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Medizinethik
Kleine Geschenke

Sponsoring in Millionenhöhe ist bei Ärztekongressen keine Seltenheit. Auch Patientengruppen oder Journalisten sind Ziele des Pharmamarketings. Doch die Geschenke der Firmen bergen Risiken. Sie können Therapieentscheidungen beeinflussen oder Ergebnisse von Studien verzerren.

Von Martina Keller | 21.09.2014
    Ein Arzt untersucht eine Patientin.
    Eigene Interessen können die uneigennützige Position des Arztes gefährden. (picture alliance / dpa / Jochen Lübke)
    Neuchatel. Ein pharmagesponserter Workshop im Vier-Sterne-Hotel Beaulac am See. Während die Teilnehmer im Restaurant auf Kosten des Sponsors ein leckeres Mittagessen verspeisen, beißt Professor David Klemperer in einen Apfel.
    "Der Apfel gehörte dem Hotel, den hat mir das Hotel freundlicherweise zur Verfügung gestellt, und das Brötchen werde ich mir gleich noch leisten können - ich esse nicht auf Kosten der Pharmaindustrie."
    Nicht nur sein Essen zahlt der Professor selbst, sondern auch die Anreise aus dem knapp 500 Kilometer entfernten Regensburg. Zudem gehen die Übernachtungskosten auf seine Rechnung. Ein Zimmer mit Seeblick, wie es für die anderen Referenten gebucht wurde, kostet im Hotel Beaulac während der Nebensaison 290 Schweizer Franken - ohne Frühstück. Klemperer ist für einen 60-minütigen Vortrag angereist, zu einem Thema, das ihm wichtig ist, Interessenkonflikte in der Medizin. Sponsor Interpharma, der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, bezahlt ihm dafür ein Honorar von umgerechnet 1500 Euro. Doch Klemperer will das Geld nicht für sich.
    "Mir ist dieser Ausflug einen Teil meines Weihnachtsgeldes wert, ich habe auf jegliche Zuwendung verzichtet und spende das Geld der Buko-Pharmakampagne, einer Initiative, die sich auf sehr fundierte Weise mit Vorgehensweisen der pharmazeutischen Industrie in der Dritten Welt, aber auch auf europäischer Ebene befasst."
    Klemperer ist zwar Hochschullehrer, aber er schwimmt nicht im Geld, seine drei Kinder studieren im Ausland. Warum also lässt er seit mehr als 20 Jahren nicht einmal ein Mittagessen von Arzneimittelherstellern bezahlen?
    "Ich würde zwangsläufig dankbar sein müssen, wenn ich das Essen annehmen würde, und ich möchte jegliche Gefühle von Dankbarkeit vermeiden. Ob ich das will oder nicht, wenn ich das Essen annehme, dann bin ich dankbar, das ist ein Gefühl, das ich gar nicht steuern kann, und das möchte ich vermeiden."
    Was Sozialmediziner Klemperer scheut wie Papst Franziskus den Prunk nennt die Wissenschaft einen Interessenkonflikt.
    "Ein Interessenkonflikt ist ein Zustand, eine Situation, in der es einen begründeten Anlass dafür gibt, dass die Neutralität einer Person beeinträchtigt ist, dass sie in ihrer Beurteilung einer Situation, in ihrer Wahrnehmung einer Situation beeinflusst ist und dadurch ein verzerrtes Urteil entwickelt."
    Der amerikanische Politikwissenschaftler Dennis Thompson hatte bereits 1993 ein Konzept von Interessenkonflikten begründet, das heute international verbreitet ist. Entscheidend ist demnach nicht, ob sich eine Beeinflussung im Nachhinein beweisen lässt. Es geht allein um das erhöhte Risiko, dass vorrangige berufliche Interessen hintan gestellt werden, dass zum Beispiel die Sorge um das Patientenwohl hinter finanziellen Erwartungen zurücktritt.
    Klemperer: "Im Medizinbereich gibt es eine Reihe von Situationen, in denen es begründete Zweifel gibt an der Unbefangenheit, und das ist eine Folge von dem, was man als Interessenkonflikt bezeichnet."
    Interessenkonflikte sind nicht gleichzusetzen mit professionellem Fehlverhalten. Wenn etwa ein Klinikleiter Geld annimmt, um dann bewusst die vom Geldgeber gewünschte Entscheidung zu treffen, handelt es sich um Korruption. Interessenkonflikte wirken eher unterschwellig.
