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Medizin
Ärzte verordnen zu häufig Antibiotika

Mediziner schlagen Alarm: Immer mehr Antibiotika verlieren ihre Wirkung. Ein Grund dafür: Patienten und Ärzte greifen zu häufig auf antibiotische Therapien zurück - und zwar auch bei Krankheiten, die mit diesen Medikamenten gar nicht sinnvoll behandelt werden können. Dadurch entwickeln Bakterien Resistenzen, also Unempfindlichkeiten gegen Antibiotika, mit dem Risiko, dass Ärzte bei schwerwiegenden Erkrankungen an Grenzen stoßen.

Von Anke Petermann | 22.01.2015
    Mit Plakaten gegen Massentierhaltung und Tierquälerei demonstrieren Vertreter mehrerer Bürgerinitiativen am Freitag (25.11.2011) in Hannover am niedersächsischen Landwirtschaftsministerium.
    In Deutschland werden zu oft und unnötig Antiobiotika verabreicht. (dpa / picture-alliance / Philipp von Ditfurth)
    45 Tonnen Antibiotika werden jährlich an deutschen Krankenhäusern verordnet, referiert Thomas Schwanz, Mikrobiologe an der Universitätsklinik Mainz. 300 Tonnen Antibiotika pro Jahr verschreiben die niedergelassenen Ärzte. Christian Roth, Hausarzt in Obermoschel bei Bad Kreuznach, gehört nicht zu denen, die bei Erkältung gleich ein Antibiotikum geben wollen.
    "Also ich versuche es schon einzuordnen danach, ob es ein viraler Infekt ist, oder ein bakterieller, und auch nicht jeden bakteriellen Infekt bin ich gewillt, mit Antibiotika zu behandeln, aber die Patienten verlangen es oftmals. Die kommen montags morgens und sagen, 'Donnerstag, fahr ich fort, und bis dahin muss das weg sein', und wenn ich sag', 'das ist wahrscheinlich ein Virus-Infekt', glauben sie's nicht. Also, es gibt auch einen gewissen Druck von Patientenseite aus."
    Dem Roth nicht immer standhält, wie er zugibt.
    Antibiotika werden oft nicht adäquat verwendet
    "Und wenn wir die Möglichkeit haben zu überprüfen, ob eine antibiotische Therapie tatsächlich zu Recht eingesetzt wird, dann sehen wir in Prozentsätzen zu 80 Prozent ein nicht adäquates Verhalten im Einsatz von Antibiotika", konstatiert der Mikrobiologe und Kinderarzt Thomas Schwanz. Wer sich mit Grippe oder einem anderen Infekt zum Arzt schleppt, stellt also am besten gleich klar:
    "Ich möchte nur dann ein Antibiotikum, wenn es sehr wahrscheinlich ist, dass es ein bakterieller Infekt ist, und dann muss es auch ein bakterieller Infekt sein, der zu einer schweren Erkrankung führt. Dann sind Antibiotika sinnvoll, aber sie sind nicht sinnvoll, nur weil ein bakterieller Infekt vorliegt, denn es gibt bakterielle Infektionen, die man auch lokal angehen kann."
    Häufige Antibiotika-Therapien bergen ein Risiko, bekräftigt Jens Kittner, Infektiologe an der Universitätsklinik Mainz:
    "Das Problem ist, wenn viele Antibiotika über längere Zeit eingesetzt werden, dann überleben nur die Bakterien, die von sich aus eine Resistenz haben. Solche Bakterien kommen von Natur aus vor, aber sie haben einen Vorteil und wachsen viel, viel stärker, wenn oft dauernd langfristig Antibiotika eingesetzt werden."
    Vorbelastet, so Kittner, seien oft schwer kranke Patienten, die eine lange Therapie hinter sich hätten.
    "Wenn man einen resistenten Erreger findet, muss man schauen, ob es noch ein Antibiotikum gibt aus einer anderen Klasse, das wirkt und in seltenen Fällen, ist das nicht mehr der Fall. Dann kommt man zu alten Reserve-Antibiotika, die mit einer erhöhten Toxizität, also Giftigkeit und ungewisseren Wirksamkeiten versehen sind. Also, es gibt selten Patienten auf unseren Intensivstationen, die fast ohne jegliche Behandlungsoption sind. Wie gesagt versuchen wir dann, alte Antibiotika wieder einzusetzen, aber nicht immer mit Erfolg."
    Wichtig findet Thomas Schwanz, dass Patienten wissen, mit welchen Antibiotika sie in der Vergangenheit behandelt wurden: "Wünschenswert wäre, wenn jeder Patient die Historie seiner Antibiotika-Therapien parat hätte. Das wäre wirklich hilfreich."
    Massenhafter Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung
    Übrigens: Die rund 350 Tonnen Antibiotika, die insgesamt in Kliniken und von niedergelassenen Ärzten verordnet werden, nehmen sich geradezu bescheiden aus gegen die 800 bis 900 Tonnen, die laut BUND jährlich in der deutschen Intensivtierhaltung verabreicht werden. Eine Gesamtmenge von rund 1500 Tonnen Antibiotika, die 2013 Jahr an Tierärzte abgegeben wurde, nennt gar das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.
    Dass sich resistente Keime von der Pute über Hände, Schneidebretter und Messer weiter ausbreiten, stellt ein Risiko dar, konstatiert der Mainzer Infektiologe Jens Kittner - selbst wenn man das Fleisch gut durchgebraten hat, sodass der Verzehr unproblematisch ist. Erreger, die auf kein Antibiotikum mehr reagieren - eine Herausforderung für Ärzte in der Krankenhaus-Hygiene - und für Verbraucher in der Küche.