Folkloristisch-kitschige Klänge glaubt man zu kennen von Indien, dieser widersprüchlichen Mega-Demokratie mit 1,12 Milliarden Einwohnern - der zweitbevölkerungsreichste Staat der Welt, in dem prächtige Bollywood-Kitschfilme neben spirituellen Großmeistern existieren. Ein Land, das für seine Computerspezialisten gerühmt wird und in dem sich die Miss India Universe umbringt, weil ihre Hochzeit platzt. Indien, ein Sehnsuchtsland, das sich der Moderne widersetzt, in dem Jeans und Mac Donalds keine Chance haben, weil Pakora doch viel besser schmeckt und der traditionelle Sari als Lieblingskleidungsstück der Frauen ungeschlagen bleibt. Damit setze es sowohl der Globalisierung als auch der westlichen Dominanz eine erfrischende Grenze, die unbedingt erhalten bleiben sollte, meinte zumindest der politische Autor Pankaj Mishra bei seinem Eröffnungsvortrag. Im politischen Theater, das auf der Biennale Bonn gezeigt wird, wird Folklore jedoch allenfalls noch als Stilmittel eingesetzt - neben Videoeinspielungen, Live-Kameras und viel Musik.
Das Stück "16 mm" basiert auf der Tatsache, dass das indische Parlament in Delhi 2001 von Terroristen überfallen wurde. Ein Universitätsprofessor wurde als Mittäter beschuldigt. Erst auf Betreiben einer engagierten Anwältin und nach langen Widerständen wurde deutlich, dass er ein Alibi hat. Doch die wahren Täter wurde nie gefunden. Auf der Bühne sehen wir einen boulevardhaften Dokukrimi, der manchmal den Charakter einer trockenen Fernseh-Gerichtsshow annimmt. Minutenlang werden Fakten ausgetauscht, auf bunten Kisten verhandeln der Terrorist und die schöne Anwältin im knallroten Sari über Handy-Rechnungen, Decknamen und Codewörter.
Das Stück war in Indien eine Sensation, weil es Korruption und politische Machenschaften der staatlichen Terrorismusbekämpfung aufdeckte, auch wenn es den unkundigen westlichen Zuschauer deutlich ermüdet zurücklässt. Der Autor und Regisseur Sangram Guha aus Kalkutta hat aber auch schon Stücke über Foltermethoden und die nukleare Aufrüstung Indiens inszeniert:
"39 Ich bin kein Theatermann. Ich forsche seit 15 Jahren über Terrorismus. Ich stelle Fragen, theoretisch und praktisch. Was ist das Motiv der internationalen Politik? Sie benutzen den Terrorismus, um ihre Kriege auf der Welt zu verbreiten. Ich bin die einzige Person in Indien, die solche Fragen durch Theater aufwirft. Unser Stück wurde überall in Indien gespielt, mehr als 60 Mal, vor jeweils 2000 Personen. Der Professor Gilari, um den es ging, wurde angegriffen nach meinem Stück. Drei Monate war ich im Gefängnis, nur deshalb."
Terrorismus scheint im politischen Theater Indiens ein geläufiges Thema zu sein. In "Kentauren" werden Texte von Heiner Müller mit dem Buch "Guter Moslem, böser Moslem" von Mahmood Mamdani konfrontiert: Ein Mann, als moderner Hindu mit Sonnenbrille und Rollerblades zu erkennen, sitzt mit einer Videokamera an einem Tisch und überwacht und foltert einen anderen, fürsorglich und bedrohlich zugleich. Der andere ist ein zitternder Moslem, der auf einem Gebilde steht, dass Wachturm oder Hinrichtungspult sein könnte. Vergeblich argumentiert er gegen seine vermeintliche Schuld, während eine Stimme aus dem Off die Opfer des Irak-Kriegs aufzählt. Totale Überwachung im Namen der Terrorismusbekämpfung, Hindi gegen Moslems - das sind laut Regisseurin Anuradha Kapur Grundkonflikte der indischen Gesellschaft:
"Nach dem 11. September hat sich eine sehr vereinfachte Sicht auf eine bestimmte Art von Menschen verbreitet: die so genannten Vormodernen, Unzivilisierten im Gegensatz zu den guten, nach Westen orientierten Menschen. Für die Biennale Bonn hätten wir um ein Haar kein Visum bekommen. Visabeamte denken wohl, dass Menschen aus meinem Teil der Welt nichts mehr wünschen, als sich in den Westen abzuseilen. Aber diese Gedanken kennt man auch in Indien sehr gut, als Konflikt zwischen Hindi und Moslems: 2002 gab es in Indien einen staatlich unterstützten Völkermord an Muslimen, propagiert von der rechten Hindu-Regierung. Ihre Gedanken sind mittlerweile ins tägliche Leben eingedrungen. Man sieht Männer mit Bärten und muslimischen Kappen, und sofort sieht man in ihnen Fundamentalisten, für die Menschenleben nicht zählen. Seit 1992, seit die konservative Hinduistische Partei an die Macht kam, gibt es in Indien einige politisch-kritische Regisseure, die solche Zusammenhänge aufzeigen - mit einem kleinen Publikum. Ich bin also auf keinen Fall allein."
