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"Meine Schwester, die Serienmörderin"
Lady Macbeth in Lagos

Wenn Ayoola einen Mann loswerden will, rammt sie ihm ein Messer in den Rücken und entsorgt das blutige Bündel in der Lagune von Lagos. Anschließend konzentriert sie sich wieder auf den Streit mit ihrer Schwester Korede. Der etwas andere Roman einer Newcomerin aus Nigeria.

Von Eberhard Falcke | 22.04.2020
Oyinkan Braithwaite: „Meine Schwester, die Serienmörderin“
Oyinkan Braithwaite: „Meine Schwester, die Serienmörderin“ (Cover Blumenbar Verlag / Autorenportrait Lumi Morgan)
Sie ist Krankenschwester in der nigerianischen Mega-Metropole Lagos. Sie ist unglücklich verliebt in einen der Ärzte, mit denen sie zusammenarbeitet. Vor allem aber hat sie eine Schwester, die allen Männern den Kopf verdreht und sich überhaupt wie ein verwöhntes Miststück aufführt. Einige ihrer Kavaliere haben das nicht überlebt. Und jetzt ist es schon wieder passiert:
"Ayoola ruft mich mit diesen Worten herbei: Korede, ich habe ihn umgebracht. Ich hatte gehofft, diese Worte nie wieder zu hören."
So beginnt der Roman "Meine Schwester, die Serienmörderin" von Oyinkan Braithwaite, in dem die Krankenschwester Korede vom komplizierten Verhältnis zu ihrer allzu schönen Schwester Ayoola erzählt. Und diese Ich-Erzählerin weiß sehr genau, wovon sie spricht. Sie versteht sich, wenn es die schwesterlicher Nothilfe verlangt, ebenso gut auf die Beseitigung von Blutspuren wie von Männerleichen. Außerdem weiß sie genau, dass die Definition des FBI für Serienmord da beginnt, wo ihre Schwester inzwischen angekommen ist: nämlich bei der Opferzahl drei.
Mehr als ein knalliger Reißer
Trotzdem charakterisiert das titelgebende Reizwort von der Serienmörderin den Roman nur zum Teil. Tatsächlich geht es um die Dynamik der internen Beziehungen in einer nigerianischen Mittelstandsfamilie, um die erotischen Reflexe von Frauen und Männern und vor allem um die Konkurrenz zweier ungleicher Schwestern:

So ist es immer gewesen. Ayoola zerbricht ein Glas, ich werde beschuldigt, weil ich ihr das Getränk gereicht habe. Ayoola fällt durch, ich werde beschuldigt, weil ich ihr keine Nachhilfe gegeben habe. Ayoola nimmt sich einen Apfel, ohne dafür zu bezahlen, ich werde beschuldigt, weil ich zugelassen habe, dass sie Hunger bekommt.
Der ursprüngliche Titel unter dem der Roman 2017 in Lagos als E-Book erschien, lautete "Thicker Than Water". Mit dieser Anspielung auf die Redewendung "Blut ist dicker als Wasser" stand die Familienthematik ganz im Vordergrund. Für die New Yorker Buchausgabe wurde dann mit dem reißerischen Titel "Meine Schwester, die Serienmörderin" der Aufmerksamkeitsturbo zugeschaltet. Mit vollem Erfolg! Doch nicht zu unrecht.
Zwei Schwestern – zwei Frauenbilder
Oyinkan Braithwaite schreibt mit Witz und Ernst zugleich, sie besitzt eine große Begabung zum sarkastischen Scharfblick. Indem sie die Kapitel des Romans kurz hält, entsteht ein schnelles Erzähltempo bei dem das Geschehen mit wenigen entschiedenen Strichen ins Bild gesetzt wird. So entsteht ein Stil von amüsanter Bissigkeit, bei dem die erzählende Heldin dennoch zugleich die richtigen Tonlagen findet, um ergreifend von den zahlreichen ihr zugefügten Kränkungen zu berichten. Denn als arbeitende Frau hat sie hat viel zu geben, nur keinen Glamour. Bei ihrer Schwester verhält es sich genau umgekehrt: ihre Arbeitsleistung beschränkt sich ganz narzisstisch auf die Produktion und das Ausspielen ihres Sex-Appeals. Da stoßen in einem Schwesternpaar zwei konträre Frauenbilder aufeinander. Kaum bekommt der attraktive Arzt Tade die verführerische Ayoola zu Gesicht, gehen alle Hoffnungen von Korede, die heimlich in ihren Vorgesetzten verliebt ist, zu Bruch:

