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Mehr oder weniger Vorrat

Gebannt blicken Datenschützer, Bürgerrechtler und Sicherheitspolitiker nach Luxemburg. Da verkündet am Dienstag der Europäische Gerichtshof sein Urteil über die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die irische Regierung hat geklagt – weil ihr die Verordnung nicht weit genug geht.

07.02.2009
    Wenn am Dienstagvormittag die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg zusammenkommt, hätte Edward McGarr gerne an der Seite der irischen Regierung als Kläger Platz genommen. Der Anwalt aus Dublin und Sprecher der Initiative ‚Digital Rights Ireland’ hatte gemeinsam mit seiner Regierung gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung klagen wollen.

    "Uns war sehr daran gelegen, selbst als klagende Partei vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Nun ja, leider haben wir es wegen des aufwändigen Verfahrens zeitlich nicht bewerkstelligen können."

    Es wäre eine bizarres Gespann geworden: Edward McGarr von der Bürgerrechtsorganisation ‚Digital Rights Ireland’ Seit an Seit mit der irischen Regierung. Denn die wurde ihrerseits in Sachen Vorratsdatenspeicherung angeklagt – und zwar von ‚Digital Rights Ireland’. In dem Verfahren vor Irlands Oberstem Gerichtshof fechten die Bürgerrechtler die irische Regelung zur Speicherung von Telefondaten an. Zugleich unterstützt die Datenschutz-Initiative die irische Regierung in ihrer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Dafür hat Edward McGarr dennoch gute Gründe – nur sind es eben ganz andere als die der Regierung:

    "Die irische Regierung stimmte im EU-Ministerrat gegen die Vorratsdatenspeicherung, weil ihr die Speicherfrist nicht lang genug war. Wir dagegen betrachten die Vorratsdatenspeicherung an sich als illegal. Wir stehen uns also diametral gegenüber."

    Doch der Verwirrung nicht genug: bei der Klage Irlands beim Europäischen Gerichtshof geht es nicht um den Inhalt sondern um das formale Zustandekommen der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die 2006 vom EU-Ministerrat beschlossene Richtlinie verlangt von den Mitgliedsstaaten, Verbindungsdaten der Telekommunikation mindestens sechs Monate lang für polizeiliche Zwecke zu speichern. Das ist der irischen Regierung zu kurz - Dublin fordert eine noch schärfere Regelung. So sieht die jüngste irische Verordnung eine verdachtsunabhängige Speicherung gar für drei Jahre vor.

    Allerdings wünscht sich Irland dafür eine solide europäische Rechtsbasis, nämlich einen Rahmenbeschluss zur Kriminalitätsbekämpfung. Das jedoch setzt Einstimmigkeit voraus, die bislang politisch nicht zu erzielen war. Also goss der Ministerrat die Vorratsdatenspeicherung in die Form einer Richtlinie zur Harmonisierung des Binnenmarkts. Dafür reichte eine einfache Mehrheit. Gegen dieses Verfahren klagte Irland beim Europäischen Gerichtshof. Mit Spannung erwartet wird das höchstrichterliche Urteil nicht nur in Dublin sondern europaweit auch bei Kritikern der Vorratsdatenspeicherung. Ralf Bendrath ist Sprecher des hiesigen Bündnisses "Arbeitskreis Vorrat":

    "Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, die Richtlinie ist von vorneherein nicht rechtmäßig, dann gibt es keine Pflicht für die Mitgliedstaaten der EU, die Vorratsdatenspeicherung überhaupt einzuführen. Das heißt, sie können sich immer noch auf nationaler Ebene überlegen, wir machen das. Aber es zwingt sie niemand mehr. Also diese Ausrede auch von Brigitte Zypries, die EU zwingt uns ja, wir waren eigentlich dagegen, und wir haben das auf die minimalen Speicherfristen herunter gehandelt, das zieht dann einfach nicht mehr."

    Wie vor Irlands Oberstem Gerichtshof ist auch beim Bundesverfassungsgericht gegen die nationale Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ein Verfahren anhängig. Nicht weniger als 34.000 Bundesbürger haben geklagt. Sollte Luxemburg am Dienstag die EU-Richtlinie kippen, wäre das Verfahren in Karlsruhe jedoch nicht hinfällig. Das deutsche Umsetzungsgesetz bliebe erst einmal bestehen.

    "Dann hätten wir im Laufe des Jahres eventuell das Problem, das Bundesverfassungsgericht sagt, das bundesdeutsche Gesetz ist eigentlich rechtswidrig, verstößt gegen das Gesetz zur informationellen Selbstbestimmung, gleichzeitig gibt’s aber eine EU-Richtlinie, die von Deutschland verlangt, dieses Gesetz einzuführen. Das wird spannend. Also da reiben sich schon einige Verfassungsrechtler die Hände und bereiten ihre Veröffentlichungen vor."

    Allzu unwahrscheinlich ist dieser Fall nicht. Denn bereits im Oktober hatte Yves Bot, der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, empfohlen, der Klage Irlands nicht statt zu geben. In den meisten Fällen folgt der Europäische Gerichtshof den Empfehlungen des unabhängigen Generalanwalts. Edward McGarr von ‚Digital Rights Ireland’ wird sich so oder so weiter gegen die Datenschutzpolitik seiner Regierung engagieren. Nicht ohne Neid blickt er dabei nach Deutschland, wo jüngst in Berlin – nach Angaben der Veranstalter – 50.000 Menschen gegen die Sammelwut der Regierung demonstrierten. Undenkbar in Irland, meint Edward McGarr:

    "Wenn man bei uns mal demonstriert, dann geht es höchstwahrscheinlich um Schafe und Rinder."