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Mehr Netzwerke für die Geisteswissenschaften

Wenn Matthias Kleiner, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, eine Bilanz des vergangenen Jahres zieht, stehen die Geisteswissenschaften ganz oben auf seinem Redemanuskript. Viel Lob ist da zu hören, etwa über die MS Wissenschaft - ein Schiff, das von der DFG mit finanziert wird und das zurzeit unter dem Motto "Sprache ist mehr als Worte" durch Deutschland tourt.

Von Britta Mersch |
    Besucher können hier Sprachtests machen oder eine Ausstellung zum Mixtape besuchen. Mixtapes, das waren die in Zeiten des Kassettenrekorders selbst zusammen gestellten Musiksammlungen, die mittlerweile schon für Kulturforscher interessant sind. Für Matthias Kleiner sind das alles Belege dafür, dass die Geisteswissenschaften hoch im Kurs stehen.

    " Wenn Sie tatsächlich mal in die Institute, in die Universitäten gehen, und mit vor allem jungen Geisteswissenschaftlern sprechen, dann sehen Sie doch, dass die Forschungsbedingungen und die Förderbedingungen vor allem wesentlich besser sind als ihr Ruf. Ich kann nur sagen, die DFG ist mit zwischen 250 und 300 Millionen Euro jährlich nicht nur in Europa vermutlich der größte Forschungsförderer der Geisteswissenschaften. "

    Das Geld fließt in ganz unterschiedliche Projekte, etwa in Einzelförderungen, Sonderforschungsbereiche oder in die Unterstützung von Nachwuchswissenschaftlern. So gibt es bereits seit fünf Jahren die "Förderinitiative Geisteswissenschaften", bei der wissenschaftliche Netzwerke für junge Forscher ins Leben gerufen werden. In diesem Jahr haben die Nachwuchs-Wissenschaftler zudem die Möglichkeit, sich für so genannte Kolleg-Forschergruppen zu bewerben, in denen sie unter Anleitung von erfahrenen Kollegen eigene Projekte bearbeiten. Eine Stärkung der Geisteswissenschaften sei also deutlich spürbar, sagt der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart.

    " Die Geisteswissenschaften genießen eine gleichberechtigte Rolle gerade auch bei der so wichtigen Deutschen Forschungsgemeinschaft und ich sehe auch mit großer Freude viel Selbstbewusstsein bei den Geisteswissenschaftlern, ich glaube, sie haben hervorragende Bedingungen und sie sollten sich einfach einbringen in diese Wettbewerbe und ihre Stärken ausspielen, sie haben diese Stärken. "

    Dieser Erfolg ist jedoch nicht überall spürbar. In einer anderen DFG-Förderlinie, der Exzellenzinitiative, haben die Geisteswissenschaften im Vergleich zu anderen Disziplinen wie den Natur- oder Lebenswissenschaften bisher eher schlecht abgeschnitten. Von den insgesamt 35 geförderten Exzellenzclustern und Graduiertenschulen sind nur fünf in den Geisteswissenschaften angesiedelt. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, hofft deshalb, dass im Oktober, wenn die nächste Entscheidung im Exzellenzwettbewerb ansteht, mehr Fördergelder für die Geisteswissenschaften abfallen.

    " Wir werden sehen, inwieweit jetzt bei der zweiten Runde der Exzellenzinitiative geisteswissenschaftliche Forschungen dabei sind. Ich gehe mal davon aus, weil ich gehört habe, dass es auch sehr viele Anträge in den Geisteswissenschaften gegeben hat. Ich meine, dass gerade in diesem Jahr, dem Jahr der Geisteswissenschaften und auch unter dem Eindruck dieser Exzellenzinitiative sehr viel überlegt worden ist und sehr viel Diskussionen stattgefunden haben, wie man in den Geisteswissenschaften auch zeigen kann, wie gut man ist und wie man sich weiterentwickeln kann. "

    So plant beispielsweise die Universität Bayreuth eine Doktorandenschule für Afrika-Studien. Und die Humboldt-Universität in Berlin hat eine Graduiertenschule zur Geschichte und Theorie des Wissens beantragt. Rund 20 geistes- und sozialwissenschaftliche Projekt-Entwürfe liegen derzeit bei der DFG auf dem Tisch. Zu ihnen gehört auch ein Antrag der Universität Bonn, die in Kooperation mit den Unis in Aachen und Köln ein medienwissenschaftliches Netzwerk mit starkem Praxisbezug etablieren möchte. Jürgen Fohrmann ist Dekan der Philosophischen Fakultät an der Uni Bonn.