"Er ist mein Freund gewesen. Meiner. Er hat meinen Rat und meine Gesellschaft gesucht. Aber jetzt sieht er mich an, als wäre ich eine Fremde, und dafür hasse ich ihn. Ayoola hat getan, was sie immer tut, wenn Männer im Spiel sind, aber was ist seine Entschuldigung? Ich wende mich von ihm ab, damit er nicht sieht, dass meine Lippen zittern. "
Zweifellos, Ayoola ist ein böses Mädchen, die triviale Ausgabe einer Lady Macbeth mit dem Körper einer, wie es heißt, "Musikvideo-Sexbombe". Das haben nicht nur die Opfer zu spüren bekommen, denen sie ein Messer in den Leib gerammt hat, sondern auch ihre Schwester, für die trotzdem familiäre Solidarität über alles geht.
Die Gewalt des Vaters prägt die Tochter
Warum Ayoola ihre Liebhaber mit so leichter Hand umbringt, bleibt zunächst etwas unklar. Brutalitäten von Seiten der Männer werden nicht erwähnt, Ayoolas ungezügeltes Wesen jedoch wird grell herausgestellt. Andererseits liefert die Erzählerin dann aber doch ziemlich deutliche Hinweise darauf, dass ihre Schwester von patriarchaler familiärer Gewalt entscheidend geprägt wurde. Der tyrannische Vater scheute nicht davor zurück, seine hübsche Tochter mit einem mächtigen Geschäftspartner zu verkuppeln, um daraus Vorteile zu ziehen. Zugleich verprügelte er sie mit dem kunstreich geschnitzten Patriarchenstock wegen unsittlichen Verhaltens. Mutter und Tante unterstützten das männliche Herrschaftsgebaren. Die schwesterliche Verbundenheit wurde dadurch umso mehr gefestigt:

"Ich machte einen mutigen Schritt nach vorn und nahm Ayoolas Hand in meine. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, dass der Stock keinen Unterschied machte zwischen Opfer und Beobachter, aber ich hatte das Gefühl, Ayoola würde die Schläge ohne mich nicht überleben. "
Überraschende Wendungen, profunde Einsichten
Anders als bei ihrer fürsorglichen Schwester Korede hat diese Behandlung bei Ayoola als Erziehung zu Kälte und Skrupellosigkeit gewirkt. Es wird angedeutet, dass beim Unfalltod des Vaters die beiden Töchter ihre Hände im Spiel hatten. Jedenfalls ist das Messer, mit dem Ayoola ihre Morde begeht, ein interessantes und vielsagendes Dingsymbol: als Erbstück aus dem Besitz des Vaters steht es dafür, wie die Gewalt in dieser Familie von den Eltern an die Tochter weitergereicht wurde.
Überhaupt ist jede der vielen Wendungen, mit denen die Handlung überrascht, mehr als nur ein unterhaltsames Ornament. Hinter allem steckt in diesem Roman ein harter Kern der Bedeutsamkeit, und genau das macht seine Qualität aus: Oyinkan Braithwaite ist es außerordentlich schlüssig und spannend gelungen, spektakuläre Effekte und Genreszenen aus dem nigerianischen Alltag mit hintergründigen sozialen und psychologischen Einblicken zu verbinden.
Oyinkan Braithwaite: "Meine Schwester, die Serienmörderin".
Blumenbar im Aufbau Verlag, Berlin.
240 Seiten 20 Euro.