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Medienrevolution Wikipedia

Internet.- Warum eigentlich nicht, dachten einige Wikipedianer und beantragten bei der UNESCO, Wikipedia zum Weltkulturerbe zu erklären. Zum Erstaunen der Initiatoren dieses Antrags stieß der freche Vorstoß gar nicht auf Widerstand.

Von Wolfgang Noelke | 18.06.2011
    Dr. Wolfgang Stock, Professor für Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina ist der Wikipedia zwar freundlich gesinnt, beobachtet aber deren Einträge kritisch. Der Antrag der Wikipedia-Betreiber an die UNESCO, Wikipedia möge die Würde des Weltkulturerbes verliehen werden, verschlug ihm zunächst die Sprache:

    "Also im ersten Moment war ich etwas perplex und dachte, das ist aber ein erstaunlicher PR-Gag. Weltkulturerbe habe ich persönlich immer mit dem Kölner Dom oder dem Dresdner Elbtal identifiziert. Und ich habe mich jetzt aber kundig gemacht, natürlich in Wikipedia, dass es auch um das immaterielle Erbe geht, nicht nur um Steine, die zu einem schönen Gebäude zusammengefügt worden sind, sondern um etwas, das immateriell ist, das uns geistig helfen soll. Und da finde ich, ist Wikipedia eine tolle Sache."

    Für Dieter Offenhäußer, Sprecher der deutschen UNESCO Kommission, kam der Antrag nicht ganz so überraschend, denn die Wikipedia, mit Unterstützergruppen in mittlerweile 30 Ländern, habe seiner Meinung nach inzwischen eine Medienrevolution ausgelöst:

    "Ich musste sofort an Gutenberg und die Erfindung des Buchdrucks denken. Ich denke, seither hat es nichts gegeben in der Welt, das soviel getan hat für die Verbreitung von Wissen und von Bildung, wie Wikipedia. Von daher sympathisieren wir sehr mit dem Anliegen Wikipedias, uns in eine Debatte zu verwickeln. Und ich sehe auch zum Beispiel die Möglichkeit, dass Wikipedia im Bereich "Memory of the world" , sprich das Welt- Dokumentenerbe, in dem Archivbestände und Bibliotheken aufgelistet werden, dass da durchaus auch die Möglichkeit, vielleicht auf freier experimenteller Basis besteht, zu einer näheren Kooperation zu kommen."

    Zum Welt-Dokumentenerbe gehören wollen die Wikipedia- Betreiber nicht so gern, lieber zum Welt-Kulturerbe. Dies sei schließlich die Bundesliga, nicht die Kreisklasse hieß es während einer Diskussion in Berlin. Beide Kategorien seien gleichwertig, so Till Kreutzer, Mitglied der deutschen UNESCO-Kommission, der gleichzeitig auf den internationalen Schutz hinwies, den eine Aufnahme ins Welt-Dokumentenerbe gewährleisten würde:

    "Das eine ist halt Zensur, das zweite ist Schutzrechte aller möglichen Sorten, die geltend gemacht werden und das dritte und Wichtigste ist die Finanzierungsproblematik. Sagen wir mal, es wäre wirklich ein Welt-Kulturerbe, normalerweise ist es so, dass der Staat, der etwas als Weltkulturerbe geschützt haben will, auch dafür sorgen muss, dass die Finanzierung den Erhalt sichert, was bei Gegenständen durchaus nachvollziehbar ist, weil, da steht dann halt: Der Kölner Dom steht in Köln, das ist in NRW, damit in Deutschland, also ist Deutschland dafür zuständig, dass der eben erhalten wird. Was das für unmittelbare Auswirkungen auf die Wikipedia hätte, weiß ich nicht. Es ist sicher eine Frage, die sich noch niemand so gestellt hat. Aber ich glaube schon, dass es bei völkerrechtlichen Verträgen dehnbare Verpflichtungen der Weltgemeinschaft geben würde, falls das Problem entstehen würde, dass Spenden einfach dieses Projekt nicht mehr tragen, da in irgendeiner Weise einzuspringen."

    Neben der materiellen Sicherung der Online- Enzyklopädie verspricht sich Pavel Richter, der Geschäftsführer des 1200 Mitglieder starken Unterstützervereins Wikimedia Deutschland, bereits etwas von der Diskussion über eine mögliche Aufnahme der Wikipedia in eine der Welterbe-Kategorien:

    "Ich möchte durchaus diese Kampagne auch dafür nutzen zu thematisieren, dass der Zugang zu freiem Wissen beileibe nicht selbstverständlich ist. Es gibt Feinde des freien Wissens. Es gibt Menschen, die wollen verhindern, dass Menschen sich informieren, Wissen erlangen. Es sind sehr repressive Staaten dabei, es gibt mächtige wirtschaftliche Interessen, die hier dagegen stehen. Also, der für uns so selbstverständliche Zugang zur Wikipedia und damit der Zugang zum freien Wissen ist eben vielerorts und zu vielen Zeiten alles andere als selbstverständlich. Und darüber zu diskutieren, ist der zweite große Aspekt dieser Debatte."

    Diesen Aspekt eines künftig möglichen grenzüberschreitenden Bildungsstandards sieht auch der kritische Wikipedia- Beobachter, der Medienrechtler Prof. Wolfgang Stock:

    "Wir als Deutsche gehen ja immer von unseren Bedürfnissen aus, aber wenn wir jetzt mal aus Deutschland herausgehen, aus unserer privilegierten Situation hier, wo jeder einen Computer nutzt und wir uns mal gedanklich in die Welt nach Südafrika oder nach Südamerika oder nach Asien versetzen und überlegen, was es für einen Menschen, der dort, für einen Schüler, für einen Studenten, der es an einen Internetanschluss geschafft hat, bedeutet, das Wissen der Welt zur Verfügung zu haben, das ist so eine tolle Sache, etwas faszinierendes, so etwas, das auch die sogenannte Entwicklungspolitik in völlig neue Dimensionen schießt, das allein ist schon eine Auszeichnung wert."