    "Wenn jemand mir ein Geschenk macht, habe ich den Drang, das zu erwidern, ich sagte, ich hab den Drang. Das ist ein Gesetz, was weltweit in allen Kulturen bei allen Menschen verankert ist. Wir alle haben den Drang, den Impuls, Wohltaten, die man uns verschafft, zu erwidern. Das ist ein hochfunktionaler Mechanismus, das hält Gesellschaften zusammen, das bringt die Menschen zu Kooperationen, das schafft Vertrauen, das ist wirklich ein sehr schöner Mechanismus – ausgesprochen schön. Er kann aber auch eingesetzt werden als Waffe der Einflussnahme, als Mittel, um uns zu beeinflussen. An der Stelle ist das unschön, und das einzige Mittel, um das zu verhindern ist, ist sich keine Wohltaten zukommen zu lassen, sich nichts schenken zu lassen von denen, die dies als Waffe einsetzen."
    Wohltaten als Waffe
    "Es geht um unsere Köpfe, wir haben Angst bekommen, um das was in unsere Köpfe hereinkommt."
    Thomas Lempert ist Chefarzt der Abteilung Neurologie an der Berliner Schlosspark-Klinik.
    "Es war so ein wachsendes Unbehagen. Man unterhält sich bei den Kongressen mit vielen Kollegen, und immer mehr äußerten: Das kann nicht gut sein, wir haben Schlagseite in Richtung Pharmaindustrie. Man muss sich vorstellen, die großen Kongresse der Fächer, die viel Arzneimittel verschreiben, werden heute überwiegend von der Pharmaindustrie finanziert."
    Und das möchte Lempert ändern. Wie Klemperer engagiert er sich im Fachausschuss für Transparenz und Unabhängigkeit der deutschen Arzneimittelkommission. Die beschloss im Frühjahr strenge neue Regeln, um die Interessenkonflikte ihrer Mitglieder zu mindern. Im Herbst 2012 bereits startete Lempert die Initiative Neurology first.
    "Wir haben vor zwei Jahren einen Appell ins Internet gesetzt und alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Neurologie angeschrieben, das waren damals etwa 7000, und ihnen gesagt, wir wollen in unserer Fachgesellschaft darauf hinwirken, mehr Unabhängigkeit zu erlangen und unabhängig von der Pharmaindustrie unseren gesamten Fortbildungskongress, unseren Jahreskongress organisieren und auch Leitlinien zunehmend unabhängig von der Industrie formulieren."
    440 der heute 7500 Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Neurologie unterschrieben den Aufruf, darunter viele Chefärzte und Oberärzte. Die Initiative meldet erste Erfolge: Im März 2014 organisierten die neurologischen Chefärzte ihr jährliches Arbeitstreffen erstmals ohne Unterstützung der Pharmaindustrie. Zwei Monate später veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie Richtlinien zum Umgang mit Interessenkonflikten. Die Regeln seien ein erster Schritt, aber nicht ausreichend, findet die Initiative. So darf die Pharmaindustrie zum Beispiel weiterhin die Mahlzeiten beim Jahreskongress bezahlen. Führende Köpfe in der Neurologie, aber auch in angrenzenden Fachgebieten, mögen Sponsoring bislang nicht missen - oder halten es einfach für nötig, um etwa die ärztliche Fortbildung zu sichern.
    "Ich glaube, es besteht keine Möglichkeit, Interessenkonflikte zu vermeiden."
    Volker Tronnier ist Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Schleswig Holstein Campus Lübeck.
    "Die Interessenkonflikte müssen offen gelegt sein, es muss transparent sein für alle, aber zum Beispiel ein wissenschaftliches Symposium geht heute nicht ohne die Unterstützung der Industrie, muss man ganz klar sagen, die Kliniken haben das Budget nicht mehr, die Zuweisungen der Universität werden immer geringer, das heißt wenn wir hier eine Fortbildungsveranstaltung, selbst eine kleine machen, wir reden jetzt nicht von deutschen oder internationalen Kongressen, dann braucht man die Unterstützung der Industrie. Aber es muss eine Informationsveranstaltung bleiben und keine Werbeveranstaltung für das Produkt."
