Donnerstag, 25. April 2024

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"Mein Rat: Die Attacken sind heftig, aber sich nicht irritieren lassen"

Die frühere Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth befürwortet einen Ausbau der frühkindlichen Betreuung. Es sei begrüßenswert, dass die heute verantwortliche Ministerin von der Leyen mehr Krippenplätze schaffen wolle, sagte die CDU-Politikerin. Die innerparteilichen Vorwürfe gegen die Parteikollegin seien ihr sehr vertraut.

Moderation: Jürgen Zurheide | 17.02.2007
    Zurheide: In der Union gibt es Debatten über die Frauenpolitik. Wieder einmal, könnte man sagen. Da prallen ganz unterschiedliche Frauen-, ja Familienbilder aufeinander. Im Jahre 2007 erstaunt das den einen oder anderen auch innerhalb der Union. Darüber wollen wir reden jetzt mit Rita Süssmuth, der ersten Familienministerin der Union in den achtziger Jahren, die ich am Telefon begrüße. Frau Süssmuth, zunächst einmal, kommt Ihnen das eigentlich bekannt vor, was der eine oder andere überwiegend männliche Kollege da gerade Ihrer Nachnachfolgerin, so könnte man es sagen, Ursula von der Leyen, zuruft?

    Süssmuth: Sehr vertraut und sehr bekannt. Ich hatte allerdings gedacht, die Zeiten lägen hinter uns, weil die Realität jetzt zeigt, wo immer die Wählerinnen und Wähler und auch ihre Männer sehen, wir brauchen dringend – und das gilt seit Jahren – einen Ausbau des Angebots. Wir sind ein Stück weitergekommen im Kindergartenbereich. Aber schauen Sie sich die große Zahl der Frauen heute an, die entweder arbeiten müssen oder wollen, und da können wir nicht die Augen noch länger verschließen. Ich begrüße sehr, dass Frau von der Leyen dort im Anschluss an das Elterngeld auf den Weg zu bringen versucht, denn das Elterngeld ohne eine Lösung für die Anschlussbetreuung bleibt ein Torso.

    Zurheide: Jetzt gehen wir noch mal einen Moment zurück und fragen uns, woher denn dieser Widerstand eigentlich kommt. Also wenn man noch mal sich vergegenwärtigt, was Sie in der CDU verändert haben, ein liberaleres Abtreibungsrecht, Legalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen, das war ja auch ein hartes Stück Arbeit. Wie sind Sie damals mit den Widerständen umgegangen?

    Süssmuth: Ja, ich habe sie ja auch heftig erfahren, übrigens meine Nachfolgerin Frau Lehr auch in der frühkindlichen Betreuung. Ich bin so damit umgegangen, wie es jetzt offenbar auch der Fall ist, nicht aufgeben, seinen Standpunkt durchhalten und mit guter Überzeugung die Truppen hinter sich zu bringen. Für mich wäre es das Schönste, wenn diejenigen Mütter, die zu Hause ihre Kinder betreuen, dies können oder auch wollen, sich hinter die Initiative von Frau von der Leyen stellen und sagen, Väter und Mütter haben unterschiedliche Lebensbedingungen, auch unterschiedliche Prioritäten und Zwänge, und wir unterstützen das, denn ich muss Ihnen sagen, dass jetzt wieder die eine Frauengruppe gegen die andere ausgespielt wird, dient der Sache überhaupt nicht. Die Verhältnisse sind sehr unterschiedlich, und deswegen brauchen wir auch unterschiedliche Lösungen.

    Zurheide: Es gibt da immer noch bei dem einen oder anderen, der sich da jetzt zu Wort meldet, so die Gleichsetzung, Kinderkrippen, das ist so was ähnliches wie die Erziehung zu sozialisieren. Das ist es aus Ihrer Sicht ja nicht. Warum nicht?

