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Medikamente für ältere Patienten
Klemmende Verpackungen und unerkannte Nebenwirkungen

Mit zunehmendem Alter steigt auch die Zahl der verschriebenen Medikamente. Die helfen im besten Falle, wenn die Patienten sie überhaupt einnehmen. Aber sie bergen auch Risiken, für die Ärzte sensibilisiert sein sollten - so das Fazit bei einem Symposium "Arzneimittel bei Menschen im Alter" in Berlin.

Von Christina Sartori | 25.02.2020
Ein älterer Mensch mit einem Wasserglas in der Hand und bereit gelegten Tabletten
Bei Senioren steht oft ein ganzes Sammelsurium von Medikamenten auf der täglichen Einnahme-Liste - das überfordert viele Patienten (dpa / picture alliance / Hans Wiedl)
Medikamente können Krankheiten heilen oder hinauszögern und Beschwerden lindern. Wenn man sie einnimmt. Doch oft genug liegen sie in der Nachtischschublade, Tag für Tag, Woche für Woche - und bleiben dort. Und werden nie eingenommen. Christian Albus, Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Uni Klinik Köln, kennt das Phänomen:
"Wir wissen, dass Menschen, die eine chronische Erkrankung haben und deswegen behandelt werden, nur in etwa 50 Prozent die verordnete Medikation so einnehmen."
Schwierigkeiten bei der Tabletten-Einnahme
Wenn Patienten ihre Medikamente nicht einnehmen, dann kann das verschiedene Ursachen haben, erläutert Christian Albus: Oft genug sind es einfach praktische Gründe:
"Weil sie es nicht hinkriegen, Medikamente regelmäßig einzunehmen, weil ihnen die Konzentration fehlt, weil die Merkfähigkeit fehlt, weil ihnen auch die Sinnesorgane fehlen oder nicht mehr ausreichend ausgeprägt sind, das Sehvermögen oder Tastvermögen so eingeschränkt ist, dass Tabletten nicht mehr auseinandergehalten werden können oder die aus den Blistern heraus zu fummeln viel zu anstrengend ist."
Beipackzettel als Angstmacher
So banal es klingt, so schwerwiegend können doch die Folgen sein, wenn eine alleinstehende Patientin mit Bluthochdruck ihre Tabletten nicht nimmt, weil sie sie nicht aus der Verpackung herausbekommt: Dann steigt ihr Risiko für einen Schlaganfall. Genauso kann es ablaufen, wenn Patienten ihre Medikamente nicht nehmen, weil sie sie nicht einnehmen wollen. Christian Albus: "Dann holt er sich das Medikament, dann liest er sich den Beipackzettel durch und denkt um Gottes willen, was ist denn da los?"
Ärzte müssen Sinn des Medikaments erklären
Kommunikation, das Gespräch zwischen Arzt und Patient, spielen daher eine ganz wichtige Rolle, um sicherzustellen, dass Patienten wirklich ihre Medikamente einnehmen.
"Letztlich werden Medikamente genommen, wenn Patienten sich dafür entscheiden. Wenn Kommunikation aber knapp angebunden ist, wenn man nicht die Patientenbedürfnisse oder auch das Patienten-Verständnis der Medikation berücksichtigt, dann steigt die Chance, dass das Medikament nicht genommen wird, weil der zum Beispiel den Sinn nicht versteht."
Medikamentöse Demenz häufig nicht korrekt erkannt
Das ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient ist auch deshalb wichtig, damit Patienten das richtige, für sie passende Medikament bekommen. Das ist heutzutage nicht immer der Fall, sagt Martin Wehling, Professor für klinische Pharmakologie an der Universität Heidelberg. Eine ganze Reihe von Medikamenten beeinträchtigen zum Beispiel die kognitiven Fähigkeiten der Patienten – und führen zu falschen Diagnosen:
"Wir vermuten heute aufgrund von Studiendaten, dass fast ein Drittel der Demenzfälle, die wir typsicherweise diagnostizieren, Arzneimittel-bedingt oder -verschlimmert sind. Das ist ein ganz großer Posten und die große Chance liegt darin, dass das die einzige Demenzform, die sogenannte medikamentöse Demenzform ist, die wieder weggeht. Alzheimer geht ja nicht mehr weg."
Arzneimittellisten helfen, das passende Medikament zu finden
Wenn Nebenwirkungen eines Medikaments nicht als solche erkannt werden, kann es geschehen, dass der Arzt weitere Medikamente verschreibt, um eben diese neuen Beschwerden zu behandeln – obwohl die Lösung wäre: Das erste Medikament durch ein besseres, ohne die unerwünschten Nebenwirkungen zu ersetzen. Keine einfache Sache, bei der Vielzahl von Medikamenten, die es heute gibt und der Vielzahl von Erkrankungen, an denen gerade ältere Patienten manchmal leiden. Doch es gibt gute, erprobte Hilfsmittel für Ärzte:
"Eines der wichtigsten sind sogenannte Listenansätze, Arzneimittellisten und das von uns entwickelte Forta-Prinzip oder die Forta-Liste ist tatsächlich die einzige Arzneimittelliste, die auch positiv sagt, was ein alter Mensch kriegen soll."
Das Besondere der Forta-Liste, die für Ärzte und klinisch tätige Apotheker entwickelt wurde: Sie sagt welche Arzneimittel für bestimmte Krankheiten geeignet sind – und welche nicht. Und sie wurde in Studien erprobt, da zeigte sich: Wenn Ärzte die Forta-Liste zur Hilfe nahmen, zeigte sich für die Patienten schon nach zwei Wochen ein positiver Effekt. Ein Hilfsmittel, das Ärzte unbedingt nutzen sollten.