Donnerstag, 18. April 2024

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"Mehr war als Kompromiss nicht zu erreichen"

Die CSU begrüßt die Verschärfung des Versammlungsrechts. Das Gesetz gehe in die richtige Richtung, um an Gedenkorten Veranstaltungen von Nazis zu verbieten, sagte Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Deshalb werde die Union zustimmen. Beckstein bedauerte allerdings, dass die Verharmlosung nationalsozialistischer Gewaltherrschaft nicht unter Strafe gestellt werde.

Moderation: Doris Simon | 09.03.2005
    Doris Simon: Es gibt Städte, die haben einfach Glück gehabt, und die machen damit Werbung. Bonn ist stolz auf den Geburtsbonner Ludwig van Beethoven, Wittenberg hat seinen Martin Luther, in Ingolfstadt lebte die Schriftstellerin Marie Luise Kaschnitz. Wunsiedel in Oberfranken dagegen hat in diesem Zusammenhang eindeutig Pech. Dort ist zwar der Dichter Jean Paul geboren, aber das geht unter, wenn sich Jahr für Jahr Neonazis aus ganz Deutschland in Wunsiedel treffen, denn dort liegt Rudolf Hess begraben, und die Neonazis verehren diesen Nazi der ersten Stunde, der Stellvertreter von Adolf Hitler war. Die Stadt sah in den letzten Jahren keine Möglichkeit, den Aufmarsch zu verhindern. Am Telefon ist nun Günther Beckstein, der bayrischer Innenminister. Herr Beckstein, die Union hat sich mit der Koalition gestern auf Verschärfung geeinigt im Versammlungs- und Strafrecht. Wird es mit den neuen Vorschriften jetzt möglich sein, Neonazitreffen, wie zum Beispiel in Wunsiedel oder auf dem Soldatenfriedhof in Halbe zu verhindern?

    Günther Beckstein: Ich denke, ja. Natürlich muss man sagen, dass in diesen Fällen die Gerichte das letzte Wort haben, aber das Versammlungsrecht, wie es jetzt vereinbart wird, wird deutlich verschärft. Die Billigung von Naziherrschaft, die Rechtfertigung wird verboten. Es wird eine Verbotsmöglichkeit für Veranstaltungen vorgenommen, wo solche Nazigrößen bestätigt werden und damit sozusagen unkritisch der Nationalsozialismus auch verherrlicht wird. Das ist nun ganz eindeutig in Wunsiedel der Fall. Deswegen können diese Veranstaltungen in Zukunft verboten werden. Das ist aber auch dringend notwendig in einem kleinen Ort, wo Tausende von Neonazis aus ganz Europa gekommen sind und den ganzen Ort in Angst und Schrecken versetzt haben. Das ist unbedingt notwendig gewesen, damit eine große Mehrheit nicht von einer kleinen Minderheit terrorisiert wird, und deswegen bin ich froh, dass es zu dieser Verschärfung des Versammlungsrechtes kommt.

    Simon: Welche der neuen Vorschriften finden Sie besonders nötig und nützlich?

    Beckstein: Also ich denke, dass gerade die Vorschrift besonders wichtig ist, dass ein neuer Absatz 4 im Paragraph 130 Strafgesetzbuch eingeführt wird. Im Absatz 3 ist die Verharmlosung des Holocausts und die Relativierung sozusagen des Mordes an den Juden unter Strafe gestellt, und jetzt kommt ein Absatz 4, dass es verboten ist, den Nationalsozialismus zu verherrlichen, zu rechtfertigen und zu billigen. Das ist nun eindeutig der Fall, wenn der Stellvertreter Hitlers, der mitverantwortlich ist für die Rassengesetze, für die Konzentrationslager, wenn sozusagen zu dessen ernsten Gedenken eine Demonstration stattfindet. Das ist die Überschreitung dessen, was man bei aller weiten Ausdehnung des Versammlungsrechtes akzeptieren muss. Hier kann verfassungsrechtlich eindeutig das Versammlungsrecht beschränkt werden, und hier kann auch das Strafrecht verschärft werden.