    Tronniers Fach, die Neurochirurgie, ist technisch orientiert. Die Ärzte in seiner Klinik verwenden Ultraschallgeräte und Shunt-Systeme, benutzen bei Operationen Mikroskope oder Navigationshilfen und implantieren Schrittmacher gegen Schmerzen oder Bewegungsstörungen. Er habe durchaus finanzielle Bindungen zu Herstellern, sagt Tronnier, halte diese aber lose. Einen Beratervertrag mit einer bestimmten Firma oder gar Aktien besitze er nicht.
    "Generell habe ich die Sorge, das man beeinflusst sein kann, deshalb versuchen wir bei klinischen Indikationen, wo Firmen ein Produkt anbieten, möglichst nicht nur mit einer Firma zu verhandeln, sondern mehrere Firmen im Boot zu haben, um nicht einseitig nur die Produkte dieser einen Firma zu implantieren."
    Viele Mediziner argumentieren wie Tronnier: Wenn man finanzielle Bindungen an mehrere Hersteller habe, mindere das den Interessenkonflikt.
    Thomas Lempert: "Das ist so, als würde ein Richter sagen, es ist ja nicht nur der Beklagte mein Bruder, sondern auch die Klägerin meine Schwester, dadurch wird das nicht neutralisiert, sondern der Konflikt wird nur unübersichtlicher. Alle Hersteller drücken natürlich neue, teure Produkte in den Vordergrund und was auf der Strecke bleibt, sind die offenen Fragen, die alternativen Behandlungsmöglichkeiten, die Frage, wann behandelt man nicht."
    Beraterverträge sind weit verbreitet
    Lempert ruft im Internet eine Leitlinie seiner Fachgesellschaft auf – also eine systematisch entwickelte Entscheidungshilfe für den Umgang mit einer Krankheit.
    "In der Leitlinie geht es darum, wie Patienten mit multipler Sklerose behandelt werden sollen, und die Leitlinie selbst ist sehr gut für mein Dafürhalten, aber, wenn man sich die Autoren anguckt, haben nahezu alle Interessenkonflikte, Beraterverträge mit der Industrie, Honorare von den Herstellern bekommen, so dass man nach außen nicht mit Fug und Recht sagen kann, das ist eine ganz unabhängige Leitlinie."
    Multiple Sklerose, kurz MS, ist ein lukrativer Markt. Über die gesamte Lebenszeit sind Umsätze von einer Million Euro pro Patient für Medikamente durchaus realistisch. Deshalb setzt die Pharmaindustrie auf umfassendes Marketing. Allein die Selbsthilfegruppen sponserten die Hersteller im vergangenen Jahr mit 366.000 Euro. Merck Serono ehrt regelmäßig die MS-Schwestern des Jahres. Erst recht werden die Mediziner umworben. Die vielfältigen Industriekontakte von Autoren der MS-Leitlinie waren im Mai 2014 sogar Thema einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag. Neurologe Lempert sagt zwar nicht, dass seine Kollegen aufgrund ihrer finanziellen Bindungen verzerrt geurteilt hätten, aber er warnt vor dem Risiko der Beeinflussung. Und er vermisst in der MS-Leitlinie Aussagen zu einem wichtigen Punkt.
    "Das ist zum Beispiel auch etwas, das ich mir für die MS-Leitlinie wünsche, dass da explizit drinsteht, wann beende ich eine solche sehr hochpreisige Therapie, die durchaus 20.000 bis 30.000 Euro pro Jahr kosten kann. Wann ist es nicht mehr sinnvoll? Wir wissen, im Verlauf der MS ist es in den ersten Krankheitsjahren tatsächlich sehr sinnvoll die Substanzen einzusetzen, aber im weiteren Verlauf wahrscheinlich nicht mehr."
    Mindestens die Hälfte der deutschen Leitlinienautoren hat nach Schätzungen finanzielle Beziehungen zur Pharmaindustrie, in manchen Fächern dürften es sogar zwei Drittel sein. Eine Ausnahme: die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, die auch konsequent auf Sponsoring verzichtet: Ihre Autoren verfassen Regelwerke häufig ohne Industrieeinfluss.