    " Zum Beispiel werden wir jetzt in dem Exzellenzantrag, Media Material Conditions and Practical Culture heißt das ganze, eine sehr intensive Kooperation mit sehr vielen Medienanstalten versuchen, um auch den Berufseinsteigern ein mögliches Plateau zu bieten, Kontakte zu machen, und damit auch schon Berufsweichenstellungen zu leisten. Gleichzeitig wollen wir aber auch versuchen, das Know-how dieser Medienanstalten und anderer öffentlicher Einrichtungen zu nutzen für unsere eigene Forschung, das heißt, es geht um eine enge Verzahnung zwischen Praxisbereich auf der einen Seite und andererseits auch Wissenschaft. "

    Doch solche interdisziplinären Netzwerke in den Geisteswissenschaften, sagt Jürgen Fohrmann, würden bei der Förderung durch die DFG gegenüber naturwissenschaftlichen Anträgen häufig benachteiligt.

    " Das liegt daran, dass die Arbeitsformen unterschiedliche sind. Wenn wir in einem großen Stil auf koordinierte Forschung setzen und diese koordinierte Forschung ergibt sich aus der Logik der Arbeitszusammenhänge, also ein Chemiker wird gerne mit einem Biologen zusammen arbeiten, wenn es um biochemische Prozesse geht. So ist das bei den Geisteswissenschaften natürlich auch der Fall, aber normalerweise nicht in dem in den Naturwissenschaften gegebenen Maße. Das heißt, in den Geisteswissenschaften gibt es nach wie vor eine Komplexität, die durch einen einzelnen Forscher erzeugt wird. "

    Hinzu komme, dass Geisteswissenschaftler in den Entscheidungsgremien der DFG und anderen Förderorganisationen chronisch unterrepräsentiert seien.

    " Das heißt, wir haben im Grunde Kolleginnen und Kollegen, die eine ganze Bandbreite von Geisteswissenschaften vertreten, während die Ingenieurswissenschaften und Naturwissenschaften sehr breit ausdifferenziert sind und auch so dargestellt werden durch Personen, die sie vertreten. Das heißt im Klartext: Wir haben manchmal Zahlenverhältnisse von 20 Naturwissenschaftlern und fünf Geisteswissenschaftlern und wenn es um die Enge von Mitteln geht, dann ist es oft so, dass natürlichen die einfachen Abstimmungsverhältnisse nicht zugunsten der Geisteswissenschaftler laufen. "

    Eine Kritik, die man bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft so nicht gelten lassen will. Manfred Nießen, Leiter der DFG-Gruppe für Geistes- und Sozialwissenschaften:

    " Mir ist aus den letzten Jahren kein einziges Vorhaben in den Geisteswissenschaften bekannt, bei dem die Peers, die geisteswissenschaftlichen Gutachter, die das aus der Sache her beurteilen, gesagt haben, dieses Vorhaben ist so gut, dass muss gefördert werden und dass es dann aus Finanzgründen nicht gefördert worden wäre. Alles das, von dem die geisteswissenschaftlichen Gutachter meinen, das ist erstklassig und das bedarf der Förderung, wurde gefördert. "

    In den vergangenen Jahren ging fast jeder siebte Euro der DFG in die Geistes- und Sozialwissenschaften. Optimistisch betrachtet ist das eine stabile Förderquote. Man kann darauf aber auch mit Skepsis blicken und wohl zurecht vermuten, dass die Chancen für die Geisteswissenschaften in den nächsten Jahren nicht unbedingt besser werden.