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Mehltauresistenz
Vielfalt macht Spitzwegeriche stark

Biodiversitätsforschung. - Je mehr der Mensch in die Natur eingreift, desto mehr voneinander getrennte Lebensräume schafft er: Wälder und Wiesen werden durch Straßen und Dörfer zerschnitten. Das hat Ökologen immer schon beunruhigt, bislang aber konnten sie sich damit trösten, dass isolierte Populationen weitab von anderen Artgenossen weniger oft in Kontakt mit Krankheiten kommen. Das hilft ihnen aber nichts, wie eine finnische Langzeitstudie jetzt festgestellt hat. Sie wird heute im Fachmagazin "Science" vorgestellt.

Von Monika Seynsche | 13.06.2014
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    Spitzwegerich (dpa/picture alliance)
    Anna-Liisa Laine hat es eine unscheinbare Pflanze angetan: der Spitzwegerich. Ein Allerweltsgewächs, das auf fast jeder Wiese und Weide lebt. Und eines, das einen Feind hat: Podosphaera plantaginis, eine Form des echten Mehltaupilzes. Seit 13 Jahren untersucht die Evolutionsbiologin der Universität von Helsinki auf einer Inselgruppe in der Ostsee den kontinuierlichen Kampf zwischen Pilz und Pflanze.
    "Wir haben dort alle Spitzwegerichpopulationen kartiert, das sind zurzeit über 4000. Und sie alle kontrollieren wir jedes Jahr auf den Pilz hin. So haben wir eine der weltgrößten Datenbanken aufgebaut über das Zusammenspiel zwischen einer Wildpflanze und ihrer Krankheit."
    Das Ergebnis dieser Fleißarbeit hat die Forscher selbst überrascht, denn es widerspricht jeder ökologischen Theorie. Nicht die Populationen mit vielen potentiell ansteckenden Nachbarn, sondern die isolierten Gruppen waren besonders anfällig für den Pilz.
    "Für uns deutete das darauf hin, dass sich in den stark vernetzten Populationen möglicherweise eine höhere Resistenz entwickelt hatte. Und das konnten wir auch experimentell nachweisen."
    Pflanzen können vor ihren Feinden nicht weglaufen, aber ihre Gene können sich bewegen. In Pollen und Samen können sie von einer Population zur nächsten gelangen – wenn sie nicht zu weit voneinander entfernt sind.
    "Die Populationen, die viele Nachbarn in der Nähe haben, bekommen reichlich neuen Pollen und damit neue Gene. Das bringt mehr Variationen und mehr Material mit dem die Selektion arbeiten kann."
    So können immer wieder Resistenzen gegen neue Angreifer entstehen. Die isolierten Populationen dagegen müssen sich mit dem begnügen, was ihr eigener Genpool hergibt. Bietet der keine Möglichkeit einen Angreifer abzuwehren, hat die Population verloren. Die amerikanische Evolutionsbiologin Meghan Duffy von der Universität von Michigan ist fasziniert von den Arbeiten der finnischen Forscher.
    "Diese Ergebnisse deuten gemeinsam mit anderen aktuellen Studien darauf hin, dass die Evolution in Populationen extrem schnell abläuft, in Zeiträumen, die wir Menschen überblicken können. Und manchmal verändern sich ökologische Prozesse in einer Weise, die wir nicht erklären könnten, wenn wir die Evolution nicht berücksichtigten."
    Sowohl Meghan Duffy also auch Anna-Liisa Laine sind allerdings auch beunruhigt von den Ergebnissen der Studie. Denn durch die Zersiedelung der Landschaft und das Vordringen des Menschen in vormals ungestörte Ökosysteme entstehen immer mehr voneinander isolierte Pflanzenpopulationen.
    "In der Naturschutzbiologie wird seit langem darüber diskutiert, ob man bei der Planung von Schutzgebieten Korridore zwischen den einzelnen Gebieten anlegen sollte. Das Gegenargument war hier immer: besser nicht, damit Krankheiten nicht so leicht von einem Gebiet ins nächste überspringen können. Unsere Studie zeigt aber, dass eine Vernetzung hilft, Krankheiten zu bekämpfen. Kurzfristig könnten mehr Infektionen auftreten, aber auf lange Sicht verbessern Verbindungen zwischen den einzelnen Schutzgebieten die Verteidigung, weil sie die Evolution von Resistenzen ermöglichen."