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Mehr Flüchtlinge in der Schweiz

Ab dem Sommer 2008 stieg die Asylbewerberzahl in der Schweiz sprunghaft an. Im Aargau sind deshalb schon alle Heime und angemieteten Wohnungen für Asylbewerber überbelegt. Deswegen möchte die Schweiz die Flüchtlinge nun in Länder zurückschicken, in denen sie bereits zuvor Asylanträge gestellt haben.

Von Pascal Lechler | 15.01.2009
    "Bei uns kann das auf die Dauer nicht so weitergehen. In den einzelnen Unterbringungsmöglichkeiten, weil, wenn die so stark belegt sind, dann entwickelt sich automatisch ein höheres Aggressionspotenzial. Und das müssen wir wiederum irgendwie auffangen, weil die Leute, das sind zum großen Teil alleinreisende Männer, die haben keine Tagesstruktur, die haben keine Tagesbeschäftigung, dass heißt, die sind irgendwo in und um die Unterkünfte. Und das ist nicht unproblematisch."

    Nicht unproblematisch für beide Seiten und zwar für die Gemeinden, die Asylbewerber aufnehmen, und die Flüchtlinge, die vorwiegend aus Eritrea und Somalia stammen.

    Inzwischen regt sich in vielen Gemeinden Widerstand gegen noch mehr neue Asylbewerber. Wohnraum bekommt Jenni oft nur in alten, abbruchreifen Häusern angeboten. Zwei Gemeinden wollen jetzt zumindest ihre Zivilschutzeinrichtungen zur Verfügung stellen. Das bringt Wohnraum für 200 Personen und für Jennis Planungen eine deutliche Entlastung. Ein Dauerzustand kann die Unterbringung im Bunker aber auch nicht sein, weiß Jenni. Deshalb denkt der Aargauer Sozialamtsleiter bereits an eine kostspielige Lösung, nämlich Hotelzimmer für Asylbewerber anzumieten.

    "Der Kanton Tessin praktiziert das seit einigen Wochen. Und das ist bei uns eigentlich die letzte Möglichkeit, wenn wir auf anderer Ebene keinen entsprechenden Wohnraum oder Unterbringungsmöglichkeiten mehr schaffen können, dass wir dann auf Hotelunterbringung ausweichen werden. Eine Option hat sich letzte Woche dann zunichte gemacht. Wir wollten den Versuch machen, auch in Jugendherbergen Platzierung vorzunehmen. Da haben wir aber ein klares Nein erhalten, stehen nicht zur Verfügung."

    Die Probleme eingebrockt hat den Kantonen schon vor Jahren der ehemalige Bundesrat Christoph Blocher. Der damalige Minister ging in seinen Planungen von 10.000 Asylgesuchen pro Jahr aus. Er wies die Kantone an, Reserveunterkünfte abzubauen, erzählt Roger Schneeberger, der Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren.

    "Die Idee war die, über das Angebot die Nachfrage zu steuern. Das Gefühl, wenn man entsprechende Signale aussetzt, gegenüber dem Ausland, gegenüber Schlepperorganisationen auch, dass das einen Einfluss haben würde. Aber die Realität zeigt einfach, und das haben wir in den letzten zwanzig Jahren wirklich erfahren in der Schweiz, dass die Situationen in den Herkunftsstaaten und verwandtschaftliche Bindungen, die Angehörige bestimmter Nationalitäten haben, viel, viel maßgebender sind, als das Angebot oder die Politik in einem Aufnahmestaat."

    Die von Blocher angepeilte Höchstmarke von 10.000 Asylsuchenden wird 2008 mit über 16.600 weit überschritten. Jonas Montani vom Berner Bundesamt für Migration erklärt, warum 2008 mehr Menschen in der Schweiz um Asyl gebeten haben.

    "Also, die Zunahme ist vor allem bedingt durch Leute aus dem Raum Sub-Sahara. Da spielen natürlich zum Beispiel die Immigrationsrouten eine große Rolle. Man hat festgestellt, dass vermehrt Asylsuchende über die Lampedusa-Route, dass heißt Libyen-Lampedusa nach Italien kommen, und somit einige von ihnen halt auch in die Schweiz, weil die Schweiz geografisch natürlich das Nachbarland von Italien ist."

    Hinzu kommt, dass sich die Bürgerkriegssituation in Sri Lanka im Laufe des vergangenen Jahres verschärft hat. Immer mehr Asylanten aus Sri Lanka suchen deshalb Schutz in Europa. Dass die Flüchtlingsströme in absehbarer Zeit abnehmen könnten, davon geht das Bundesamt für Migration in Bern zunächst nicht aus.

    Einen Effekt erhoffen sich die Schweizer jetzt vom Beitritt zum Schengen/Dublin-Abkommen. Denn seit Anfang Dezember sind nicht nur die systematischen Personenkontrollen an der Schweizer Grenze weggefallen. Die Schweiz kann jetzt auch Asylbewerber in das Land zurückschicken, wo der Flüchtling bereits einen Asylantrag gestellt hat. Einem ersten Datenabgleich der Behörden zufolge, hätte im Dezember schon jeder zweite Flüchtling wieder die Schweiz verlassen müssen. Ernst Hasler, der Vorsteher des Aargauer Departements Gesundheit und Soziale, hofft jetzt auf eine strikte Anwendung des Dublin-Abkommens.

    "Wenn wirklich das Schengen/Dublin, wie es dem Volk erklärt wurde, greift, und das wirklich angewendet wird europaweit, dann müssten wir das Problem relativ rasch lösen können."

    Auch wenn Dublin die Flüchtlingsströme in die Schweiz eindämmen könnte, viele Asylsuchende, die schon in der Schweiz sind, werden dennoch hier bleiben. Die Schweiz hat nämlich mit 23 Prozent eine sehr hohe Asyl-Anerkennungsquote.