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Mehr als nur Rechnen

Das Bundesbildungsministerium hat 2008 zum Jahr der Mathematik ausgerufen. Laut Günter Ziegler, Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, hat das Fach wesentlich mehr zu bieten als das aus der Schule bekannte Rechnen. Mathematik sei Grundlage für viele Schlüsseltechnologien.

Moderation: Jörg Biesler | 26.11.2007
    Jörg Biesler: 2008 wird das Jahr der Mathematik. Das Bundesbildungsministerium und die Initiative "Wissenschaft im Dialog" rufen ja jeweils die Wissenschaftsjahre aus. Derzeit sind wir noch im Jahr der Geisteswissenschaften. Und ich bin jetzt verbunden mit Professor Dr. Günter Ziegler, Mathematiker an der Technischen Universität in Berlin und Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. Tag, Herr Ziegler!

    Günter Ziegler: Ja, Tag, Herr Biesler!

    Biesler: 2008 wird das Jahr der Mathematik, ich habe es gerade gesagt. Wissen Sie, warum man im Ministerium gerade diese Wahl getroffen hat?

    Ziegler: Ich glaube, wenn ich aus Ministeriumsperspektive reden soll, macht man sich im Ministerium Sorgen um Hightech-Standort Deutschland und hat eben auch erkannt, dass Mathematik wichtig ist, eine Schlüsseldisziplin ist eben auch Richtung Mathematik und Naturwissenschaften, dass es eine Disziplin ist, die wichtig ist Richtung Schule, dass eben auch wir Richtung Ingenieurausbildung, Richtung Studium in den ganzen Fächern dieses Fach promoten müssen und dass wir einfach dem Sichtbarkeit geben müssen. Und das ist Anliegen von dem Mathematikjahr.

    Biesler: Jetzt sind Sie Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung und gleichzeitig natürlich auch Lehrer der Mathematik, nämlich an der TU Berlin. Gibt es bei Ihnen Wünsche, Missverständnisse gegenüber der Mathematik auszuräumen in dem Jahr?

    Ziegler: Ich glaube, es gibt eine ganze Menge Missverständnisse. Das, was mir am wichtigsten ist, ist eigentlich, dass man Mathematik wahrnimmt als ein vielfältiges und als buntes Fach, eines, das lebt. Ich glaube, das, was man in der Schule eben sieht, ist wirklich nur eine Dimension von Mathematik, die sicher auch wichtig ist, eben dieses Mathematik-Lernen, weil man eben rechnen können muss, um sich im Leben zurechtzufinden. Aber das ist wirklich nur ein Aspekt von Mathematik, und wir haben viele andere, die wir eben auch in dem Jahr sehen und erleben wollen.

    Biesler: Heute stellen Sie das Programm vor in Bremen. Wenn Sie jetzt jemandem sagen sollten, was anders ist an der Mathematik als das, was man aus der Schule kennt, als die Schulmathematik, was wären da Punkte, die Ihnen einfallen würden?

    Ziegler: Also ein Punkt ist, dass Mathematik ganz wichtig ist für jede Menge Anwendungen, dass Mathematik in Hightech-Produkten drinsteckt, dass Mathematik eben zum Beispiel im Handy, in Navigationssystemen, im Internet, in der Verschlüsselung, in U-Bahn-Plänen, in Bahnfahrplänen drinsteckt, und zwar so, dass diese ganzen Produkte eigentlich nicht möglich wären oder viel teurer wären, wenn nicht da eine Menge Mathematik drinstecken würde. Also Mathematik muss sichtbar werden als Schlüsseltechnologie oder als Grundlage für Schlüsseltechnologie.

    Biesler: Das ist sozusagen die ganz praktische Seite. Setzen Sie auch darauf, die philosophische Seite der Mathematik vielleicht mehr in den Vordergrund zu stellen, dass Mathematik eben keine Naturwissenschaft ist, sondern sich mit den Strukturen der Welt beschäftigt?