    Welche Folgen Interessenkonflikte für das Urteil von Medizinern haben können, zeigte 2013 eine Analyse von Wissenschaftlern der deutschen Arzneimittelkommission. Es ging um Empfehlungen zum Medikament Efalizumab gegen Schuppenflechte. Zwei Leitlinien wurden verglichen, eine pharmaunabhängige aus England und eine aus Deutschland, bei der gleich zehn von 15 stimmberechtigten Autoren Interessenkonflikte hatten. Alle diese Wissenschaftler hatten teils umfangreiche finanzielle Verbindungen zu Pharmafirmen - auch zum Hersteller von Efalizumab. Ergebnis: Die deutsche Leitlinie bewertete Efalizumab unter mehreren Aspekten günstiger als die englische. Zum Beispiel schätzte sie die Beweislage als gut ein und empfahl das Mittel bereits für die erste Behandlungsphase. Wer richtig lag, steht mittlerweile fest: Efalizumab wurde 2009 vom Markt genommen. Das Mittel habe nur einen bescheidenen Nutzen, könne aber ernste Nebenwirkungen auslösen, urteilte die Europäische Arzneimittelagentur.
    "Mein Name ist Klaus-Peter Görlitzer, ich bin Journalist und Redakteur der Zeitschrift Bioskop. Bioskop wird herausgegeben vom gleichnamigen Verein Bioskop, das ist ein Verein, der sich um gesundheitspolitische und medizinische Themen kümmert, und wir haben auch im Blick den Medikamentenmarkt und hier ist ein Aspekt, wie das Marketing der Pharmaunternehmen aussieht."
    Zu Besuch bei einer Initiative, die etwas Licht in das Dickicht des Pharma-Sponsorings zu bringen versucht. Seit April 2014 veröffentlicht der pharmaunabhängige Verein Bioskop auf seiner Webseite einen sogenannten Transparenz-Kalender.
    "Da listen wir auf Fortbildungsveranstaltungen für Ärzte, Apotheker und andere Heilberufler, und wir zeigen nicht nur, welche Veranstaltungen es jeden Tag in Deutschland gibt, sondern unser Hauptaugenmerk liegt darauf, wie die Finanzierung dieser Veranstaltungen aussieht, insbesondere welche Beiträge Pharmafirmen leisten, und da haben wir festgestellt, dass sehr viel Geld von Pharmafirmen im Spiel ist, viel mehr Geld als wir uns vorstellen konnten, obwohl wir diesen Bereich schon seit Jahren beobachten."
    Hersteller müssen Unterstützungsleistungen offenlegen
    Ausgangspunkt für den Transparenz-Kalender von Bioskop ist eine Selbstverpflichtung der forschenden Arzneimittelhersteller. Gemäß einem Kodex für medizinische Fachkreise müssen Hersteller seit mehreren Jahren offenlegen, welche Veranstaltungen sie mit welchen Beträgen für welche Gegenleistungen unterstützen.
    "Das Problem ist, als wir recherchiert haben, haben wir festgestellt, es gibt nicht eine Datenbank mit sämtlichen Veranstaltungen, sondern man muss diese Angaben mühsam im Internet recherchieren, indem man auf Websites der verschiedenen Veranstalter von Kongressen und Fortbildungen surft. Praktisch sind wir so vorgegangen, dass wir bestimmte Begriffe in Suchmaschinen eingegeben haben, nämlich zum Beispiel Transparenz-Vorgabe oder FSA Kodex, FSA steht ja für Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie, und wenn man diese Begriffe in gängige Suchmaschinen eingibt, bekommt man auf Klick Übersichten von Veranstaltungen, die von Pharmaunternehmen gesponsert werden."
    Ein Highlight des Transparenzkalenders ist die Rubrik Bestseller 2014.
    "Mit Bestseller haben wir in unserem Bioskop-Kalender die Veranstaltungen gekennzeichnet, die am meisten Sponsorgelder einnehmen von Pharmaunternehmen. Drei Ausrufezeichen stehen für Fortbildungsveranstaltungen, die mit einer Million Euro oder mehr durch Pharmaunternehmen finanziell unterstützt werden, zwei Ausrufezeichen besagen, dass 500.000 Euro oder mehr gezahlt werden, ein Ausrufezeichen bedeuten 100.000 Euro oder mehr."
