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Mehr Studienanfänger als gedacht

Der Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie, Dieter Dohmen, hat die vom Statistischen Bundesamt ausgerechnete Steigerung bei der Zahl der Studienanfänger relativiert. Der Anstieg sei auf "massive Anstiege bei den Studienberechtigtenzahlen" zurückzuführen. Und die wiederum seien durch die Umstellung einiger Bundesländer auf das G8 genannte verkürzte Abitur erklärbar, so Dohmen.

Dieter Dohmen im Gespräch mit Jörg Biesler | 01.12.2008
    Jörg Biesler: Das Statistische Bundesamt hat heute die Zahlen der Studienanfänger veröffentlicht, und die sind erheblich gestiegen. Mehr als zwei Millionen Menschen studieren derzeit in Deutschland, mit Beginn des Wintersemesters haben 385.000 ein Studium aufgenommen und das trotz Studiengebühren und Unterfinanzierung der Hochschulen. Am Telefon ist jetzt Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Guten Tag, Herr Dohmen!

    Dieter Dohmen: Guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Die Hochschulen und auch die Wissenschaftsministerien der Länder veröffentlichen zurzeit eine Erfolgsmeldung nach der anderen. Wie erklären Sie sich die plötzliche Steigerung? Seit 2005 ging es ja eigentlich stetig bergab.

    Dohmen: Nun, die Steigerung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass wir in den letzten Jahren massive Anstiege bei den Studienberechtigtenzahlen haben, alleine zwischen 2005 und 2008 ist die Zahl der Studienberechtigten um 50.000 gestiegen, während die Zahl der Studienanfänger in den vergangenen Jahren nur marginal sich positiv entwickelt hat. Insofern gehe ich davon aus, dass ein erheblicher Anteil des Anstiegs jetzt auch verzögerte Anstiege aufgrund gestiegener Studienberechtigtenzahlen sind.

    Biesler: Um es noch mal ganz klar zu machen: Es gibt mehr Menschen, die heute ein Abitur oder eine Fachhochschulreife haben als in den vergangenen Jahren. Das heißt, es gibt auch mehr Menschen insgesamt, die die Schulen verlassen, weil die Jahrgänge, die im Augenblick die Schulen verlassen, besonders stark sind. Das heißt, es sind einfach auch mehr Menschen da, die studieren können, die die Berechtigung dazu haben, es schiebt sich sozusagen ein demographischer Faktor da hindurch.

    Dohmen: Es schieben sich einerseits demographische Veränderungen hindurch, die Jahrgänge, die jetzt aus den Gymnasien kommen sind einfach stärker, und es kommt so langsam aber sicher auch hinzu, dass die Bundesländer vom neunjährigen auf das achtjährige Gymnasium umsteigen. Auch wenn das bisher nur Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind, steigen dadurch die Studienberechtigtenzahlen und in den anderen Bundesländern sind das einfach demographische Effekte. Insofern: Ja, es sind mehr Studienberechtigte, und insofern ist es auch trivial, dass die Zahl der Studienanfänger steigt.

    Biesler: Ja, in Sachsen-Anhalt war es, glaube ich, im letzten Jahr der Fall, im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern ist es in diesem Jahr der Fall, und tatsächlich kann man ja auch sehen, dass im Saarland mit einem Plus von 15 Prozent bei den Studienanfängern die Erstsemesterzahl auch überproportional sozusagen steigt.

    Dohmen: Das ist richtig, und wenn Sie sich die Zahlen noch ein bisschen weiter angucken, dann können Sie sehen, dass das auch die Länder sind, die Nachbarländer von den Ländern sind, die doppelte Abiturjahrgänge hatten. Nehmen wir Hessen, auch dort haben wir sehr starke Anstiege, Hessen liegt neben Sachsen-Anhalt und dürfte zu einem erheblichen Teil davon profitieren. Das Gleiche gilt für Brandenburg, ist Nachbarland zu Sachsen-Anhalt und zu Mecklenburg-Vorpommern. Hier spricht also einiges dafür, dass die beiden Länder davon profitiert haben, dass es einfach im Nachbarland mehr Abiturienten gab.