    Süssmuth: Also zum einen, dann wären alle europäischen Staaten, EU-Staaten allein, die da viel weiter sind als die Bundesrepublik Deutschland, wären ja alles Gesellschaften und Staaten sozialistischer Kindererziehung. Hier geht es nicht darum, das Elternhaus abzulösen durch eine ideologisch sozialistische Erziehung und früh mit der Gehirnmassage zu beginnen, sondern es ist ergänzend. Vieles geschieht mit den Eltern, und wir haben eine große Zahl von Einkind-Familien, wo es den Kindern gut tut, gefördert zu werden. Hinzu kommt, dass wir heute wissen, wir in der Bundesrepublik beginnen ohnehin zu spät mit der Förderung, und ein Letztes: Mütter, die unzufrieden sind in der Familie, weil sie ihren Beruf genauso gern ausüben wie die Väter, die sind weitaus zufriedener, wenn sie beides miteinander vereinbaren können. Andere sind unzufrieden, wenn sie nicht zu Hause bleiben können. Also Wahlfreiheit heißt, dass ich wirklich wählen kann. Ich habe als Familienministerin immer gesagt, Wahlfreiheit steht in unserem Programm, aber wir haben gar keine Wahlmöglichkeiten.

    Zurheide: Und woher kommen diese Reflexe? Hat es überwiegend mit den Männern zu tun, die mit dem neuen Rollenverständnis immer noch Schwierigkeiten haben?

    Süssmuth: Das ist das eine, die Schwierigkeiten mit dem neuen Rollenverständnis. Aber wenn Sie die jüngsten Auseinandersetzungen sehen, hat das viel damit zu tun, dass man auf ein ganz bestimmtes Wählerpotenzial schaut und sagt, das ist das konservative Familienbild, das sind unsere Wählerinnen und Wähler, das stimmt übrigens gar nicht mehr, und deswegen geht das nicht. Man will Altes hochhalten, um sich abgrenzen zu können. Aber wenn Sie wirklich in das Wählerpotenzial, in die Wähler der CDU hineinschauen, ist das breit gestreut. Und ich habe schon zu meiner Zeit erlebt, wie wichtig dieses Anliegen ist, eine gute Kinderbetreuung und -förderung zu haben, natürlich verbunden mit Arbeitszeiten, wo die Familie dann auch noch Zeit für ihr Kind oder ihre Kinder hat.

    Zurheide: Da fällt in diesen Tagen ja auch hin und wieder das Wort von der Sozialdemokratisierung der CDU, der Union möglicherweise. Das Stichwort Kinderkrippen wird genannt, aber auch der Abgang von Friedrich Merz wird damit in Verbindung gebracht. Halten Sie solche Analysen für zutreffend?

    Süssmuth: Also ich halte sie nicht für zutreffend. Der Vorwurf der Sozialdemokratisierung mag interne Parteienargumentation sein. Ich schaue jetzt noch mal auf die Bürgerinnen und Bürger, auf das Volk. Das Volk will die Probleme gelöst haben. Und bei Friedrich Merz ist es noch mal eine andere Auseinandersetzung, ob man einen marktliberalen Kurs fährt oder inwieweit die soziale Marktwirtschaft das Benchmarking der CDU bleibt. Jeder von uns weiß, dass ich eine starke Wirtschaft brauche, wenn ich auch auf die Belange der Menschen entsprechend Rücksicht nehmen will und muss.

    Zurheide: Gibt es zum Schluss, ich will jetzt nicht nach einem Ratschlag fragen, weil da weiß man, Ratschläge können auch Schläge sein, aber dennoch vielleicht einen Hinweis an Frau von der Leyen? Ich habe irgendwo nachgelesen, dass Sie eine bestimmte Maulwurftaktik hin und wieder gehabt haben, um politische Dinge in der CDU durchzusetzen. Was verbirgt sich dahinter?

    Süssmuth: Dahinter verbirgt sich, dass man nicht alles zu einem Zeitpunkt durchsetzen kann. Aber diesen Ratschlag kann und möchte ich Frau von der Leyen nicht geben, weil dieses Programm, was sie sich jetzt vorgenommen hat, ist nicht etwas, wo man sagen kann, ich warte noch zwei Jahre. Wir beklagen den Geburtenrückgang und sagen aber, ja die Kinderbetreuung, das kann noch Jahre dauern. Es ist dringlich, und ich wünsche ihr, es ist kein Rat, sondern was ich ihr wünsche – und darum spreche ich heute Morgen auch selbst -, dass insbesondere wir Frauen, aber ich hoffe, auch ganz viele Männer, sich hinter das Programm von Frau von der Leyen stellen. Also sie ist nun am wenigsten in Gefahr, Familie nicht zu sehen. Eine Familie mit sieben Kindern weiß, was das heißt, und deswegen bin ich froh, dass sie dies tut. Mein Rat ist: Die Attacken sind heftig, aber sich nicht irritieren lassen, wenn man von einer richtigen Sache überzeugt ist.

    Zurheide: Danke für das Gespräch!