Dass modernes indisches Theater auch ohne aktuelle politische Bezüge gesellschaftliche Tabuthemen angeht, zeigt "Othello - A play in black and white" der Indien Shakespeare Company. Eine sensibel gespielte Neuadaption von Shakespeare, die so einfach wie überzeugend als Spiel im Spiel funktioniert. In einer Theatergruppe, die Othello probt, bricht Zank aus, weil Othello von einem dunkelhäutigen, cholerischen Außenseiter gespielt wird, der auch noch der Hauptdarstellerin nachstellt. Wie schnell können Eifersucht und Angst vor dem Fremden zu selbst erfüllenden Prophezeiungen werden? Das ist wohl nicht nur in Indien so. Terrorismus, Vorurteile, Korruption und Fremdenfeindlichkeit: Man bekommt auf der Biennale Bonn den Eindruck, als seien die Fragen, die Ost und West bewegen, doch nicht so unterschiedlich, wie uns oft suggeriert wird.
Das Stück "16 mm" basiert auf der Tatsache, dass das indische Parlament in Delhi 2001 von Terroristen überfallen wurde. Ein Universitätsprofessor wurde als Mittäter beschuldigt. Erst auf Betreiben einer engagierten Anwältin und nach langen Widerständen wurde deutlich, dass er ein Alibi hat. Doch die wahren Täter wurde nie gefunden. Auf der Bühne sehen wir einen boulevardhaften Dokukrimi, der manchmal den Charakter einer trockenen Fernseh-Gerichtsshow annimmt. Minutenlang werden Fakten ausgetauscht, auf bunten Kisten verhandeln der Terrorist und die schöne Anwältin im knallroten Sari über Handy-Rechnungen, Decknamen und Codewörter.
Das Stück war in Indien eine Sensation, weil es Korruption und politische Machenschaften der staatlichen Terrorismusbekämpfung aufdeckte, auch wenn es den unkundigen westlichen Zuschauer deutlich ermüdet zurücklässt. Der Autor und Regisseur Sangram Guha aus Kalkutta hat aber auch schon Stücke über Foltermethoden und die nukleare Aufrüstung Indiens inszeniert:
"39 Ich bin kein Theatermann. Ich forsche seit 15 Jahren über Terrorismus. Ich stelle Fragen, theoretisch und praktisch. Was ist das Motiv der internationalen Politik? Sie benutzen den Terrorismus, um ihre Kriege auf der Welt zu verbreiten. Ich bin die einzige Person in Indien, die solche Fragen durch Theater aufwirft. Unser Stück wurde überall in Indien gespielt, mehr als 60 Mal, vor jeweils 2000 Personen. Der Professor Gilari, um den es ging, wurde angegriffen nach meinem Stück. Drei Monate war ich im Gefängnis, nur deshalb."
Terrorismus scheint im politischen Theater Indiens ein geläufiges Thema zu sein. In "Kentauren" werden Texte von Heiner Müller mit dem Buch "Guter Moslem, böser Moslem" von Mahmood Mamdani konfrontiert: Ein Mann, als moderner Hindu mit Sonnenbrille und Rollerblades zu erkennen, sitzt mit einer Videokamera an einem Tisch und überwacht und foltert einen anderen, fürsorglich und bedrohlich zugleich. Der andere ist ein zitternder Moslem, der auf einem Gebilde steht, dass Wachturm oder Hinrichtungspult sein könnte. Vergeblich argumentiert er gegen seine vermeintliche Schuld, während eine Stimme aus dem Off die Opfer des Irak-Kriegs aufzählt. Totale Überwachung im Namen der Terrorismusbekämpfung, Hindi gegen Moslems - das sind laut Regisseurin Anuradha Kapur Grundkonflikte der indischen Gesellschaft:
"Nach dem 11. September hat sich eine sehr vereinfachte Sicht auf eine bestimmte Art von Menschen verbreitet: die so genannten Vormodernen, Unzivilisierten im Gegensatz zu den guten, nach Westen orientierten Menschen. Für die Biennale Bonn hätten wir um ein Haar kein Visum bekommen. Visabeamte denken wohl, dass Menschen aus meinem Teil der Welt nichts mehr wünschen, als sich in den Westen abzuseilen. Aber diese Gedanken kennt man auch in Indien sehr gut, als Konflikt zwischen Hindi und Moslems: 2002 gab es in Indien einen staatlich unterstützten Völkermord an Muslimen, propagiert von der rechten Hindu-Regierung. Ihre Gedanken sind mittlerweile ins tägliche Leben eingedrungen. Man sieht Männer mit Bärten und muslimischen Kappen, und sofort sieht man in ihnen Fundamentalisten, für die Menschenleben nicht zählen. Seit 1992, seit die konservative Hinduistische Partei an die Macht kam, gibt es in Indien einige politisch-kritische Regisseure, die solche Zusammenhänge aufzeigen - mit einem kleinen Publikum. Ich bin also auf keinen Fall allein."
Dass modernes indisches Theater auch ohne aktuelle politische Bezüge gesellschaftliche Tabuthemen angeht, zeigt "Othello - A play in black and white" der Indien Shakespeare Company. Eine sensibel gespielte Neuadaption von Shakespeare, die so einfach wie überzeugend als Spiel im Spiel funktioniert. In einer Theatergruppe, die Othello probt, bricht Zank aus, weil Othello von einem dunkelhäutigen, cholerischen Außenseiter gespielt wird, der auch noch der Hauptdarstellerin nachstellt. Wie schnell können Eifersucht und Angst vor dem Fremden zu selbst erfüllenden Prophezeiungen werden? Das ist wohl nicht nur in Indien so. Terrorismus, Vorurteile, Korruption und Fremdenfeindlichkeit: Man bekommt auf der Biennale Bonn den Eindruck, als seien die Fragen, die Ost und West bewegen, doch nicht so unterschiedlich, wie uns oft suggeriert wird.