    "Noch sind diese Hallen leer, im September werden sie sich füllen mit mehr als 7000 Kollegen. Das ganze internationale Kongresszentrum steht dann im Zeichen der Neurowissenschaften..."
    Ein flottes Video lädt für den September nach München, zur Neurowoche 2014. Die kommt bei Bioskop auf drei Ausrufezeichen, aber sie hätte locker vier verdient. Denn die Industrie zahlt für das Forum von Neurologen, Neuropädiatern, Neurochirurgen und Neuroradiologen mehr als zwei Millionen Euro.
    Thomas Lempert: "Ich glaube, dass die Industrie in der Fortbildung überhaupt keine Rolle spielen darf. Ärzte sind ohnehin verpflichtet sich fortzubilden und können das aus der eigenen Tasche bezahlen, und haben dadurch eine wesentlich höhere wissenschaftliche Qualität der Fortbildung, wenn da Firmeninteressen überhaupt keine Rolle spielen. Und es wird so sein, dass die unabhängige Fortbildung erst dann auf die Beine kommt, wenn die gesponserte Fortbildung verschwindet, im Augenblick haben wir den Freibiereffekt, alle gehen dahin, wo einem die Anreise und Unterkunft und alles Mögliche noch bezahlt wird."
    "Wenn man sagt, wir trennen das ganz strikt und arbeiten eigentlich nicht zusammen, dann kappt man jedes kreative Potential, jede Möglichkeit der Zusammenarbeit und verkennt, dass es einen Informationsaustausch geben muss."
    Birgit Fischer ist Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller und damit die oberste Pharmalobbyistin im Land. Eine erstaunliche Karriere für eine ehemalige SPD-Gesundheitsministerin und Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK.
    "Die Industrie ist darauf angewiesen, auch für die Forschung und Entwicklung, Hinweise aus der Versorgung zu bekommen von der Ärzteschaft, und umgekehrt ist der Arzt dringend darauf angewiesen, die Informationen aus der Industrie zu bekommen, welches Wissen rund um das Arzneimittel gibt es denn."
    "Wir brauchen das Firmengeld nicht!"
    Thomas Lempert: "Wir brauchen das Firmengeld nicht, wir brauchen auch das Firmenwissen nicht, es geht um publizierte wissenschaftliche Daten, die können wir viel besser bewerten ohne die Hilfe der Industrie."
    Birgit Fischer: "Man kann nicht automatisch unterstellen, dass die Pharmaindustrie ja nur daran interessiert ist, Geld zu verdienen, die sind auch interessiert an Evidenz, sie sind auch daran interessiert, die Erkenntnisse aus der Wissenschaft zu nutzen für ihre Arbeit, es gibt schon ein wechselseitiges Sachinteresse und nicht nur ein unterstelltes Interesse."
    Mit dem Sachinteresse ist es allerdings so eine Sache, wenn Interessenkonflikte im Spiel sind. Mitglieder der deutschen Arzneimittelkommission haben 2010 untersucht, welche Folgen es hat, wenn Pharmaunternehmen Arzneimittelstudien finanzieren. Nach einer systematischen Literaturrecherche in der medizinischen Datenbank Medline wurden 57 Veröffentlichungen aus den Jahren 2002 bis 2009 in die Auswertung eingeschlossen. Das Ergebnis: Studien, die von Pharmafirmen finanziert werden oder deren Autoren einen finanziellen Interessenkonflikt haben, kommen öfter zu einem positiven Resultat für den Hersteller als Untersuchungen, die aus anderen Quellen finanziert werden. Zudem werden Daten eher im Sinne des Herstellers interpretiert.
    Fischer: "Wir erleben immer wieder, dass es Mutmaßungen gibt, Verdächtigungen gibt, und dem kann man nur begegnen, indem man sagt, wir zeigen Euch, Ihr könnt reinschauen und könnt sehen, was es hier an Beziehungen gibt, was es an Zuwendungen gibt, welche Kosten erstattet werden, welche nicht."