    Simon: Was ist denn mit dem Aufmarsch der NPD am 8. Mai durch die Berliner Innenstadt und das Brandenburger Tor, wie geplant? Kann der jetzt verboten werden?

    Beckstein: Es ist eine weitere Vorschrift vorgesehen, dass an solchen Orten, die dem Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus dienen und eine große überregionale Bedeutung haben, Demonstrationen von Neonazis verboten werden können. Genannt ist im Bundesgesetz das Holocaustmahnmal, aber auch die Länder können durch eigene Gesetze solche Orte darlegen, also beispielsweise wird es die KZ-Gedenkstätte in Dachau werden oder in Mauthausen. Solche Orte können für Veranstaltungen von Neonazis verboten werden, weil es hier in der Tat eine unerträgliche Provokation wäre, an den Gedenkstätten für die Opfer des Holocausts dann Neonazis demonstrieren zu sehen. Es ist auch gut, dass die einzelnen Orte außer dem Holocaustmahnmal in Berlin von den Ländern festgelegt werden. In Berlin kann nun am 8. Mai sicher in der Umgebung des Holocaustmahnmals die Demonstration der NPD verboten werden. Allerdings hat Rot-Grün abgelehnt, das Brandenburger Tor mit in die Bannmeile um den Reichstag einzubeziehen, so dass es zweifelhaft ist, ob aus diesem Grund am 8. Mai die NPD-Demonstration durch das Brandenburger Tor verboten werden kann. Am Holocaustmahnmal kann sie jedenfalls verboten werden.

    Simon: Könnte das Land Berlin denn nicht entscheiden, dass das Brandenburger Tor einer dieser Orte, an denen nicht demonstriert werden darf?

    Beckstein: Das ist wohl sehr schwerlich nur möglich, denn das Brandenburger Tor ist sicherlich kein Symbol zum Gedenken an die Opfer der Nazis. Der Berliner Innensenat hat allerdings schon angekündigt, dass aus anderen Gründen, nämlich technisch, weil dort eine Baustelle ist, am 8. Mai überhaupt nicht demonstriert werden kann. Aber bezüglich des Brandenburger Tors scheint mir die Regelung, die jetzt als Kompromiss vorliegt, nicht besonders geeignet, generell Demonstrationen, erst recht Demonstrationen der NPD zu verhindern.

    Simon: Was hätten Sie über diesen Kritikpunkt hinaus noch weiter gerne vereinbart?

    Beckstein: Ich hätte den Paragraphen 130 Absatz 4 etwas weiter gerne gefasst, dass nämlich nicht nur die Billigung von nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, sondern auch die Verharmlosung unter Strafe gestellt wird und entsprechende Veranstaltungen verboten werden können. Dann hätten wir sozusagen eine niet- und nagelfeste Regelung gehabt, um derartige Veranstaltungen zu verbieten. Die Billigung, das wird unter Umständen relativ leichte Ausweichmöglichkeiten bieten, wenn eine formale Distanzierung erfolgt. Aber Rot-Grün war dazu nicht zu bewegen. Das war allerdings in den ersten Vorschlägen von Schily und Zypries ausdrücklich enthalten, und eine Arbeitsgruppe der Innenminister der Länder hatte das auch vorgesehen. Das wäre ein besserer Weg gewesen. Es hätte größere Sicherheit gegeben. Es wäre eine darüber hinaus gehende Verschärfung gewesen als die, die jetzt vorgenommen worden ist. Aber wir müssen sehen, es ist immerhin eine wesentliche Verschärfung des Versammlungsrechts. Der Kompromiss geht in die richtige Richtung. Mehr war als Kompromiss nicht zu erreichen. Wir haben im Bundestag keine Mehrheit, und deswegen stimmen wir zu. Besser das als nichts.

    Simon: Vielen Dank für das Gespräch.