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Meditative Hip-Hop Poesie

Die junge österreichische Autorin Judith Nika Pfeifer schreibt Lyrik, Prosa und szenische Texte. Außerdem arbeitet sie an Musik- und transmedialen Kunstprojekten in Österreich und im Ausland. Für ihren Lyrikdebütband "nichts ist wichtiger ding kleines du" wurde sie im Oktober 2012 mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis ausgezeichnet.

Von Michaela Schmitz | 03.04.2013
    Das Leben ist ein "Augenblink". Ein Leuchten, ein Pling, im Display eine SMS. Dann wieder das Warten. Immer bereit für die nächste Botschaft, lebt der vernetzte Mensch in der ständigen Hoffnung auf jene kurzen Momente digitaler Erleuchtung. Davor und danach die digitale Unendlichkeit.

    blinkts

    dieses kleine winzig kleine klitze kleine
    das nicht spricht nur mucksen tut
    ganz leise kurz blink blink kurz ganz kürzest
    ist es da und blink blink geklimpert
    schon ist es wieder fort


    Auf der Suche nach den durchlässigen Rändern dieser vernetzten Welt blinken Judith Nika Pfeifers Gedichte ihre Kurznachrichten in die auf Null und Eins gepolte Welt. "mediales" steht daher nicht zufällig am Beginn ihres neuen Lyrikbandes "nichts ist wichtiger ding kleines du". Dem Radio widmet die Autorin den ersten und längsten Verstext. Ihr Retro-Gedicht "funk funk chant chant" ist ein Abgesang auf die analoge Welt. Ein melancholischer Rückblick auf jene damals scheinbar noch heile Sandmännchen-Idylle. Die analoge Welt des Rundfunks, zu einer Zeit als es nur drei Sender gab, gehört für ihre Generation SMS längst zu den Kindheitserinnerungen.

    blaumeer

    so eine kindheit
    sie ist fort und
    man kann sie nicht
    einmal fragen


    Im Überfluss digitaler Kanäle und omnipräsenter Vernetzung aufgewachsen, wünscht sich die Autorin in ihrem zweiten Gedicht nun genau das "radiogegenteil": die Funkstille. Streng nach dem Motto "weniger ist mehr" begibt sich Judith Nika Pfeifer mit ihren Kurz- und Ultrakurzgedichten auf die Suche nach einer neuen meditativen Leere jenseits der Worte. Und entdeckt dabei die flüchtige Schönheit der SMS. Aus einem "Fast nichts" an Worten entstehen hier Gedichte zwischen digitalem Mantra und Kinderreim, philosophischem Aphorismus und mystischer Zauberformel.
    Zwischen den Worten blinkt immer wieder kurz die Erkenntnis auf: Es gibt unendlich viele Dinge zwischen Null und Eins, die wir nicht verstehen. Doch Pfeifer sucht in ihren aphoristischen Texten keinen neuen digitalen Transzendentalismus; und sie liefert schon gar keine fertige Taschenphilosophie im praktischen Handyformat. Ihre spielerisch leichten Gedichte sind eine sinnliche, lebensfrohe, manchmal melancholische, oft humorvolle poetische Spurensuche nach einer eigenen post-digitalen poetischen Identität.

    herzmaschine remix

    was = das
    leben 1 stempel
    vorne 1 stempel
    hinten das universum
    auf ewig so so


    Judith Nika Pfeifer versucht in ihren Gedichten das verborgene poetische und philosophische Potenzial der digitalen Tipp-Sprech-Sprache freizuspielen. Sie nutzt die neue Präsenz des geschriebenen Wortes im LED-Format und gestaltet ihre typografisch und mit Emoticons visualisierten Gedichte wie plakative digitale Grafittis. Ihre im Zwei-Finger-Beat des Tasten-Rhythmus getakteten Texte besitzen Song-Qualität. Mit kleinsten Lautverschiebungen macht sie den Tippfehler zum kreativen Motor ihrer Gedichte. Und durch Soundmalerei und Comicsprachelemente entwirft sie konkrete Poesie als "ohrenschönheit".

    Judith Nika Pfeifer ist mit ihrem ersten Lyrikband "nichts ist wichtiger ding kleines du" eine neue post-digitale poetische Wertschöpfung gelungen. Ihre meditativen Graffitis besitzen Ewigkeitscharakter. Pfeifers wunderbar leichte, heiter-melancholische Hip-Hop-Poesie ist praktische "kunst zum festhalten" und echte Lyrik zum Anfassen.

    Literaturhinweise:
    Judith Nika Pfeifer: nichts ist wichtiger ding kleines du. Gedichte. Mitter verlag, 2012. 120 Seiten; geb.18,70 Euro.