    Transparenz-Initiative nennt die Pharmaindustrie ihren jüngsten Vorstoß, mit dem sie wohl einem Gesetz nach Vorbild des amerikanischen Sunshine Act zuvorkommen wollte. Laut Sunshine Act müssen Firmen Zuwendungen an Ärzte und bestimmte Krankenhäuser künftig einmal im Jahr an die US-Behörden berichten. Am 30. September 2014 sollen die ersten Daten im Internet veröffentlicht werden. Der in Europa beschlossene neue Transparenz-Kodex hat den Charakter einer Selbstverpflichtung und soll erstmals 2016 umgesetzt werden. Allerdings gilt die Pflicht zur Transparenz nicht uneingeschränkt. Zuwendungen an Ärzte werden nur dann öffentlich gemacht, wenn diese zugestimmt haben. Zudem werden Zahlungen für klinische Studien nur zusammengefasst veröffentlicht, ohne Zuwendungen für einzelne Ärzte oder Kliniken zu offenbaren.
    Birgit Fischer: "Wenn man hier im Detail veröffentlichen würde und das ins Internet stellt, dann wären das Informationen, die man an den Wettbewerber, an andere Unternehmen im Grunde, preisgibt, und das ist der Grund, warum es hier einen besonderen Schutz geben muss . Man stellt es nicht ins Internet öffentlich zur Verfügung, weil es einfach diesen Wettbewerbsschutz in dem Sinne gibt."
    Transparenz mit Einschränkungen
    Die Einschränkung gilt auch für Studien, an denen niedergelassene Ärzte mitwirken, etwa um zu erkunden, wie sich Medikamente in der Praxis bewähren. Kritiker halten diese sogenannten Anwendungsbeobachtungen für ein reines Marketinginstrument. Die Ärzte kassieren fleißig für ihre Mitarbeit, aber oftmals werden die Ergebnisse gar nicht veröffentlicht. Wer da im Einzelnen wie viel verdient bleibt der Öffentlichkeit gemäß Transparenzkodex ebenfalls verborgen. Eine wichtige Gruppe mit Interessenkonflikten spielt weder im Sunshine Act noch im europäischen Transparenz-Kodex eine Rolle. Dabei zielt das Marketing von Pharmaunternehmen und Medizintechnikherstellern selbstverständlich auch auf Journalisten.
    "Ich möchte Sie auch ganz herzlich begrüßen, herzlichen Dank für die Einladung, ich bin Neurochirurg."
    Volker Tronnier, der Neurochirurg aus Lübeck, ist Referent bei einem Presse-Workshop der Firma Medtronic. Es geht um verschiedene Nerven-Stimulationssysteme. Tronniers Thema sind anhaltende Schmerzen nach einer Rückenoperation.
    "... und der zweite Teil des Vortrags, da möchte ich ihnen eine Neuentwicklung vorstellen, nämlich die neuen, sogenannten MR-konditionalen Rückenmarksstimulationssysteme, mit denen es möglich ist, Patienten in ein Ganzkörper-MRT zu legen, was also bislang eben nicht möglich war."
    Eine Mitarbeiterin von Medtronic lässt einen Prototyp durch die Reihen wandern. Die Neuentwicklung, die Tronnier den Journalisten präsentiert, besitzt ein Alleinstellungsmerkmal. Es handelt sich um den ersten Rückenmarksstimulator, mit dem Patienten ohne Gefahr in einem Magnetresonanztomographen untersucht werden können. Bislang war das nicht möglich, weil man fürchtete, das Implantat könnte durch die großen Magnetfelder zu stark erhitzt werden. Die Konkurrenz hat Vergleichbares zum Zeitpunkt des Presseworkshops noch nicht im Angebot.
    "Und jetzt gibt es eben dieses neue Elektrodensystem und das ist ganz clever ... wie einen Blitzableiter gibt es hier einen Wärmeableiter, der die Hitze aus der Spitze nimmt, und über die gesamte Elektrode verteilt. Und dann sieht das eben so aus, alles ist ein bisschen wärmer geworden, wie Sie sehen, aber erreicht nicht die kritischen Temperaturen."
    Es ist der vierte halbstündige Vortrag mit Diskussion an diesem Tag.
    "Ja, und damit bin auch ich fertig, Danke schön."
    Zielgruppe Journalisten
    Nach der anschließenden Diskussion ist der inhaltliche Teil des Workshops auch schon beendet. Doch den Journalisten wird mehr geboten als nur medizinische Information.
    "Erst mal herzlich willkommen im Park, ich bin der Jürgen Dreide. Knapp zwei Stunden wird die ganze Sache dauern, bisschen Strapazen sind auch dabei, wir gehen ja zum Hochofen ganz nach oben, ich denke, gut gefrühstückt haben Sie alle, dann kann ja nichts passieren ..."