    Biesler: Nun hat sich ja aber nicht nur die absolute Zahl der Studienanfänger erhöht, es hat sich auch der Anteil der Studienanfänger sozusagen innerhalb ihres Jahrgangs erhöht. 40 Prozent sind politisch angestrebt, 40 Prozent eines Jahrgangs an die Hochschulen zu bekommen, 39,3 Prozent sind im Augenblick erreicht, 39,9 Prozent sogar bei den Frauen, das heißt: Das politische Ziel der 40-Prozent-Hürde ist ganz in greifbare Nähe gerückt.

    Dohmen: Das ist richtig. Auf der anderen Seite muss man auch hier sehen, dass der Anstieg der Studienberechtigtenquoten deutlich höher ist als die Anzahl der Studienanfängerquoten, und insofern ist auch das statistisch in Teilen demographisch bedingt beziehungsweise durch verändertes Bildungsverhalten, sprich: Wenn mehr junge Menschen eines Altersjahrgangs das Abitur erwerben, ist es im Prinzip trivial, dass auch ein höherer Anteil von diesen an den Hochschulen sich wiederfindet und damit die Quote erreichbar ist. Eigentlich müssten wir für die kommenden Jahre 45 oder 50 Prozent Studienanfängerquoten anstreben, allein schon aufgrund der Tatsache, dass in den kommenden drei Jahren noch mal 50.000 junge Menschen pro Jahr in Teilen aus den Gymnasien strömen und dann an die Hochschulen wollen. Insofern ist das Ziel 40 Prozent schön, wichtig, aber meines Erachtens bei Weitem nicht ausreichend.

    Biesler: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind wir aber eigentlich auch noch gar nicht, wenn man die Zahlen berichtigen würde, bei 39,3 Prozent, denn wenn man aus dem Saarland und aus Mecklenburg-Vorpommern die doppelten Abiturjahrgänge herausrechnen würde - wenn ich zwei Abiturjahrgänge habe, habe ich natürlich auch anteilig in dem Jahrgang, der jetzt die Schulen verlässt, mehr Abiturienten als das normalerweise der Fall ist -, dann würde man also auch da um ein paar Prozent zumindest darunterliegen.

    Dohmen: Richtig, und insofern ist es ... Wir können jetzt über das ein oder andere Prozent ab 38,5 oder 39,3 ... ich denke, das ist jetzt nicht das Zentrale, sondern das Zentrale ist, dass wir das deutsche Hochschulsystem weiter ausbauen müssen, um die einmalige Chance, die wir im Moment haben - nämlich viele junge Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung auch an die Hochschulen zu bringen -, das muss die zentrale Aufgabe sein. Wenn wir das nämlich nicht schaffen, heißt es zweierlei: Entweder müssen diejenigen sich zum Teil auf einen Berufsausbildungsplatz bewerben und verdrängen damit andere, durchaus leistungsfähige Bewerber, oder sie vollbringen irgendwelche Warteschleifen, bis sie einen Studienplatz kriegen, und das ist vertane Zeit. Wenn wir also positiv verkürzte Schulzeiten haben bis zum Abitur, und wenn dann die jungen Menschen das eine Jahr, das sie gewonnen haben, dadurch verlieren, dass sie keinen Studienplatz kriegen, dann ist es kontraproduktiv. Insofern müssen wir deutlich ausbauen und mehr Geld bereitstellen als das, was die Kultusminister beziehungsweise der Bildungsgipfel vor einigen Monaten beschlossen hat.

    Biesler: Dieter Dohmen war das, Leiter des Forschungsinstituts für Bildung- und Sozialökonomie, zu den heute veröffentlichten Zahlen der Studienanfänger vom Statistischen Bundesamt. Vielen Dank!