite Deutschlands größtes Boulevardblatt stand und auf der anderen Seite der Bundespräsident stand, und es ist eine ganz zentrale Frage, wollte der Bundespräsident, unser Staatsoberhaupt, Berichterstattung, wahre Berichterstattung durch Bedrohung von Journalisten verhindern, oder hat er nur um einen Aufschub um 24 Stunden gebeten, so stellt er das ja dar. Und ich denke, das ist schon eine ganz, ganz wichtige Frage im Hinblick auf das Staatsverständnis des Staatsoberhauptes, und vor diesem Hintergrund ist es, denke ich, nicht verkehrt, dass die "Bild"-Zeitung da auch etwas zurückhaltend im Augenblick ist und nicht sofort draufhaut. Das haben wir auch in der Vergangenheit gesehen. Man hat ja nicht sofort von diesem Telefonat berichtet, sondern erst, als woanders darüber berichtet wurde, egal wie das jetzt dort hingekommen ist. Also es hat eine ganz neue Qualität, es ist eine hoch sensible Angelegenheit, und ich denke, für die vielen, vielen Menschen, die dies alles mit großem Interesse verfolgen, über elf Millionen waren es bei dem Interview des Bundespräsidenten vor zwei Tagen, also für diese ganzen Menschen wäre es sehr wichtig, wenn man wüsste, was dort wirklich besprochen worden ist.

    Armbrüster: Nun heißt es im politischen Betrieb ja immer, den Bundespräsidenten kritisiert man nicht. Jetzt hat Christian Wulff einige heftige Kritik erfahren von vielen Medien, auch vom Deutschlandfunk. Könnte einen so etwas zu der Forderung verleiten, zum Beispiel Sie, wenn Sie sich das angucken, dass vielleicht auch die Journalisten mit dem Amt des Bundespräsidenten und mit dem Bundespräsidenten selbst etwas vorsichtiger umgehen sollten als mit anderen Politikern?

    Peters: Nein. Ich glaube, ein Bundespräsident muss sich wie jeder andere Politiker auch daran messen lassen, ob er die Wahrheit oder nicht die Wahrheit gesagt hat, und wir haben ja auch eine kleine Veränderung, wenn man es jetzt mal sieht, a la longue bei den Bundespräsidenten. Früher haben sie sich zurückgehalten. Im Wesentlichen sind sie ja nach der Verfassung dafür zuständig – ich sage das mal jetzt etwas salopp -, Gesetze zu unterschreiben und Auslandsbesuche zu machen, Staatsgäste zu empfangen und mitunter mal ein mahnendes Wort (das ist dann aber schon bei ihnen freiwillig) zu erheben zur allgemeinen Situation. Wenn Sie zurückdenken: bei Roman Herzog, bei Herrn Rau hat man dieses ja so erlebt. Jetzt haben wir die Situation, dass sich Bundespräsidenten häufiger zu tagesaktuellen Fragen äußern, und da müssen sie natürlich (das der Fall Köhler) auch hinnehmen, dass Journalisten und auch andere Politiker kritisch reagieren. Und dass, was jetzt bei Herrn Wulff der Auslöser der ganzen Diskussion ist, ist ja nicht sein dienstliches Verhalten als solches, sondern es geht um die Frage, wie der Hauskauf finanziert wurde, und Herr Wulff hat ja eingeräumt, dass aufgrund der Berichterstattung ihm nun klar geworden ist, dass er da einen schweren Fehler gemacht hat, sich dafür ja auch bei der Nation entschuldigt hat, diesen Fehler eingeräumt hat. Also ich denke, dass jeder Politiker, auch der Bundespräsident es hinnehmen muss, dass er für sein Verhalten in der Öffentlichkeit kritisiert wird. Diese Kritik hat er auch angenommen. Nur jetzt ist doch der entscheidende Punkt aus meiner Sicht: Hat er denn bei seinem großen reumütigen Antritt, bei seinen Äußerungen die Wahrheit gesagt, oder abermals nicht so ganz die Wahrheit. Und ich denke, da gibt es ein großes Interesse, dass dies aufgeklärt wird. Ich gehe davon aus und ich vermute fast, dass zumindest noch mehr von dem Wortlaut irgendwann demnächst in den Medien auftauchen wird.

    Armbrüster: Der Berliner Medienanwalt Butz Peters war das hier live heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Peters, für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Peters: Gerne, Herr Armbrüster. Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.