Donnerstag, 18. April 2024

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Medienrechtler: Eingriffe in die Intimsphäre sind tabu

Bettina Wulff, die ehemalige First Lady, wehrt sich juristisch gegen die Verbreitung von Gerüchten über ihre Vergangenheit. Ob sie damit Erfolg haben wird, ist ungewiss, meint der Kölner Medienrechtler Rolf Schwartmann. Einen "ideellen Sieg" aber könnte sie erringen.

Rolf Schwartmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 08.09.2012
    Sandra Schulz: Womit hat Bettina Wulff ihr Geld verdient, bevor sie Niedersachsens First Lady wurde als Ehefrau von Christian Wulff? Gerüchte über ihr Vorleben haben die Karriere Wulffs begleitet, Gerüchte über ihre angebliche Arbeit für einen Escort-Service. Gerüchte, wie gesagt - nach unserem journalistischen Verständnis nicht Gegenstand unserer Berichterstattung. Heute Mittag beschäftigen wir uns aber doch mit dem Thema, denn jetzt ist es Bettina Wulff, die Fakten geschaffen hat. Gestern hat sie Klage eingereicht beim Hamburger Landgericht gegen den Fernsehmoderator Günther Jauch und gegen den Google-Konzern. Jauch habe keine Unterlassungserklärung abgegeben, heißt es zur Begründung – es ging da um das Zitieren von Zeitungsartikeln zum Thema –, und mit der Klage gegen Google soll verhindert werden, dass, wenn man den Namen eingibt, automatisch Suchbegriffe wie Rotlichtvergangenheit auftauchen. Wir haben das mal ausprobiert hier in der Redaktion: Wer bei Google Bettina Wulff eingibt, dem macht die Suchmaschine gleich mehrere Recherchevorschläge, die Bettina Wulff an die Ehre gehen. "Bettina Wulff Prostituierte", das ist ein Zitat, das steht an Platz zwei der Vorschläge, und dagegen geht Bettina Wulff jetzt, wie gesagt, juristisch in die Offensive. Wir wollen darüber sprechen mit Professor Rolf Schwartmann. Er ist Leiter und Gründer der Forschungsstelle für Medienrecht an der Fachhochschule Köln und jetzt am Telefon. Guten Tag!

    Rolf Schwartmann: Guten Tag!

    Schulz: Herr Schwartmann, welche Chance hat Bettina Wulff, sich juristisch gegen diese Berichte zu wehren?

    Schwartmann: Na ja, gut, juristisch ist es so, dass es hier um Tatsachenbehauptungen geht, die nach Aussage von Frau Wulff falsch sind. Und wenn das so ist, dann hat sie gute Chancen, sich dagegen zu wehren, denn falsche Tatsachenbehauptungen darf man nicht verbreiten. Wahre allerdings schon, es sei denn, sie greifen in die Intimsphäre ein. Und was wir hier sehen, ist natürlich ein Eingriff in die Intimsphäre, die ist tabu, aber das ist Auslegungsfrage, das muss man sehen.

    Schulz: Da sprechen wir jetzt über die klassische Medienberichterstattung. Bettina Wulff wehrt sich ja auch gegen Google. Wie kommen diese Vorschläge, ich habe es gerade noch mal zitiert, wie kommen die zustande, die Google anbietet? Wieso landet der Vorschlag Prostituierte überhaupt so weit oben?

    Schwartmann: Ja, das ist ein ganz spannender Prozess, den wir hier erleben, den Sie ansprechen: Die generieren sich über Einträge, das ist, wenn man so will, eine ungefilterte Wiedergabe dessen, was Menschen dort in die Suchmaschine eingeben, und die Häufigkeit bestimmt die Trefferquote, und die wiederum, die steht oben in der Liste. Was wir da sehen, ist redaktionell nicht bearbeitet, und vor dem Hintergrund ist es etwas ganz anderes, ob man jetzt eine Redaktion, einen Blogger oder einen Journalisten angeht wegen dieser Äußerungen oder ob man Google angeht, denn Google ist letztlich an dieser Stelle nur eine Plattform, wie ein Schwarzes Brett, an das viele Menschen eine Aussage kleben, ohne dass da in irgendeiner Form einer jetzt erkennbar wäre als der Urheber dieser Aussage. Und das ist ein spannendes Phänomen, wo ich sehr gespannt bin, wie die Rechtsprechung darauf reagiert.

    Schulz: Also kann oder wird sich Google darauf einlassen, solche Vorschläge zu löschen?

    Schwartmann: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass Google das wird. Ob sie es können, das glaube ich schon, nur dieses Löschen würde ja auch ein ganz massiver Eingriff in die Informationsfreiheit bedeuten. Das ist ja eine Form von – wenn man so will – Zensur, wenn Google entweder vorher solche Angaben blockt oder aber sie hinterher rausnimmt. Und am Ende des Tages sind es ja Äußerungen, die in irgendeiner Form auch auf der Straße getroffen werden könnten. Sie haben nur den Unterschied, dass sie sich in der Suchliste von Google an sehr prominenter Stelle manifestieren.

