Freitag, 29. März 2024

Archiv


Mein Mann ist Moslem

Anthony McCarten, 47 Jahre alt, ist Schriftsteller, Theater- und Drehbuchautor und Regisseur aus Neuseeland, wohnhaft in Großbritannien. Wenn Ihnen der Name nichts sagt: Vielleicht kennen Sie den Film "Ganz oder gar nicht" über vier Verlierer ohne Job und Hoffnung, die heimlich eine Männerstripgruppe gründen.

Von Antje Deistler | 22.08.2008
    Dieser grandiose britische Kinospaß beruht auf McCartens Theaterstück "Ladies' Night", das er zusammen mit einem Freund im Alter von 25 Jahren schrieb. Das Lexikon des Internationalen Films nennt den Film "eine warmherzige, nuancenreiche Komödie voller Witz, Humor und leisen sozialkritischen Tönen, die mit bewundernswertem Respekt und großer Sympathie ihre Figuren nie für derbe Scherze missbraucht, sondern ihr komisches Potential aus der aufmerksamen Beobachtung von Widersprüchen schöpft". Das ist eine sehr wahre Beobachtung, und sie gilt auch für McCartens Bücher. Der aktuelle Roman heißt "Englischer Harem". Antje Deistler hat mit Anthony McCarten gesprochen.

    "Es war nur ein kleiner Zeitungsartikel über ein englisches Mädchen, das einen Iraner heiratete, der schon zwei Frauen hatte. Das war alles, aber ich fing an mir vorzustellen, wie sie das wohl ihren Eltern begreiflich gemacht hat: Mama, Papa, ich habe einen wunderbaren Mann kennengelernt. Er ist ein bisschen älter als ich - um genau zu sein: Er ist so alt wie Du, Papa. Und er ist Moslem. Ach, und habe ich es erwähnt? Er hat schon zwei Frauen, ich werde seine dritte. Aber eine vierte kommt nicht in Frage. Nachdem ich mir diese Szene ausgemalt hatte, fielen mir noch ganz andere ein, und das Schreiben ging dann ziemlich reibungslos."

    So ist das oft bei Anthony McCarten: Eine Zeitungsmeldung oder eine kleine Geschichte, von der er zufällig hört, setzt seine Kreativität in Gang, es entsteht ein Buch - und meistens auch gleich ein Film, oder, wie im Fall von "Englischer Harem", eine TV-Serie. Eine sehr erfolgreiche. Dabei hatte die Liebesgeschichte zwischen der jungen, verträumten Tracy und dem älteren persischen Restaurantbesitzer Saaman eigentlich keinen guten Start in England.

    "Ich habe dieses Buch nach meiner Recherche über den Koran mit gutem Gewissen geschrieben. Als in London gerade Busse zerbombt wurden, wurden die Leute allerdings wütend. Man lebte mit der aktuellen Bedrohung, dass man im nächsten Zug, den man erwischt, sterben könnte. Mein Buch, das sehr viel ruhiger mit Geschichte und verschiedenen Religionen umgeht, war nicht gerade das, was manche Leute lesen wollten. Es gab harte Kritik nach dem Motto: Komm schon, der Islam ist eine echte Bedrohung! Aber diese übertriebenen, negativen Reaktionen dauerten nicht an. "

    Was man dem Neuseeländer McCarten in Großbritannien vereinzelt vorwarf, war eine angeblich zu positive Sicht des Korans und des moslemischen Glaubens. In "Englischer Harem" gibt es zwar sittenstrenge, aber keine extremistischen Moslems. Und das Buch erzählt von sexuell eher freizügigen moslemischen Riten, die viele westliche Leser überraschen werden.