    Ziegler: Also ich persönlich habe diese philosophischen Fragen eigentlich nie so interessant gefunden, wenn ich das so sagen darf. Aber die Sache, dass Mathematik zu tun hat mit Kunst, dass Mathematik ja die Wissenschaft der Muster ist und deswegen was sehr Visuelles hat, das ist mir wichtig an Mathematik. Und ich glaube, das wird im Mathematikjahr auch in vielen Ausstellungen sehr sichtbar werden und sozusagen begreifbar werden im wörtlichen Sinne.

    Biesler: Im Augenblick läuft ja noch das Jahr der Geisteswissenschaften 2007. Daran ist viel kritisiert worden, weil es so als Feigenblatt galt in Zeiten, wo die Naturwissenschaften vor allen Dingen gefördert werden und die Kultur- und Sprachwissenschaften immer in Rechtfertigungsnöten stecken, das Image einer brotlosen Kunst haben. Was können Sie lernen aus den Fehlern vielleicht des Jahres der Geisteswissenschaften, das, na ja, vielleicht nicht so richtig gut geklappt hat?

    Ziegler: Also diese ganze Kritik kann ich einfach nicht beurteilen, da will ich letztlich gar nichts dazu sagen. Ich glaube, aus meiner Perspektive ist es so, dass jedes dieser Jahre seine eigene Agenda definieren muss und sagen muss, was ist eigentlich das Wichtige, was soll passieren, was wollen wir erreichen? Und im Jahr der Geisteswissenschaften, so wie ich es verstanden habe, war zunächst mal wichtig, einfach einen gemeinsamen Rahmen zu finden für die Geisteswissenschaften und denen Selbstbewusstsein zu geben und die nach außen zu öffnen.

    In der Mathematik, glaube ich, sprechen wir mit einer Stimme und sehr selbstbewusst, und es gibt ja eben auch nur eine Mathematik, da wo es 96 Geisteswissenschaften gibt. Und wir haben eine Agenda, die sehr nach außen zielt, und eine Agenda, die sagt, wir wollen die Schulen erreichen und wir müssen die Schulen erreichen. Und insofern ist das, glaube ich, was anderes. Deswegen will ich es gar nicht mit dem Jahr der Geisteswissenschaften vergleichen, sondern einfach mit unserem Mathematikbild und mit sehr viel Vielfalt für die Mathematik in das Jahr 2008 gehen.

    Biesler: Wenn Sie in die Schulen gehen werden im kommenden Jahr, was wird da passieren? Machen Sie Workshops mit den Schülern, die sie für mathematische Probleme interessieren sollen?

    Ziegler: Ja, auch, aber das Wichtige für mich wird sein, dass wir hunderttausende verschiedene Sachen machen, dass wir gar nicht auch von Berlin aus vorgeben, was im Mathematikjahr gemacht wird, sondern es läuft jetzt schon unter Jahr-der-mathematik.de eine Kampagne, die heißt "Mathemacher", wo sich Leute aus dem ganzen Land, also zum Beispiel Lehrer, bewerben können, als Mathemacher im Mathematikjahr mitzumachen. Und ich sehe dieses Mathematikjahr sehr weit als ein Community Effort, das heißt, die Mathematiker, die Lehrer, die Eltern aus dem ganzen Land machen mit, und wir alle gemeinsam machen Mathejahr. Und da werden dann, so wie ich mir das vorstelle, sehr viele verschiedene Sachen passieren, die alle spannend sind, sehr vielfältig sind und wo sich dann aus ganz vielen Mosaiksteinen was ganz Vielfältiges als Mathematikbild zusammensetzt.

    Biesler: Unwahrscheinlich, dass der Mathematiklehrer dann sogar vielleicht zum Sympathieträger wird in der Schule, der ist ja meistens genau auf der anderen Seite angesiedelt in der Schülergunst. Wie war das bei Ihnen? Haben Sie Ihren Mathematiklehrer geliebt?

    Ziegler: Geliebt ist wirklich übertrieben, aber wir hatten auch coole Mathematiklehrer, das war ganz sicher so. Also meine Leistungskurslehrerin von damals habe ich letztes Jahr wiedergetroffen, die verehre ich noch immer, aber klar.

    Biesler: Günter Ziegler, Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung zum Jahr der Mathematik 2008. Dankeschön.