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Medizin
Bakterienanalyse zur Früherkennung von Darmkrebs

Bestimmte Bakterienkonstellationen im Darm könnten ein Warnsignal für Darmkrebs sein, so die Annahme einiger Forscher. Am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg will man der Hypothese auf den Grund gehen - und sucht dabei neue Wege der Früherkennung.

Von Sigrun Damas | 17.09.2014
    Die Forscher an den Sequenzierrobotern im Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie, kurz EMBL, in Heidelberg arbeiten Tag und Nacht. Sie analysieren Erbgutschnipsel des fremden Lebens, das in jedem Menschen wohnt: Bakterien-DNA. Millionen verschiedener Bakterien leben vor allem in unserem Darm, erklärt der Bioinformatiker Peer Bork vom EMBL:
    "Wir haben anderthalb Kilo Bakterien in uns. Die bauen Pflanzen ab, die produzieren Vitamine - könnten wir nicht alleine. Und die schützen uns auch vor Krankheiten - tolle Funktionen eigentlich."
    Schutz durch Bakterien
    Wissenschaftler nennen die Bakterienbesiedelung in unserem Darm auch Mikrobiom, und längst sind noch nicht alle dieser mikrobiellen Untermieter enttarnt. Immer deutlicher zeichnet sich aber ab, dass das Mikrobiom ein Spiegel unserer Gesundheit ist. Auch Darmkrebs hinterlässt darin seine Spuren.
    "Im Darm hat man bestimmte Assoziationen festgestellt. Das heißt, wenn man Krebs hat, hat man bestimmte Bakterien mehr, andere weniger - und die, die man mehr hat, die mögen Krebs auslösen."
    Für Aufregung sorgte vor drei Jahren vor allem das Fusobakterium. Zwei Forschergruppen in den USA fanden heraus, dass es sich in auffällig hohen Konzentrationen an Darmtumore angelagert. Vom Bakterium Helicobacter pylori weiß man, dass es Magenkrebs auslöst. Mit dem Fund des Fusobakteriums steht jetzt die Frage im Raum, ob bestimmte Bakterien auch im Darm Krebs verursachen. Der Gastroenterologe und Mikrobiomforscher Stefan Schreiber vom Universitätsklinikum in Kiel schließt das nicht aus:
    "Eine direkte Beziehung ist nicht bewiesen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die Faktoren im Lebsensstil, die Darmkrebs begünstigend sind, sich im Mikrobiom abbilden und dann dort Substanzen entstehen, die unserem Epithel nicht guttut. Und dass daraus dann der Krebs entsteht."
    Ernährung, Rauchen, Medikamente - das alles kann die Mikrobengemeinschaft verändern, meint Stefan Schreiber. Kommt dann noch ein geschwächtes Immunsystem hinzu oder eine erblich bedingte Barrierestörung der Darmschleimhaut, führt das dazu,
    "Dass Bakterien nicht so effektiv draußen gehalten werden, sondern dass es zu einer chronischen Entzündung kommt. Die dann schon die Deckzellen des Darms ärgert und dafür sorgt, dass es dann zu Darmkrebs kommt."
    Krebs und Keime: Wer ist die Henne - wer das Ei? Peer Bork vom EMBL glaubt eher, dass die Krebszellen bestimmte Bakterien wie das Fusobakterium erst anlocken - durch bestimmte Stoffwechselprodukte, die sie ausschütten.
    Beim Gang durch die Forschungsstätten des EMBL erzählt er, dass seine Arbeitsgruppe in Stuhlproben von 200 Menschen außer dem Fusobakterium auch andere Bakterienspezies gefunden hat, die in auffälligen Konzentrationen bei Darmkrebs vorkommen, sowohl im Stuhl als auch am Tumor selber:
    "Fusobakterium ist der Anfang, ist ein großer Teil, macht vielleicht 40 Prozent des Signals aus. Was wir gefunden haben, wenn man einfach nur gesund gegen Krebs nimmt, mit 18 Bakterienspezies kann man eine sehr gute Vorhersage machen, ob jemand Krebs hat oder nicht Krebs hat."
    Alternativen zur Darmspiegelung gesucht
    Bisher ist die sicherste Möglichkeit, Darmkrebs und seine Vorstufen zu erkennen, die Darmspiegelung. Für Menschen, die den invasiven Eingriff scheuen, gibt es Alternativen: Einen chemischen oder einen immunologischen Test, die beide nach verstecktem Blut im Stuhl suchen und für die eine Stuhlprobe genügt. Aber sie haben einen Nachteil: Sie sind ungenau und fehleranfällig. Sie können Krebs übersehen oder auch Fehlalarm auslösen. Deshalb will Peer Bork diese Verfahren in Zukunft mit seiner Mikrobiomanalyse ergänzen:
    "Selbst bei existierenden Tests gibt es große Unsicherheiten. Und wenn man die kombiniert mit den Mikrobiomdaten, kriegt man ein viel besseres Signal. Wir sind besser als Standardtests, die erhältlich sind. Wir übersehen 50 Prozent der Fälle, und wir haben fünf Prozent, wo wir falsch vorhersagen. Aber in Kombination mit dem Test, der existiert, übersehen wir nur noch ein Drittel der Fälle. Es gibt also Steigerungsmöglichkeiten."
    Auch andere Forschergruppen arbeiten daran. Bisher ist der Mikrobiomtest noch nicht zugelassen und derzeit auch noch teuer: 2500 Euro kostet eine Stuhlanalyse bei Peer Bork. Was den Heidelberger Bioinformatiker nicht davon abhält, schon einmal weiter zu denken. Denn er sieht das Mikrobiom als Frühwarnsystem für viele Krankheiten, nicht nur für Krebs.
    "Wir sind sogar noch ambitionierter. Wir wollen Stuhltests machen für alle möglichen Krankheiten. Es gibt ja nicht nur Darmkrebs, es gibt ja auch Diabetes, entzündliche Darmkrankheiten."