Freitag, 29. März 2024

Archiv


Mehr als roter Teppich gefragt

Die Berlinale muss sich öffnen für das Sperrige, Unerwartete und Widersprüchliche, will sie mithalten im Weltkonzert der Festivals. Nach sechs Jahren mit dem Unterhaltungstalent Dieter Kosslick, in denen er viel Erfolg gehabt hat, ist Erneuerung angesagt.

Von Josef Schnelle | 18.02.2007
    Die größte Überraschung kommt immer zum Schluss. So ist das bei Kindergeburtstagen und bei Filmfestivals. Der goldene Bär für den chinesischen Film "Tuyas Hochzeit" von Wang Quan´an war bei den meisten Beobachtern nicht mehr auf der Rechnung gewesen. Dabei hatte er zu Beginn des Festivals als handwerklich ordentlicher Filme mit interessanten Einblicken in den Wandel der chinesischen Gesellschaft gegolten. Auch Poesie und Rührung konnte man dem Melodram aus der inneren Mongolei abgewinnen.

    "Tuyas Hochzeit" ist jedoch auch einer jener Filme, die für den Festivalzirkus direkt gemacht scheinen und dort üblicherweise irgendwie reüssieren, ohne dass gleich die ganze Filmkunst aus den Angeln kippt. Eine mutige Entscheidung der Jury unter ihrem Präsidenten Paul Schrader war es also nicht gerade. Zu deren Ehrenrettung muss man aber sagen, dass das diesjährige Wettbewerbsprogramm nicht allzu viel Spielraum für wegweisende Entscheidungen bot. Immerhin wurde mit dem Film des jungen chinesischen Regisseurs, der mit seinen ersten Filmen im Internationalen Forum des jungen Films und in der Panorama-Sektion gewesen war, ein Berlinalegewächs prämiert.

    Außerdem honorierte die Jury wenigstens eines der drei Elemente, aus denen Festivalchef Dieter Kosslick sein Programm zusammenbastelt - nämlich die Tendenz, in Wettbewerbsfilmen besonders häufig entlegenste Regionen vorzustellen. So gab es diesmal sogar noch einen weiteren Film aus der Mongolei, die nicht gerade für einen aktuellen Filmboom steht. Die komplette Formel eines idealtypischen Berlinale-Festivalprogramms lautet aber: entlegene Regionen neben Filmen mit garantierten Starauftritten und Filmen mit einem menschlichen Anliegen. Mit den Starauftritten, die sich diesmal wie ein "Who is Who?" der Hollywoodszene las, lockte die Berlinale das Publikum an. Das hat funktioniert. Fast eine halbe Million Karten wurden verkauft.

    Mit den Stars und ihren Auftritten auf dem roten Teppich und in den Partylocations der Stadt hat Dieter Kosslick das Festival zu einem rasanten Berliner Kinokarneval gemacht. Die Volksbelustigung macht die Sache natürlich gleich ein bisschen provinziell. Diesmal wurde der durchsichtige PR-Trick auch bis an die Schmerzgrenze ausgereizt. Es sind doch immer dieselben, die kommen und die Outfits der Stars werden auch nicht jedes Jahr besser. So kann die Entscheidung der Jury für Nina Hoss als beste Darstellerin durchaus als Versuch gewertet werden darauf hinzuweisen, dass in manchen Filmen wie "Yella" von Christian Petzold eben ernsthafte Schauspielkunst gefragt ist. Das sah die total überraschte und dann glückliche Schauspielern auch so, gestern Abend bei der Pressekonferenz de Preisträger.

    Und so lief der deutsche Regisseur den ganzen Abend ziemlich glücklich und mitgeehrt hinter seiner Schauspielerin her. Es kann aber auch sein, dass die Jury nur fand, irgendein Preis müsse doch nach Deutschland gehen im allgemeinen Preisregen.

    Dem fiel der sicher erwartete Silberne Bär für Marianne Faithful zum Opfer. Ihr Film, der Publikumsliebling "Irina Palm", ging komplett leer aus. Robert de Niros "Der gute Hirte", in allen Kritikerrankings weit vorne, wurde mit einem hilflosen Schulterzucken, nämlich dem Preis fürs Ensemble, abgespeist. Dieter Kosslicks Lieblingsanliegen ist es ja, die Probleme der Welt mit einem Berlinale-Auftritt zumindest ansatzweise der Lösung zuzuführen. Letztes Jahr hat das geklappt. Da wurde am Ende "Esmas Geheimnis" ein Film über die vergewaltigten Frauen von Sarajevo ausgezeichnet. Diesmal würdigte die Jury keinen der groß angekündigten politischen Filme wie das Anti-Apartheitstück "Goodbye Bafana" von Bille August oder den Film über die Vergewaltigten und Ermordeten Frauen von "Bordertown" in Mexiko im Film von Gregory Nava mit einem Preis und erteilte so dem Gutmenschentum auf der großen Leinwand eine Abfuhr. Es gut gemeint zu haben, sas reicht selten für einen guten Film.

    Und so muss man all dem Gerede um den Schwerpunkt politischer Film entgegenhalten: Politisch sind Filme in Wahrheit nicht selten durch ihre radikale und innovative Ästhetik. Oder wie Jean Luc Godard es einmal ausgedrückt hat: Es kommt nicht darauf an, politische Filme zu machen. Wir müssen vielmehr Filme politisch machen. Filme, die sich diesem ja nun auch schon in die Jahre gekommenen Programm verpflichtet fühlen, wurden im Wettbewerbsprogramm der Berlinale in diesem Jahr fast gar nicht gesichtet, sieht man einmal von den Altmeistern André Téchiné und Jacques Rivette ab. Im als kommmerziell verschrienen Cannes findet man solche Filmbeiträge im Bäckerdutzend gleich jedes Jahr. Auch der deutsche Film wird dort, so ist schon zu hören, mit den neuen Filmen von Fatih Akin und Hans Weingärtner prominent vertreten sein Überhaupt wird man zum 60. Geburtstag an der Côte d´Azur im Mai sicher einiges Aufbieten.

    Die Berlinale aber muss, will sie mithalten im Weltkonzert der Festivals, die Augen öffnen für das Sperrige, Unerwartete und Widersprüchliche. Nach sechs Jahren mit dem Unterhaltungstalent Dieter Kosslick, in denen er viel Erfolg gehabt hat, jedes Jahr ein paar neue Events hinzugefügt hat ist Erneuerung angesagt. Es geht um nichts weniger als das Herz des Festivals wieder zum Schlagen zu bringen - den offiziellen Wettbewerb.