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Medizin
Shakespeare in der Psychiatrie

Die Psychiatrie als Ort der Kreativität - im AMEOS-Klinikum Hildesheim spielen die Patienten Shakespeares "Sommernachtstraum". Beim Theaterspielen sollen sie ihre kreative Ader entdecken und neue Fähigkeiten entwickeln. Mit dem Zusatzangebot zur regulären Therapie verfolgen zwei Kulturwissenschaftlerinnen ein ganz bestimmtes Ziel.

Von Alexander Kohlmann | 16.12.2014
    Ein roter Theatervorhang
    Bühne frei: Hildesheimer Klinikum setzt auf Heilung durch Kunst. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Eine Autobahnraststätte im Niemandsland. Das Personal hinterm Tresen ist die Elfen-Schar, Shakespeares Handwerker sind muskulöse Trucker und die Liebespaare sind Gestrandete. Ein Zwischenort, wo wir immer nur kurz verweilen, um dann weiter zu fahren.
    Auch Psychiatrische Kliniken sind Zwischenorte. Und diese Raststätte hier ist eine Kulisse in der Psychiatrie. Die Schauspieler sind Patienten des Klinikums Hildesheim. In diesem Projekt spielen sie gemeinsam mit Künstlern und Theater-Begeisterten aus der Stadt.
    Die Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" ist Teil des Projekts Kulturstation. Das haben die Kulturwissenschaftlerinnen Anna-Lisa Bister und Marie Beisert vor drei Jahren mit der Universität Hildesheim ins Leben gerufen. Ziel sei nicht eine Art Wellness-Bespaßung durch Kunst, erklärt Beisert. Im Gegenteil, es gehen darum, die Hildesheimer Klinik mit ihren Bewohnern als einen Ort der Kreativität zu begreifen.
    "Wir wollten einen Raum schaffen, wo auf die Potenziale geschaut wurde, losgelöst von jeglicher Krankheit, der Mensch mit dem, was er mitbringt, an Kreativität und Ausdruck. Das war der springende Punkt und ist auch der Unterschied zur Kunsttherapie oder Musiktherapie."
    Im Idealfall haben so alle etwas von einem Austausch, betont Beisert: Patienten, Künstler und die Einwohner der Stadt. Inklusion also - im besten Sinne. Neben Theateraufführungen gab es in der Vergangenheit auch Rockkonzerte, Trickfilm-Produktionen und Live-Musik auf den Gängen. Die Klinik könne für Künstler inspirieren, findet Beisert.
    "Zum Beispiel mal einen Künstler in Residence in so eine Klinik zu holen, der hier wirklich lebt und arbeitet, auf dem Grundstück und teilweise auch mit den Patienten arbeitet, oder die Patienten ihn einfach beobachten können oder sich austauschen mit demjenigen."
    Therapeutischer Nutzen
    Der therapeutische Nutzen für die Patienten sei groß, betont Chefarzt Udo Eesmann. Kunst erhöhe die Lebensqualität und verhindere sogenannte Hospitalisierungs-Effekte. Da ist sich Eesmann sicher.
    "Diese Patienten sind häufig oder eben auch durch den langjährigen Aufenthalt bei uns der Gefahr ausgeliefert, zu hospitalisieren. Also die Interessen engen sich ein. Es reduziert sich immer mehr auf Grundbedürfnisse. Und die Kulturstation ist für mich ein ganz wichtiger Faktor, jenseits von Therapie auch Freunde und Interesse an anderen Dingen des Lebens zu wecken und zu fördern."
    Unter den Bewohnern befänden sich auch Menschen mit Störungen der Sexualpreferenz - wie es im Fachjargon heißt. Pädophile zum Beispiel. Diese müssten während der Therapie erkennen, dass sie ihre sexuelle Neigung niemals legal ausleben können. Die Kunst helfe in solchen Fällen, Ersatz-Interessen zu finden. Besonders bemerkenswert findet Eesmann, dass im "Sommernachtstraum" ein Patient mitgespielt habe, der wegen eines Sexualdeliktes nach Hildesheim gekommen ist. Ausgerechnet im "Sommernachtstraum" - Shakespeares düsterster Komödie um sexuelle Verwirrungen und Identitätsverluste.
    Die Krankheitsbilder ihrer Schauspieler kennt die Regisseurin und Theaterpädagogin Johanna Grote nicht - und will sie auch gar nicht wissen. Als Regisseurin interessierten sie die Menschen, betont Grote.
    "Weil die Idee ist zu gucken, was ist überhaupt eine verrückte Weltsicht, wer ist eigentlich verrückt, wo ist es verrückt, hier oder draußen, wer hat jetzt eigentlich recht, was ist Realität, welche Realität haben wir, welche Realität hast Du, hab ich, damit haben wir gespielt."
    Spiel mit Realitäten
    Für dieses Spiel mit den Realitäten sei der "Sommernachtstraum" ideal - wegen seiner schier unendlichen Interpretationsmöglichkeiten. Schauspieler Marcel jedenfalls ist restlos begeistert von seiner Theatererfahrung. Die erlaubte es ihm, auf der Bühne einmal richtig böse zu sein. Marcel spielte die dunkle Seite des Elfen Puck. Eine Figur, die bei Shakespeare gar nicht vorkommt.
    "Das passte auch zu mir. Der ist halt richtig böse, schon von Grund auf. Er hat ordentlich Streiche gespielt - nicht gerade die freundlichsten, aber die waren auch schon richtig fies", sagt der 22-jährige.
    Theater-Spielen will er auch in seinem weiteren Leben. Er befindet sich bereits auf der offenen Station des Klinikums - und wird in absehbarer Zeit entlassen.