    Medtronic hat einen Shuttle gemietet, der die Teilnehmer vom Tagungshotel in Düsseldorf zum Landschaftspark Duisburg Nord und wieder zurück bringt. Auf dem Programm steht eine Besichtigung samt Führung und Hochofenbesteigung. Aber damit noch nicht genug.
    "Das war, ich denke, schon ein Zufall, dass dieses Wochenende auf den japanischen Tag am Samstag in Düsseldorf fiel. Und weil es ein japanischer Tag war, gab es abends ein japanisches Menü in dem Hotel."
    Margrit Braszus ist Hörfunkjournalistin aus Süddeutschland, eine erfahrene Kollegin, die auch schon investigativ gearbeitet hat.
    "Es gab als Vorspeise Sushi Omakase, ... also verschiedene rohe Fischsorten, mit einer scharfen Yaki-Soße vom Aal mit Reisbällchen. Dann gab es einen ersten Hauptgang, gegrilltes Schwarzfederhuhn, ... das war sehr lecker auch mit einer scharfen Sauce, Teriyaki, und auch jungen Lauch dazu, ....zweiter Hauptgang, das war Wagyu-Beef, also bestes Rindfleisch vom Kobe-Rind, mit Eigelb und Trüffeln und mit Weißkohl , also auch das wirklich sehr fein, hab ich nie vorher gegessen, Kobe-Rind, .. und zum Nachtisch bekamen wir dann Mango-Mousse mit Litschis und Ingwer und Chili-Gewürz angerichtet."
    "Warum betten wir die reine Infoveranstaltung in ein bisschen Rahmenprogramm ein? Gut, letztendlich sind das auch Plattformen, wo man in ein bisschen ungezwungener Atmosphäre jenseits der Fachvorträge einen Diskurs pflegen kann."
    Medtronic Pressesprecher Holger Storcks.
    "Natürlich stellen solche Veranstaltungen auch für uns eine Plattform dar, uns als Unternehmen im Bekanntheitsgrad und Reputation in der Medizintechnikszene und in der Journalistenszene zu präsentieren. Das ist natürlich klar, vielleicht gehört das so ein bisschen zur Markenpflege, zum Beziehungsmanagement..."
    Beziehungsmanagement ...
    "Dass man den Teilnehmern ein gutes Gefühl mit auf den Weg geben will, dass insgesamt die Veranstaltung eine runde gelungene Veranstaltung war."
    Margrit Braszus: "Angenehm war natürlich, dass alles vorbereitet und organisiert war, Bahnfahrt wurde bezahlt, keine Sache, kein Problem, die Unterkunft war Spitzenklasse, einmalig, am Hafen in Düsseldorf, das Hotel war toll, der Service war toll, das war schon so ein Rundumwohlfühl-Paket, das nimmt man gerne mit."
    Die Autorin dieses Beitrags hat auf das Vier-Gänge-Menü diesmal verzichtet, Anreise und Unterkunft finanzierte der Deutschlandfunk. Allerdings hat auch sie bei anderer Gelegenheit schon auf Kosten der Pharmaindustrie gespeist und übernachtet und sogar ein Honorar angenommen, für einen Vortrag über Interessenkonflikte im Medizinjournalismus. Sind solche Zuwendungen von der Industrie ganz unbedenklich? Das glaubt offenbar nicht einmal Hersteller Medtronic. Im Juni 2012 hat das Unternehmen weltweit gültige Regeln für die Bewirtung von Ärzten oder sonstigen Mitarbeitern von medizinischen Einrichtungen erlassen. Demnach dürfen die Ausgaben einen Betrag von 60 Euro pro Person pro Tag nicht überschreiten – Getränke eingeschlossen. Allein das Viergänge-Menü im Fünf-Sterne-Hotel Hyatt Regency Düsseldorf hat aber bereits 75 Euro pro Person gekostet, Getränke noch nicht mitgerechnet. Wieso gelten die Medtronic-Regeln nicht für den Umgang mit Journalisten?