    Schulz: War es denn vor dem Hintergrund klug, dagegen Klage einzureichen?

    Schwartmann: Ja, ab einem gewissen Punkt würde ich das tun. Es ist insofern klug, als die Rechtsprechung nun zu einer Aussage darüber angehalten oder vielleicht sogar gezwungen wird, wenn das zu Ende geht, wie sie das sehen. Wie das juristisch ausgeht, das weiß ich nicht. Wenn die Aussage ist, Google kann und wird das nicht löschen, dann ist das ja auch ein Ergebnis, mit dem wir leben können und müssen, von daher ist es insofern klug, als man Klärung herbeiführen kann.

    Schulz: Halten Sie es denn für möglich, dass ein Gericht Google so ein Verfahren vorgibt?

    Schwartmann: Für möglich halte ich vieles, ich kann mir das persönlich nicht vorstellen, dass das so sein wird, denn es gibt vergleichbare Fälle, in denen Google ja mehr oder weniger als Plattform – etwa die Google-Tochter YouTube - für Videos ja auch in gewisser Weise nur dann verpflichtet ist, zu haften, wenn ein Verstoß festgestellt wird, der runtergenommen werden kann dann hinterher. Und man kann natürlich schon auf die Idee kommen zu sagen: Gut, wenn das hier wirklich rechtswidrig ist, dann müsste Google mehr oder weniger auch hier verpflichtet werden, wie ein normales Presseorgan diese Inhalte ja zu löschen - mit dem Unterschied, dass sie von Google gar nicht eingestellt worden sind. Das müssen wir immer sehen.

    Schulz: Sie haben gerade gesagt, dass es vor dem Hintergrund gut war, dass Bettina Wulff klagt, dass es jetzt rechtlich geklärt wird, aber schadet es ihr nicht noch mehr? Also wir in der Redaktion hätten heute Morgen ja das Thema Bettina Wulff bei Google niemals eingegeben, was jetzt ja wiederum die Treffer auch erhöht hat.

    Schwartmann: Ja, das ist eine Frage, die kann ich persönlich sehr schwer beantworten. Ich kann mir vorstellen, dass ein Mensch ab einer gewissen Intensität der Berichterstattung – da sind ja wohl aus der niedersächsischen CDU Briefe versandt worden oder aus dem Landtag, irgendwoher –, dann hat das auf einmal einen offiziellen Charakter, und an der Stelle stellt sich natürlich die Frage, möchte ich das auf sich beruhen lassen und die Gerüchteküche einfach so brodeln lassen oder möchte ich an dieser Stelle wirklich Klarheit drüber schaffen, dass das nicht so ist. Und wenn Frau Wulff in der Tat niemals als Prostituierte oder Ähnliches tätig war, dann ist das schon nachvollziehbar, dass sie das auch wirklich geklärt haben möchte. Das ist eine Form von, wenn man so will, Souveränität zu sagen: Also ich möchte mich nun mal einfach gegen dieses ganz massiv in meiner Intimsphäre vorhandene Gerücht wehren.

    Schulz: Aber die Chance, dass das aus dem Internet oder dass auch diese Verbindung aus dem Internet verschwindet, die ist, wenn ich Sie richtig verstehe, die ist eigentlich realistischerweise gleich null.

    Schwartmann: Das stimmt, aber auf der anderen Seite haben Sie dann auch möglicherweise einen ideellen Sieg errungen, wenn es eben einfach heißt, das ist unredlich. Und wir erleben dass ja ganz oft, dass wir uns gegen Vorgänge im Netz, auch wenn sie nicht rechtens sind, nicht wehren können. Und interessant ist auch ein anderer Zusammenhang, der sich jetzt gezeigt hat bei einem Eingriff in die Intimsphäre: Denken Sie an Prinz Harry, da war es so, dass die Fotos in der "Sun"-Printausgabe deswegen veröffentlicht worden sind, weil sie vorher im Internet waren. Also mit anderen Worten, das Internet befruchtet die Printwelt, und man beruft sich darauf, dass man im Internet ein Foto schon gesehen hat, darauf, es abzudrucken, und mit der Argumentation kann man aber jede Gewaltdarstellung im Internet auch auf eine Printseite bringen. Und das ist eine Entwicklung, die für meine Begriffe auch interessant ist, weil die medienethisch enorme Fragen aufwirft.

    Schulz: Werden wir weiter diskutieren, unter anderem hier im Deutschlandfunk. Heute Mittag war das der Kölner Medienrechtler Professor Rolf Schwartmann in den "Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank dafür!

    Schwartmann: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.