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Mein Klassiker - Fabian Hinrichs
Die Einsamkeit des Landstreichers

Schauspieler Fabian Hinrichs sieht sich selbst nicht als ausgewiesenen Kunstkenner. Trotzdem hat ihn vor sieben Jahren ein Bild des "Höllenmalers" Hieronymus Bosch so beeindruckt, dass er diese Begegnung in einem holländischen Museum nicht vergessen kann.

Von Eric Leimann | 09.08.2017
    Der Schauspieler Fabian Hinrichs schaut in die Kamera
    Der Schauspieler Fabian Hinrichs (imago stock&people/Andre Poling)
    Mein Name ist Fabian Hinrichs, ich bin Schauspieler, manchmal auch Regisseur und mittelmäßiger Autor - und mein Klassiker ist "Der Landstreicher" von Hieronymus Bosch.
    Also ich spiele ja manchmal auch Theater und wir hatten Gastspiel - und da war ich in Rotterdam. Übrigens auch mit einem Stück, wo ich nur alleine auftrete und dann geht man dann in Museen und so und vertreibt sich die Zeit. Viele Bilder von Bosch sind ja riesig. Einige nennen das ja auch immer scherzhaft Wimmelbilder des Horrors. Da hingen auch einige riesige Bilder und einem Raum war ein kleineres Bild, vielleicht 30 mal 30, ganz hinten an der Wand. Und ich fühlte mich wie magisch von diesem Bild angezogen. Ich kannte es nicht und bin darauf zugegangen und das hat mich nicht mehr losgelassen, dieses Bild.
    Man sieht diesen Landstreicher, den Vagabunden. Man weiß es nicht genau: Geht er vor, geht er zurück? Der Körper ist vorwärts gebeugt, er ist in Schrittstellung, aber er wendet sich zurück. Der Blick wendet sich zu einem Haus, es ist ein Bordell, das Dach hat Löcher, rechts neben dem Haus pinkelt einer in die Ecke, bevor er zur Hure geht, die schon aus dem Fenster schaut. Die Landschaft hinter ihm, wahrscheinlich eine Dünen-Landschaft, ist so silbrig, die verschwimmt geradezu. Das ist für mich auch ein Ausdruck, naja nicht vom Nirwana, aber vom wie es bei Hamlet heißt, also, das Land, von des Bezirk kein Wanderer wiederkehrt.
    Die Einsamkeit, die aus diesem Bild spricht
    Die Einsamkeit, die aus diesem Bild spricht: Die unglaubliche Einsamkeit und das Nicht-dazu-Gehören. Das vielleicht auch Nicht-Wissen-wohin - das hat mich tief berührt. Ja, also, ohne zu intim zu werden, hatte ich eine, sagen wir, schwierige Kindheit und ich denke schon, dass das natürlich mit meiner Herkunft, mit meiner Biografie zusammenhängt. Ich kenne auch nicht die Einsamkeit von Bosch oder die Einsamkeit des Wanderers auf dem Bild, aber sie klopft eben an meine Einsamkeit.
    Es gibt auch Gemeinschaft in der Familie, also ich hab das Glück, eine sehr glückliche Familie zu haben, ich bin verheiratet, habe Kinder und bin sehr glücklich. Und dennoch hat man als Mensch eine Einsamkeit, die dann mehr oder minder ausgeprägt ist. Ich glaube, fern von meiner Empfindung diesem Bild gegenüber, ist es auch ein modernes Bild. Oder sagen wir so: Es spricht Menschen der Moderne an. Ganz konkret gesprochen: Die Arbeitsverhältnisse, in denen viele Menschen leben müssen heutzutage, mit ständiger Flexibilität, einer ständigen Unvorhersehbarkeit, einem Ausgeliefertsein, dem Markt gegenüber. 20-Jährige denken nur daran, wie sie schnell ihre Credit Points machen können, wie sie möglichst viele Sprachen lernen können, wo sie hinziehen können - diese vermeintliche Orientierung, aber eigentlich Orientierungslosigkeit und diese Zerrissenheit und im Wortsinne Verwahrlosung, das finde ich unglaublich modern an diesem Bild. Man merkt auch, der Wanderer ist nicht im Moment, er blickt zurück und er geht nach vorne, er hat zwei verschiedene Schuhe, er hat einen Hut, er hat eine Kapuze - nichts passt wirklich zusammen. Eine diffuse Bewegung nach vorne und eine diffuse Bewegung nach hinten, und das empfinde ich als sehr modern an dem Bild.