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Mediziner wollen Fehlfunktionen der Blutgerinnung besser verstehen

Medizin.- Herzinfarkt, Thrombose, Blutungen während einer OP: Wenn die Blutgerinnung zu stark oder zu schwach ist, kann das gefährliche Folgen haben. Zwar kann die medizinische Forschung aus Erfahrung sagen, bei wem ein potenzielles Risiko für eine Fehlfunktion besteht. Wann genau das System aussetz, lässt sich aber noch nicht präzise bestimmen.

Von Miriam Ruhenstroth | 18.10.2011
    Die Blutgerinnung sorgt dafür, dass Blut in kürzester Zeit zu einer gallertartigen Masse verklumpen kann. Zum Beispiel um eine Wunde zu verschließen. Damit das genau am richtigen Ort und zur richtigen Zeit passiert, arbeitet ein ganzes System aus Enzymen und Botenstoffen zusammen. Eines der wichtigsten Enzyme im Gerinnungssystem ist Thrombin.

    "Thrombin ist das Enzym, das dazu führt, dass das Fibrinogen, das ist der Faserstoff, der im Blut als Vorstufe vorliegt, der dann hinterher das Gerinnsel ausbildet, tatsächlich entstehen kann",
    sagt Bernd Pötzsch, Mediziner und Forscher am Universitätsklinikum Bonn. Er hat zusammen mit Kollegen ein Sensorsystem entwickelt, mit dem man erstmals Thrombin direkt messen kann. Wozu das gut ist?

    "Also, es gibt ja sehr viele verschiedene Erkrankungen, bei denen es zu Gerinnungsstörungen kommen kann, Beispielsweise zur Bildung von Gerinnseln in Gefäßsystemen. Das kennt man vom Schlaganfall oder vom Herzinfarkt, aber eben auch von der venösen Thrombose."

    Diese Fehlfunktionen kann man behandeln, zum Beispiel mit Medikamenten zur Blutverdünnung. Es ist aber schwierig, die Dosis genau so einzustellen, dass die Gefäße nicht verstopfen, der Patient bei einer Verletzung aber auch nicht gleich verblutet. Dazu müsste man messen, wie aktiv die Gerinnung gerade ist. Und genau das war bislang nicht möglich. Denn der wichtigste Marker für die Aktivität des Systems, das Thrombin, lässt sich kaum nachweisen. Es liegt im Blut nur in sehr geringer Konzentration vor und ist schwer vom Vorläufer Prothrombin zu unterscheiden, der aber sehr viel häufiger vorkommt. Bislang hat man sich daher mit einer indirekten Messung beholfen.

    "Was man vorher immer gemacht hat, ist, dass man die Vorstufe von dem Thrombin, das Prothrombin, bestimmt hat. Das sagt uns aber nichts darüber, wie gut das Gerinnungssystem beim Patienten tatsächlich funktioniert. Weil wir quasi die Konzentration eines noch nicht aktivierten Gerinnungsfaktors messen."

    Um Thrombin gezielt aus dem Blut zu fischen, hat der Chemiker Günther Mayer vom LIMES-Institut der Universität Bonn eine art molekulare Angel entwickelt. Als Angelhaken benutzen die Forscher sogenannte Aptamere.

    "Aptamere sind Nukleinsäuren, also das gleiche Material, das wir auch in unserem Erbgut finden. Und was die können ist, die können sich aufgrund ihrer Primärstruktur, also der Nukleotidabfolge, in ganz definierte dreidimensionale Faltungen begeben und aufgrund dessen binden sie an bestimmte Zielstrukturen. In dem Fall eben das Thrombin."

    Die beiden Aptamere, die die Forscher verwenden, sind schon länger bekannt. Um sie für den Test einzusetzen, mussten die Bonner aber einen Trick anwenden:

    "Was wir aber gemacht haben, ist, wir haben die zusammengeknöpft, so dass man ein Aptamer bekommt, das zwei Bindestellen für Thrombin simultan abbilden kann."

    Erst mit dieser Zange konnte man Thrombin auch in geringsten Konzentrationen fangen und so festhalten, dass ein zuverlässiger Nachweis gelingt. Die Idee mit den zwei Bindestellen haben sich die Forscher übrigens von der Jararaca-Lanzenotter abgekuckt. Denn das Gift dieser Schlange enthält ein Eiweiß mit einer Doppelstruktur, das Thrombin sehr effektiv bindet. Und zwar an zwei Stellen.
    "Und das haben wir uns quasi zum Vorbild genommen. Und haben gesagt, okay, wenn das mit einem Protein geht, dann geht das mit einem Aptamer auch. Und es geht auch."

    Der Test ist so vielversprechend, dass er momentan von einer Firma zur Marktreife gebracht wird. In zwei Jahren soll er verfügbar sein. Verwenden werden ihn zunächst vor allem Wissenschaftler, um so erstmals Daten über das aktive Gerinnungssystem zu sammeln. Für die klinische Routine, zum Beispiel als Gerinnungsüberwachung während einer Operation, ist er mit drei Stunden von der Blutentnahme bis zum Messergebnis noch zu langsam. Dafür wollen ihn die Forscher zu einem Online-Messsystem weiter entwickeln.