    Extraregeln für Presseveranstaltungen
    Holger Storcks: "Die Handhabung von Aufwendungen wird bei Medtronic über die Business Conduct Standards BCS geregelt, Gegenstand sind aber in erster Linie Aufwendungen, die rund um die Bewirtung von Ärzten und sonstigen Mitarbeiter medizinischer Einrichtungen entstehen - sprich unserer originären Kunden. Dieser BCS umfasst in seinem Anwendungsbereich eben nicht die Aufwendungen, die wir rund um Presseveranstaltungen ansetzen."
    Zusammengefasst heißt das wohl: Die Regeln gelten nicht für Journalisten, weil sie für Ärzte gelten, und nicht für Journalisten. Übrigens verbieten die Business Conduct Standards auch Stadtrundfahrten oder Führungen im Zusammenhang mit Kundenbewirtungen.
    Martina Keller: "Glauben Sie, dass so ein Wohlfühlpaket, wie die Firma es angeboten hat, möglicherweise Kollegen in der Berichterstattung beeinflussen könnte? Zum Positiven hin?"
    Margrit Braszus: "Das kann ich nicht einschätzen, das weiß ich nicht, ich kann da tatsächlich nur von mir ausgehen: Ich habe da keinerlei Anlass gesehen, mich beeinflussen zu lassen. In einen Konflikt käme ich ja nur, wenn ich mich genötigt sähe von einer Instanz, so zu berichten, wie es ein Interessent möchte. Das ist aber für mich völlig außen vor, weil mein Auftraggeber sind nicht Pharmaunternehmen oder Medizinprodukte-Hersteller, sondern eine Wissenschaftsredaktion, also für mich steht das gar nicht zur Debatte."
    Nur eine der befragten Kolleginnen sieht ein Risiko der Beeinflussung. Einladungen generell abzulehnen, hält aber auch sie für eine schlechte Regel, man wolle ja möglichst viele Informationen sammeln und Kontakte knüpfen. Eine andere Journalistin antwortet, Reisekosten würden doch nicht nur bei Medizin-Seminaren übernommen: "Vielleicht sollten Sie diesbezüglich bei der Auto-Industrie sowie im Beauty-Sektor recherchieren." Fünf-Sterne-Hotels könne man am Wochenende auch günstig buche, und was die Bewirtung angehe: "Gut ich werde das nächste Mal nach Wasser und Brot begehren beziehungsweise höchsten zwei von vier Gängen zu mir nehmen." Was ein Ausflug in den Landschaftspark Nord mit medizinischen Interessenkonflikten zu tun habe, erschließe sich ihr auch bei längerer Überlegung nicht. Ein Risiko der Beeinflussung sieht sie nicht.
    "Das Gefühl ist trügerisch",
    Sozialmediziner David Klemperer,
    "wir wissen sogar, dass diejenigen, die das Gefühl haben, nicht beeinflusst werden zu können, besonders beeinflussbar sind, weil sie keine Schutzmechanismen gegen die Beeinflussung aufbauen. Es gibt Schutzmechanismen, die allerdings nur bedingt wirksam sind, aber wenn man nicht mal diese Schutzwälle aufbaut, dann droht eine umso stärkere Beeinflussung."
    Schutzmechanismen sind wichtig, aber nur bedingt wirksam
    Journalisten dürften kaum immun sein gegen Mechanismen, deren Wirksamkeit bei Ärzten durch zahlreiche Studien belegt ist: Schon kleine Geschenke an Medizinstudenten führten zu einer positiveren Haltung gegenüber den beworbenen Substanzen, dies belegte 2013 eine Befragung von mehr als 1000 Studenten an acht deutschen Universitäten. Ärzte, die hohe Verschreibungskosten verursachten, empfingen öfter Vertreter von Pharmafirmen. Und wer enge Industriekontakte hatte, neigte eher dazu, Medikamentenrisiken zu verharmlosen. Was tun?
    Klemperer: "Ich denke, dass im Medizinbereich die Problemlösung einfach ist und darin besteht, dass die Industrie kein Sponsoring gegenüber der Ärzteschaft betreibt und dass auf der anderen Seite die Ärzte erklären, dass sie sich nicht unterstützen lassen von der Industrie, in Bereichen wie Fortbildung, in der Ausrichtung von Kongresse und im Verfassen von Leitlinien, in all diesen Bereichen. Interessenkonflikten beugt man vor, indem man sie vermeidet."