    "Ich habe tatsächlich die Anfänge des moslemischen Glaubens sehr positiv beschrieben, Mohammed war sehr fortschrittlich. Er hat versucht, die Situation seines Volkes zu verbessern und auch die der Frauen. Ich habe schon Probleme mit der Interpretation des Koran, wie Extremisten sie durchführen. Aber das geht allen Büchern, allen großen Denkern und Propheten so: Die Probleme gibt es nicht mit ihnen, sondern mit denen, die ihnen folgen. Ihre Texte, die im Kern gut sind, werden falsch interpretiert und missbraucht. "

    Der Roman "Englischer Harem" handelt vom Zusammenprall der Kulturen. Mit dem gebotenen Ernst, aber auch mit viel Sinn für Skurrilität und Situationskomik. Das ist Familienroman, Liebesgeschichte und subversive Gesellschaftssatire zugleich. Denn die Aussicht auf eine Ehe zwischen einer Britin und einem Perser, der schon zwei Frauen hat, lässt alle durchdrehen: Tracys Eltern fürchten das Allerschlimmste. Ihre Tochter könnte ja zum Islam übertreten! Die persischen Schwiegereltern fürchten um den Ruf des Sohnes in der Heimat. Tracys Freunde sehen sie als Haremsdame, die Behörden sehen die öffentliche Ordnung gefährdet, und ihr rassistischer Exfreund sieht rot. Dabei ist eigentlich alles ganz anders, als es zunächst scheint, und vor allem, als die schmutzige Phantasie der anständigen britischen Bürger es sich ausmalt. Anthony McCarten:

    "Der Harem ist nicht das, wonach es von außen aussieht. Es geht in diesem Roman um Klischees und Stereotypen, die gebrochen werden. Ein Klischee ist der Harem als Sündenpfuhl, ein Ort der Lust und der Leidenschaften. Historisch war er eine soziale, praktische Einrichtung, um beispielsweise Kriegswitwen zu versorgen, mit Lust hatte das nichts zu tun, und darum geht es. "

    Dass die Konstellation - ein Mann und drei Frauen - eine Buch gewordene Männerphantasie sei, auch diesen Vorwurf hat McCarten sich anhören müssen. Der 48-Jährige wehrt sich mit den schärfsten ihm zur Verfügung stehenden Waffen: Witz und Ironie.

    "Das könnte man denken, aber ich weiß nicht so genau, ob es wirklich ein Männertraum ist, wenn man für drei Frauen sorgen muss. Für mich persönlich ist eine Frau ungefähr das Doppelte von dem, was ich bewältigen kann. Drei auf einmal - ich will nicht Folter sagen, aber man müsste schon sehr gleichmütig und freigiebig sein, und das bin ich nicht gerade."
    Zur Zeit arbeitet McCarten wieder als Drehbuchautor und Regisseur. Sein Buch "Superhero", bei uns im vergangenen Jahr herausgekommen und in diesem Jahr für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, wird verfilmt. Es geht um einen vierzehnjährigen, krebskranken Jungen, der unbedingt mit einer Frau schlafen möchte, bevor er stirbt. Ein typischer McCarten-Stoff: Herzzerreißend und komisch zugleich. Bald wird ein neuer Roman von ihm bei Diogenes erscheinen. Und wieder schlägt Multitalent Anthony McCarten zwei Fliegen mit einer Klappe:

    "Nicht nur das Buch ist fertig, sondern auch der Film. Ich habe gerade die Regiearbeit beendet. Es geht um einen Dauerwettbewerb. Es geht um ein Gruppe von Leuten, die ein Auto gewinnen wollen. Also nehmen sie an diesem Wettbewerb teil, der recht einfach ist: Man muss nur seine Hand auf das Auto legen - und sie länger als alle anderen drauf lassen. Man darf nicht schlafen und sich nicht setzen. Man bekommt zu essen, aber nur alle zwei Stunden eine Pause von fünf Minuten. Das geht so tagelang, und die Leute kriegen Halluzinationen, fallen um, kollabieren, und dann kommt der Rettungswagen und holt einen nach dem anderen. Film und Buch gleichzeitig, das ist ziemlich seltsam, aber ich bekam sofort die Möglichkeit, einen Film daraus zu machen, also habe ich es einfach getan."

    Anthony McCarten: Englischer Harem. Aus dem Englischen von
    Manfred Allie und Gabriele Kempf-Allie. Roman. Diogenes Verlag,
    592 S., 21,90 Euro